Bild: Kommentar: Krieg muss geächtet bleiben!

„Der Staat des Bösen“, titelt Der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe – und trägt damit nicht gerade zu einer Versachlichung der gegenwärtigen Debatte über eine militärische Beteiligung Deutschlands bei, um die Gründung eines „Kalifats“ im Nahen Osten durch „Terroristen“ der Organisation „Islamischer Staat“ (IS) abzuwenden. Auch der ARD-Presseclub ließ sich in seiner Sendung vom 17. August auf die verkürzte Fragestellung „Waffen ja – schießen nein? Deutschlands Dilemma mit dem Krieg“ ein. Dies zeigt den Trend eines Einschwenkens deutscher ‚Leitmedien‘ auf den fatalen Mainstream einer Entächtung des Krieges, die – wie in den vergangenen Wochen insbesondere in Israel zu beobachten – PazifistInnen zunehmend die Luft zum Atmen nimmt.

Betrachtet man die aktuelle Entwicklung des Geschehens im Nahen Osten jedoch aus einer übergreifenden Perspektive, so lässt sich konstatieren, dass die gesamte Region jahrzehntelang hochgerüstet wurde und sich die Intervention der USA nun teilweise gegen die eigenen Waffenarsenale richtet, die indirekt in die Hände der IS-Milizen gelangt sind: Teils wurden ihre Waffen aus Beständen der mithilfe von US-Streitkräften neu formierten irakischen Armee erbeutet, teils gelangten sie durch Überläufer in den Besitz der aus Syrien eingedrungenen IS-Milizionäre. Die von US-Präsident Obama kurzfristig angeordneten, an der syrischen Grenze endenden Bombardements von IS-Stellungen erscheinen vor diesem Hintergrund als Reflex auf das endgültige Scheitern der amerikanischen Interventionspolitik am Persischen Golf – von der Hochrüstung des iranischen Schah-Regimes in den 1960er Jahren über das mehrfache militärische Eingreifen im Irak bis hin zur gegenwärtigen Unterstützung von familiendynastischen Staaten wie Saudi-Arabien oder Katar, deren US-Waffenimporte teilweise an kriegführende Parteien im syrischen Bürgerkrieg weiterveräußert worden sein sollen.

Auch deutsche Waffen sind – hauptsächlich über Saudi-Arabien – in der Region gelandet und haben nicht zur Bereinigung der Krise, sondern zu ihrer Verschärfung beigetragen. Dies würde sicherlich nicht anders, wenn nun auch die irakischen Kurden mit deutschen Waffen beliefert würden. Was bleibt ist die Überzeugung: Man macht keine Geschäfte mit dem Tod anderer – schon gar nicht mit einem historischen Erbe wie der deutschen Verantwortung von weit über 50 Millionen Weltkriegstoten im Marschgepäck.

:Ulrich Schröder

 

Lest hier die Gegenmeinung von Gastautor Patrick Henkelmann.

 

6 comments

  1. Martin Brotmann

    Nicht meine Definition von Pazifismus
    Tut mir leid, ich kann mit diesem Artikel wirklich gar nichts anfangen. Ich bin selbst überzeugter Pazifist, und kann mich in dieser Meinung überhaupt nicht wiederfinden. Ich habe gegen den Kosovokrieg demonstriert, ich habe gegen den Afghanistankrieg demonstriert, gegen den Irakkrieg und auch gegen die ganzen anderen größeren und kleineren Konflikte, die insbesondere die USA ständig anzetteln. Ich habe immer versucht, beide Seiten zu sehen, und mit meinen doch arg begrenzten Mitteln als kleiner Bürger für den Frieden einzustehen, aber etwas so extremes und grausames wie den IS habe ich noch nie gesehen.

    In jedem Krieg geschehen entsetzliche Greuel und Zivilisten und einfache Soldaten müssen leiden, aber es ist doch sonst immer so, daß nicht jede Kampfhandlung in einem Massaker endet und das beide Seiten jeweils wenigstens den Anstand haben, die eventuell angerichteten Verbrechen abzustreiten und so implizit zuzugeben, daß sie zu ächten sind. Die IS hingegen mordet ausnahmslos alles: Christen, Jesiden, Schiiten, andere Sunniten, häufig auf barbarische Weise und ist auch noch stolz darauf, wie die zahlreichen Videos mit abgeschnittenen Köpfen und schlimmerem zeigen. Wie man angesichts einer solchen Mörderbande neutral bleiben und das dann auch noch für moralisch geboten halten kann ist mir schleierhaft.

    Und was ist das denn für ein Argument, daß wir keine Waffen in die Region liefern dürfen, weil (unter anderem) unsere Waffen via Saudi-Arabien schon in der Region angekommen sind? Um so schlimmer, und um so mehr müssen wir den unter Druck geratenen Minderheiten helfen, um wenigstens einen Teil des Schadens, den wir mit unseren Waffenlieferungen an diese Despotien angerichtet haben, wieder gutzumachen, oder zumindest zu lindern.

    Mann, da unten sterben echte Menschen, und wir hier oben schwafeln was von Frieden und „Kriegsächtung“, und nennen das dann auch noch eine „Haltung“ und keine Meinung. Nein, also ich bekomme den Eindruck, daß der Autor sich hier als ganz besonders „gut“ darstellen wollte, und es ihm weniger um die Sache selbst ging. Mit echtem Pazifismus hat das nichts zu tun.

  2. Pazifismus bleibt eine Haltung
    Schlimm, dass es inzwischen auf so wenig Toleranz stößt, an pazifistischen Grundsätzen festzuhalten. Gandhi würde sich im Grab herumdrehen. Zudem ist die Forderung, insbesondere auf den Waffenexport in Krisengebiete zu verzichten, glücklicherweise immer noch keine singuläre Position: Andreas Zumach, der in Genf unter anderem für die taz als Korrespondent mit besonderem Fokus auf Sicherheitspolitik und Rüstungskontrolle arbeitet, konstatierte vorgestern im ARD-Presseclub bezogen auf die Zeit nach der deutschen Wiederbewaffnung: „Ich kenne keinen einzigen Fall […], wo deutsche Rüstungsexporte eine Region in dieser Welt nachhaltig stabilisiert hätten.“ Waffen können jederzeit in die Hände der Gegenseite gelangen und langfristig noch größeren Schaden anrichten. Zudem offenbart sich im reflexhaften Ruf nach Waffenlieferungen vor allem politische Konzeptlosigkeit. In diesem Zusammenhang wäre unter anderem eine ernsthafte Debatte über einen souveränen kurdischen Staat längst überfällig. Jedenfalls kann es nicht unwidersprochen bleiben, wenn jetzt nur noch Waffen sprechen sollen und eine ehrliche pazifistische Haltung in einer Weise abqualifizert wird, wie dies am Ende des obigen Kommentars geschieht.

  3. Martin Brotmann

    Frieden und Grabesstille sind nicht dasselbe
    Ich habe in meinem Leben noch nie eine ehrliche pazifistische Haltung abqualifiziert.

    Der Verweis auf Gandhi ist wirklich recht billig. Gandhi war ein kluger und guter Mensch, der erkannt hatte, daß die Inder ihre Unabhängigkeit sowieso erlangen müßten und würden. Das hätte entweder mit vielen Toten auf beiden Seiten oder mit relativ wenig Toten passieren können, und Gandhi hat dann auf die friedlichere Lösung hingewirkt. So geht Pazifismus. Ein Salzmarsch oder ein Steuerstreik gegen den IS hätte ein gänzlich anderes Ergebnis, und das wüsste Gandhi auch.

    Ich verstehe Ihre „pazifistische Haltung“ nicht. Auf der einen Seite wollen Sie (zu Recht) einen kurdischen Staat, auf der anderem möchten Sie die Kurden aber nicht dabei unterstützen, sich vor den Mörderbanden des IS zu schützen? Ist das Ihr „politisches Konzept“? Wir führen hier im reichen und friedlichen Deutschland eine „ernsthafte Debatte“ über einen souveränden kurdischen Staat und schauen gleichzeitig dabei zu, wie das zukünftige kurdische Staatsvolk in Massen abgeschlachtet wird, weil Waffen „jederzeit in die Hände der Gegenseite gelangen“ und „langfristig noch größeren Schaden anrichten“ können? Einen größeren Schaden als Massenmord? Welchen denn? Nein danke, ich glaube ich bleibe da lieber „politisch konzeptlos“.

    Entschuldigen Sie bitte, aber Ihre Kommentare erfüllen leider wirklich alle Klischees über den Pazifismus, die der normale Bürger leider allzu häufig für wahr hält. Gott, Allah oder wer auch immer schütze die Kurden vor solchen Freunden, mit ihren Feinden werden sie dann schon fertig werden.

  4. Harald Johanson

    Ein Anstoß
    Mahatma Gandhi hatte eine andere Grundlage:

    Die Engländer wollten gute Menschen sein und das zumindest vor ihren Leuten. Das ermöglichte es mittels einer gesetzlichen Basis und auf dem Prinzip Menschlichkeit Druck auszuüben. Das ist bei der IS wohl nicht möglich, da sie eine eigene Auffassung von „Recht“ hat, die sich an den nicht nur Toten, sondern auch massiv uns systematisch Geschändeten zeigt.

    Krieg darf nicht geächtet werden und das auch nicht von Pazifisten. Er ist die letzte Möglichkeit eines Staates Druck auszuüben, ein Mittel der Verteidigung, von sich und anderen. Zu diesen Mittel gehört aber auch Abschreckung, List und vieles anderes, was einen Krieg verhindern und gewinnen kann, ohne dass Schüsse fallen. Krieg muss das bleibende Ziel haben einen gerechten Frieden für alle Beteiligten wiederherzustellen, selbst wenn die andere Partei der Aggressor war, wie dies häufiger in der Geschichte der Fall war. Wer das verneint und wo Diplomatie auf ignorante Verursacher stößt, macht sich zum Schuldigen und Scheinheiligen eines Krieges und Toter, die zu vermeiden gewesen sind. Denn purer Pazifismus, der lediglich als erträgt, ist nicht mehr als ein devotes sich selbst verneinen und das von Anderen. Jeder Mensch ist und bleibt kostbar, unersetzlich und das muss klarer Maßstab eines jeden kriegerischen Kalküls sein und bleiben.

    Wir müssen Menschen helfen die sich gegen Ungerechtigkeiten selbst nicht helfen können und das Notfalls mit Waffen oder Truppen. Wann dieser Punkt da ist, ist schwer auszumachen und mit einer weißen Weste hinauszukommen ist unmöglich. Jeder der eine leitende Position inne hatte weiß das, weil bestimmte Entscheidungen schnell gefällt werden müssen, weil es um Menschenleben gehen kann. Das einzige Hilfsmittel ist der eigene Verstand und der von anderen und die Geschichte, die uns Beispiele gibt mit denen wir unsere Realität neu deuten können.

    Ihr Artikel ist plakativ und ebenso die Überschrift die einen Kategorienfehler beinhaltet, weil sie „Äpfel mit Birnen vergleichen“. Eine Meinung ist eine Äußerung. Eine Haltung ist eine gelebte Äußerung und Meinung, die mindestens eine Tendenz offenbart.
    Herr Schröder.. was möchten sie uns eigentlich mitteilen? Dass Krieg immer böse ist? Die Welt ist nicht nur schwarz und weiß, selbst wenn so ihr Bild aussieht. Ich wünsche mir mehr Tiefenschärfe, authentische, kritische Auseinandersetzung und nicht nur grobe daher geschobene Zitate, die man nicht ausreichend hinterfragt.

    Es handelt sich nämlich um eine Grundsatzfrage: „können Waffen Stabilität in der Welt schaffen? (Solange die Rahmenbedingungen stimmen)“
    Ja sie können: Atomwaffen vermitteln eine scheinbar so ausreichende bedrohungskulisse, dass die Großen Länder sich so diplomatisch verhandeln wie noch nie zuvor, selbst wenn sich die „Weltmächte“ zurzeit Streiten.

    Mit freundlichen Grüßen

    Harald Johanson

  5. Christian Peitzmeier

    Outbreak of Evil
    Die alten Sprüche sagen es am Besten:
    FIGHTING FOR PEACE IS LIKE FUCKING FOR VIRGINITY!
    Mitte 2014: laut ZEIT Der Sommer der Kriege Syrien, Ukraine, Gaza, Irak.
    Ja, wir können es uns mit dem Frieden noch wärmen, auf der westlichen Insel der Glückseligen im ewigen Schmerz des Menschengeschlechts. Das könnte sich bald ändern.
    Dann müssen wir uns vllt. fragen, wie viel Überwachung es braucht, um statt einiger Dutzend Hunderte bis Tausende kriegserfahrener Islamisten zu kontrollieren, die keinerlei Skrupel kennen und Gewalt ausüben wollen, weil sie voller Hass und Fanatismus sind.
    IS zB ist ein Ausbruch des Bösen im Namen des barmherzigen, islamischen Gottes. Und die, die sich wegen der Enthauptung eines westlichen Journalisten traurig an den Kopf fassen, haben Dutzende im Netz kursierender Enthauptungen und andere, monströse Taten, noch nicht gesehen. Das Netz wird zur Propagandamaschine der ‚heiligen‘ Krieger und die weltweite Vernetzung auch der IS beschwört, erwartbar, leider, Terror überall,.

  6. Kein Pazifist, nirgends
    Der pazifistischen Grundhaltung unterliegt ja wohl die These, dass Waffen keinen Frieden und keine Stabilität schaffen können, sondern nur Chaos und Tod. Dementsprechend kann sich der erste Kommmentator schon mal davon verabschieden, sich selber als Pazifist zu bezeichnen.
    Die Diskussion wird geführt, als würden Menschen umgebracht, wenn D keine Waffen liefert. Aber das ist meines Erachtens Propaganda. Andere, gut ausgerüstete EU-Länder und die USA haben sich schon für militärische Hilfe entschieden. Der Vorschlag meinerseits ist also, dass D sich um die humanitäre Hilfe kümmert, die so manche Familie im Nordirak dringender brauch, als ein Maschinengewehr. Und selbst wenn D Waffen liefert, würde es keine Waffen an diejenigen liefern, die an „vorderster Front“ in diesem Kampf stehen: Der PKK und anderen kurdischen Gruppierungen, die hier verboten sind. Also, Deutschland, behalte deine Waffen für dich und hör mit der Kriegspropaganda auf. Dass ehemalige Friedensaktivisten jetzt für noch mehr Waffen plädieren, finde ich persönlich sehr traurig für die gesamte deutsche Friedensbewegung. Aber Deutschland bleibt halt Deutschland.

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