„Mich haben sie nicht bekommen“, säuselt Hans Leichtgläub grinsend vor sich hin und reibt sich dabei zufrieden seine altgrauen Hände. Enthusiastisch, mit der Kraft eines 17-jährigen Jungspundes, erhebt er sich von seinem monströsen, halbverwesten, grüngelblichen Ohrensessel und schlendert hinüber zum Konservenschrank, der eigentlich gar kein wahrer Konservenschrank ist, lediglich einer sein sollte. In dem nur halb und zum Teil abwegig aufgebauten Ikeaschrank stehen hunderte Energydrinkdosen. Stolz wie ein neugeborener Erfinder bei seiner ersten Heureka-Erfahrung bewundert er sein lebenssicherndes Werk. „Mich können se‘ nicht verarschen. Ich weiß, wie man Platz spart! Wer braucht schon einen Großraumbunker? Abzocken wollten die mich doch, diese Schweine!“, schimpft Hans Leichtgläub mit wildwackelndem Kopf. Er greift nach einer der Dosen, öffnet sie siegessicher und spült das Zeug den Rachen hinunter. Würgend stellt er fest: „Wusst ich’s doch. Besser mit Energie durch den Tag, als mit verfaultem Gemüse direkt in den Sarg“, lacht er lauthals. Dabei entblößt er seine bleachingblanken alten Zähne – wer braucht heute schon eine Zahnbürste? Nachdem er die Dose geleert hat, lässt sich Hans Leichtgläub wieder in seinen einlullenden Sessel fallen und beginnt damit, die individuelle, graue Steinwand zu betrachten, welche sich, einen Meter von seiner dicken Knollnase entfernt, vor ihm ausbreitet. Nach dreißig Minuten dreht er seinen Kopf ein wenig nach links und hebt das Kinn, um die Steinwand aus einem anderen Blickwinkel zu erkunden. Nach zwei Stunden wechselt er die Kopflage erneut. Im Stillen lobt der alte Mann seine innovativen Freizeitbeschäftigungen. Wer liest denn heute noch Bücher? Es verstreichen weitere Tage, Stunden, Minuten. Hans Leichtgläub fängt an mit seinem Fuß zu wippen. „Wie schön ich es hier unten habe. Oben ist alles schwarz. Oben sind sie alle tot. Wie naiv von Marianne, dass sie oben geblieben ist“, versichert sich Hans Leichtgläub. Es wird Zeit. Hans Leichtgläub ist bereit, eine startklare Rakete. Mit zitternden Fingern greift er unter seinen besten Freund, den Ohrensessel, und zieht eine raschelnde Tüte hervor. In der Tüte befindet sich eine kleine Büchse, welche mit einer gekritzelten Handschrift beschriftet ist. „Die Pille danach – Postapokalypsenprävention“ heißt es auf dem Etikett. Sein alter Freund Rudi, der avantgardistische Apotheker, hatte die Dose Hans Leichtgläubs Frau Marianne mitgegeben. Der Inhalt sei ein wahres Wunder. „Lieb von Marianne, dass sie mir Hoffnung mit auf den Weg gegeben hat. Lieb von ihr, dass sie sich dafür extra mit Rudi getroffen hat“, muss sich Hans Leichtgläub eingestehen. Aufgeregt öffnet er den Verschluss der Dose. Es kommen drei farblose Pillen zum Vorschein. Marianne hatte gesagt, dass er sie alle auf einmal schlucken müsse, um einen bahnbrechenden Effekt zu erzeugen. Hans Leichtgläub zögert nicht lang. Eins. Zwei. Drei. „Oben haben sich die Narren die Köppe eingeschlagen, aber mich haben sie nicht bekommen. Mich haben sie nicht bekommen!“, lallt  Leichtgläub, bevor sein lebloser Kopf schräg nach unten kippt.