Billiger Populismus überschattet Hessenwahl „Wir haben zu viele kriminelle Ausländer“: So titelt die Bildzeitung Anfang Januar und zitiert damit den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch. Hintergrund: In München haben mutmaßlich zwei Jugendliche mit Migrationshintergrund einen älteren Herrn in einer U-Bahn zusammengeschlagen. Nun liegt München zwar nicht in Hessen, Roland Koch übernimmt den Vorfall jedoch und meint, ein Thema für den Landtagswahlkampf in Hessen gefunden zu haben. Die muss er gewinnen, um bundespolitisch im Gespräch zu bleiben und nicht in der Versenkung zu landen. Die SPD hat mit dem Mindestlohn ein Wahlkampfthema gefunden, auf das Koch nicht adäquat reagieren kann. Also kommt – wie schon 1999, als Koch mit einem ausländerfeindlichen Wahlkampf Ministerpräsident wurde – nun wieder einmal die Mär von Problemen mit Ausländern. Der Ton wird rauer. Von einer „multikulturellen Verblendung“ spricht der CDU-Mann. Er fordert Erziehungscamps, ein härteres Jugendstrafrecht und schnellere Ausweisungsmöglichkeiten für „Ausländer, die sich nicht anpassen wollen“. Tatsache ist: Die Jugendkriminalität nimmt zu. Jugenddelinquenz ist vor allem in Familien mit Migrationshintergrund vorzufinden. Koch berücksichtigt nicht die Ursachen für Jugendkriminalität. Er sieht Zahlen einer Statistik und versucht damit, gegen Gruppen zu hetzen. Würden Koch und seine Wahlkampf-Spin-Doctors die Zahlen hinterfragen und wissenschaftlich mit ihnen arbeiten, fiele direkt auf: Nicht überall steigt die Anzahl der Gewalttaten von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Der bekannte Kriminologe Christian Pfeiffer weist daraufhin, dass die Anzahl dieser Straftaten in München zwar von sechs auf elf Prozent hochgegangen seien. Gleichzeitig sank die Zahl dieser Taten in einer Stadt wie Hannover von 15 auf sieben Prozent. Pfeiffer begründet dies mit den unterschiedlichen Bildungsbiografien. Während in Hannover viele MigrantInnen eine Hochschulreife bzw. einen Realschulabschluss vorweisen können, hinken MigrantInnen – und im Übrigen auch deutsche Kinder aus Familien, die dem „abgehängten Prekariat“ zugehörig sind – in Bayern hinterher. Mehr als 70 Prozent der MigrantInnenkinder in Bayern haben entweder keinen Schulabschluss oder den Hauptschulabschluss. Dies und die „Machomentalität“ in vielen Familien seien zu berücksichtigen, so Pfeiffer. Auch deswegen gehe eine Verschärfung des Jugendstrafrechts. Das komme erst dann zur Geltung, wenn Taten begangen wurden. Ziel, so die einhellige Meinung der ExpertInnen, müsse es sein, solche Taten zu verhindern. Und das sei nur durch Prävention möglich. Bedingung: Ein gerechtes und chancengleiches Bildungssystem. Der Bochumer Professor für Kriminologie, Prof. Dr. Thomas Feltes, zeigt sich gegenüber dem „Stern“ besorgt über das Klima in der Gesellschaft, das „insgesamt rauer geworden ist und mehr Gewalt eingesetzt wird – (…) vor allem bei Erwachsenen“. Der Konkurrenzdruck und die mangelnde Gerechtigkeit von Chancen seien hierfür – gerade bei Jugendlichen – die Gründe. Bleibt zu hoffen, dass Kochs Populismus verpufft und ein Machtwechsel in Hessen folgen wird. Koch, der selbst bei Polizei und Justiz massive Kürzungen in Hessen vorgenommen hat, hat mit seiner Politik mit dafür gesorgt, dass diese Debatte überhaupt entstehen konnte. Wir brauchen keine härteren Gesetze. Wir brauchen eine soziale und starke Gesellschaft und eine Justiz, die arbeitsfähig ist. Stellenkürzungen und Privatisierungen in dem Bereich helfen dort wenig. Fabian Ferber
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