Im Zuge der am 22. Juni eröffneten Ausstellung „temporärer Kunstwerke“ der Urbanen Künste Ruhr sowie des Netzwerks RuhrKunstMuseen ist im Rahmen des Projekts „Doom Void Hope“ der Künstlergruppe „KONSORTIUM“ ein 1979 entstandenes, vier Meter hohes und 25 Meter breites Wandbild an der RUB zwischen Audimax und NA-Gebäude grau übertüncht und durch den Schriftzug „HOPE“ ersetzt worden (siehe :bsz 1004). Das 100 Quadratmeter große Wandbild war am 24. Oktober 1979 unter Leitung des Bochumer Künstlers Bernd Figgemeier als studentisches Gemeinschaftsprojekt entstanden und hatte die letzten 35 Jahre unbeschadet überdauert. Im Dialog mit den beteiligten AkteurInnen lotet die :bsz nun aus, wie die Hoffnungen für einen dauerhaften Bestand von Campus-Kunst zurückgeholt werden können.
Das Kunstwerk mit dem Titel „Hoffnungen, Träume und Ängste der RUB-Studenten“ galt als ‚nicht offiziell registriert‘, wenngleich es sowohl online dokumentiert als auch in einer Buchpublikation über Kunst in Bochum verzeichnet ist. Dennoch wurde der Standort für das neue Wandbild der KONSORTIUM-Künstler Lars Breuer, Sebastian Freytag und Guido Münch für das temporäre Ausstellungsprojekt „gestern die stadt von morgen“ gewählt. „Die Standortwahl für die drei Wandbilder der Künstlergruppe KONSORTIUM ist nicht ohne aufwändige Abstimmungen und Klärungen geschehen“, äußerte sich Dr. Friederike Wappler gegenüber der :bsz. „So war in den Prozess der Wahl möglicher Orte für die Wandmalereien das Rektorat der RUB, das Baudezernat der Uni, die Bau- und Liegenschaftsbehörde in Dortmund, die Denkmalbehörde sowie die alle genannten Instanzen in den Entscheidungsprozess einbeziehende Arbeitsgruppe zur Kunst-am-Bau an der RUB einbezogen“, so die Leiterin der Kunstsammlungen der Uni weiter – genauso wie „das Bauministerium in NRW und das Kunsthistorische Institut“. „Die Auswahl der Flächen für diese Aktion ist durch die Verwaltung der RUB umfänglich mit der Denkmalbehörde und der Arbeitsgruppe Kunst-am-Bau abgestimmt worden und vom Bau- und Liegenschaftbetrieb genehmigt worden“, konstatiert die derzeitige Vertreterin des Kanzlers der Ruhr-Uni, Susanne Schult, nüchtern. Als Leiterin des Dezernats 1 ist sie zudem zuständig für Angelegenheiten der Selbstverwaltung, Hochschulentwicklung und Planung.
RUB-Verwaltung prüft Möglichkeiten der Kunst-Dokumentation
„Bedauerlicherweise waren die jetzt übermalten Bilder nicht als Kunst am Bau registriert, was vermutlich auch für eine Reihe anderer Bilder auf dem Campus zutrifft“, räumt Schult ein. „Insoweit ist die Historie in Hinsicht auf das Wandbild, das 1979 entstanden ist, leider nicht bekannt gewesen und konnte in den Entscheidungsprozess nicht einbezogen werden“, so die Dezernentin weiter. Dies sollte sich künftig jedoch nicht wiederholen: „Wir werden diese Situation zum Anlass nehmen, Möglichkeiten einer systematischen Dokumentation der Gemälde auf den RUB-Gebäuden zu prüfen.“
Reflexion von Modernismus durch Kunstzerstörung?
Für die „Hoffnungen, Träume und Ängste“ der RUB-Studierenden von einst kommt diese Maßnahme jedoch zu spät. Offensichtlich sollte Platz für Neues geschaffen werden, um – wie RUB-Kunstsammlungsleiterin Dr. Wappler die KONSORTIUM-Kunst deutet – „den Modernismus der Architektur und der Kunst an der RUB“ zu reflektieren. Inzwischen äußerte sich auch einer der KONSORTIUM-Künstler, Sebastian Freytag, zu dem Vorgang: „Unsere Wandmalerei versteht sich nicht als Kunst-am-Bau-Werk, sondern ist eine temporäre Wandmalerei im Zusammenhang mit dem genannten Ausstellungsprojekt.“ Die Übermalung der studentischen Wandmalerei von 1979 ist freilich endgültig.
Abstrakter KONSORTIUM-Anspruch
„Die Wandmalereien an der Ruhr-Universität Bochum von uns, die im Rahmen des Projektes ‚gestern die stadt von morgen‘ entstanden sind, thematisieren die Geschichte und damit verbunden die Überschreibung und Revision von Werken im öffentlichen Raum“, führt Freytag weiter aus. So ist die graphische Gestaltung des simplen Schriftzugs „HOPE“ an der Formensprache der 1992 in Bochum-Wiemelhausen errichteten modernistischen Skulptur „Maßzeichen“ (1992) des Bildhauers Otto Herbert Hajek (1927-2005) orientiert, die im April 2011 im Rahmen des Schulneubaus des „Neuen Gymnasiums Bochum“ beseitigt worden war. Dass durch die KONSORTIUM-Kunst selbst jedoch die künstlerische Leistung von rund 40 Studierenden vernichtet und durch die leere Formel „HOPE“ ersetzt worden ist, wird hierdurch – wenn überhaupt – nur auf einer abstrakten Ebene reflektiert.
Farbtupfer im RUB-Grau getilgt
Ganz konkret verschwunden jedenfalls sind einstweilen jene „Farbtupfer im Uni-Grau“, welche die an der damals auf Initiative des Sozial-Liberalen Hochschulbundes (SLH) durchgeführten Kunstaktion Beteiligten an einem wunderschönen Oktobertag 1979 setzen wollten, so der damalige künstlerische Leiter Bernd Figgemeier. „Zuerst wurden von den Aktiven im unteren Bildbereich die Silhouetten von Studierenden in Grautönen gezeichnet. Danach gestalteten die insgesamt etwa 40 Teilnehmenden jeweils eine Gedankenblase, in der sie ihre Hoffnungen, Träume und Ängste zum Ausdruck brachten.“ Die Motive oszillierten zwischen naturidyllischen Repliken und Anklängen an apokalyptische Szenarien, die einen nuklearen Super-GAU reflektieren. Auch ein (nietzscheanischer) Hammer, der auf das skizzierte Architekturrelief der RUB niedersaust, sparte nicht mit visualisierter (philosophischer) Modernismus-Kritik. Sehr konkret also wurde damals das ausformuliert, was sich das KONSORTIUM heute abstrakt auf die Fahnen schreibt – und hierdurch ausgerechnet das aus dem öffentlichen Raum tilgt, worauf es seinen künstlerischen Diskurs bezieht.
KONSORTIUM will Dialog
Immerhin: „Die Übermalung der vorangegangenen Wandmalerei ist keinesfalls als ‚Degradierung zur Nicht-Kunst‘ zu verstehen“, konzediert Sebastian Freytag. Auch ein Dialog mit dessen künstlerischem Leiter, inzwischen Ehrenvorsitzender des Bundesverbandes Bildender Künstler Westfalen (BBK), wird angestrebt: „Wir wären sehr neugierig, Herrn Figgemeier einmal persönlich kennenzulernen, um auch mit ihm Fragen nach Kunst im öffentlichen Raum diskutieren zu können“, so Freytag zur :bsz. „Im Hinblick auf die Zeitspanne von 1979 bis 2014 und die damit verbundene veränderte Rezeption der Architektur der Ruhr-Universität wäre doch ein gemeinsames Gespräch hoch interessant.“ Eine Entschuldigung für die Zerstörung des Wandbildes jedoch ist bislang nicht erfolgt. „Auch unsere Wandmalerei wird einmal überstrichen sein“, räumt Freytag jedoch ein – „womit keinesfalls die Rezeptionswege abgeschnitten sein werden.“
Lackmus-Test der Uni-Leitung?
Nicht abwegig scheint die These, dass die Bereitstellung der Fläche zwischen Audimax und NA-Gebäude durch die Uni-Leitung als Vorgeplänkel der spätestens ab 2019 vorgesehenen Neugestaltung der „RUB-Magistrale“ zu betrachten sein könnte: Der hierzu ausgewählte Entwurf des Kölner Architektenbüros Molestina sieht unter anderem einen Abriss von fünf Gebäudekomplexen in der Zentralachse des Campus sowie eine Tilgung des von Ernst Reusch als Wasserrelief geplanten Forumbrunnens (1973–75) zwischen UB und Audimax vor. Somit wäre die aktuelle Kunstvernichtung eine Art Lackmustest, um das aktuelle Protestklima an der RUB im Falle weiterer systematischer Kunstvernichtung zu testen.
Die „temporäre Kunstausstellung“ im Rahmen der Urbanen Künste Ruhr jedenfalls ist bis zum 7. September 2014 limitiert. Damit dürfte auch der Schriftzug „HOPE“ Geschichte sein und es bleibt die Hoffnung, dass die 100-Quadratmeterwand vor NA dann nicht grau bleiben wird.
:bsz-Info
Wer sich weiter informieren möchte, ist mit dem Buch „Kunst auf Schritt und Tritt in Bochum“ (1992) gut bedient.
Noch mehr Infos gibt es auf Artibaeau, dem Portal für Kunst in Bochum: www.artibeau.de
0 comments