Aus irgendeinem Grund befinden sich die letzten Überlebenden einer weltweiten Katastrophe ausgerechnet immer wieder in den Vereinigten Staaten. Dort haben sie nicht verderbende, weil mit Chemie vollgepumpte Lebensmittel und Schusswaffen sowie Munition zuhauf. Dmitry Glukhovsky verlegte die Postapokalypse in die Moskauer Metro und für Deutschland gab es bislang Gudrun Pausewangs warnendes „Die letzten Kinder von Schewenborn“. Seit einem halben Jahr wissen wir aber auch, was uns in Deutschland, oder vielmehr in Bayern 100 Jahre nach dem „Großen Sterben“ erwartet. Anna Mocikat erzählt in „MUC“ die Reise von Pia aus ihrem ins Mittelalter zurückgeworfenen Alpendorf in die legendäre Stadt MUC.
Als die einzige Schwarzhaarige in einer Welt, in der nur die Rothaarigen überlebt haben, sucht sie in den Überresten des ehemaligen München nach Freiheit und einer blühenden Gesellschaft – und nach ihrem Bruder, der fünf Jahre zuvor aus der ängstlichen und starren Dorfgemeinschaft geflohen ist. Wenn aber das Recht der Stärkeren gilt, haben die Schwachen in der Regel nichts zu lachen, wie Pia mit Entsetzen feststellen muss. Religiöse Fanatiker, ein totalitäres System, bittere Armut und Gewalt prägen das Stadtbild. Manche Relikte aus der „alten Welt“ – wie Raviolidosen – sind kostbare Güter, andere wiederum – wie Bücher – für die meisten gutes Brennmaterial.
Es ist die Neugier, die uns antreibt
Es ist ein einfacher, aber gelungener Kunstgriff der Autorin, die Geschichte aus der Perspektive einer Protagonistin spielen zu lassen, die voll Wundern und Staunen das erste Mal mit diesen Relikten in Berührung kommt und sich wundert, wofür sie wohl da sein mögen. Das gibt der Erzählerin Gelegenheit, Dinge nur anzudeuten und die Lesenden zum Schmunzeln zu bringen, oder andere Charaktere die Welt erklären zu lassen. Oder Pia sich über die alte Welt wundern zu lassen: „Stählerne Treppen aus der alten Zeit, die Pia sonst nur aus Zugängen zur U-Bahn kannte, führten in obere und untere Etagen. Einst waren sie beweglich gewesen, hatte Aela ihr erklärt. Die Menschen der alten Zeit mussten wirklich sehr faul gewesen sein.“ Eins der ersten Relikte, die Pia findet, ist ein flacher Gegenstand mit dem Symbol eines abgebissenen Apfels, der „zwar interessant anzusehen, aber völlig nutzlos ist“.
Unsere Gesellschaft zwischen Staunen und Kopfschütteln
Die große Stärke des Romans ist die ständige Reflexion über unsere heutige Zeit – und zwar in Deutschland, nicht in Amerika, wo der Alltag doch ein anderer ist als hierzulande. Wie seltsam unsere Welt doch erscheinen muss, wenn man nur das quasi-mittelalterliche Dorfleben kennt! Pia kommt aus dem Staunen über unsere technischen Meisterleistungen nicht heraus: fliegende Maschinen, Häuser aus Glas. Und beim Lesen wächst auch die eigene Achtung vor diesen Dingen. Und gleichzeitig muss man immer wieder den Kopf mit Pia den Kopf schütteln: Fabriken und Kraftwerke, die ganze Landstriche vergiften, verseuchen, veröden, wenn man nicht richtig aufpasst.
Diese Reflexionen lassen einen weiterlesen. Pias Reise tritt in den Hintergrund. Tatsächlich geschehen unterwegs und später in MUC selbst kleine abenteuerliche Episoden, die die Handlung aber nicht vorantreiben, sondern die Welt erklären. Erst im letzten Drittel kommt die Geschichte richtig in Fahrt. Liebe, Philosophie, Action, und ein Showdown, der die Machtstrukturen in MUC offenlegt. Und dann will man auch wissen, wie es weitergeht, in Deutschland, 100 Jahre nach dem großen Sterben.
:Marek Firlej
Anna Mocikat:
"MUC"
Knaur, Dezember 2014
368 Seiten, 12,99 Euro
Ebenfalls erhältlich:
"Robins Reise" Zusatzepisode zu MUC
erhältlich für Kindle
Knaur, März 2015
78 Seiten, 0,99 Euro
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