Raketen… Türkei… da war doch was? Bereits vor 53 Jahren, inmitten des kalten Krieges, hatte man schon einmal Raketen in der Türkei stationiert. Fünfzig nuklear bestückte Mittelstreckenraketen, die auf die UdSSR gerichtet waren und ihren Beitrag zum ‚atomaren Gleichgewicht‘ und zur ‚Erstschlagfähigkeit‘ der Vereinigten Staaten leisten sollten. Die Namensgebung damaliger Raketen durfte nicht nur die zerstörerische Wirkung dieser waffentechnischen Eintagsfliegen unterstreichen – sie musste gleichsam prägnant sein und Raum für Assoziationen lassen. Waffentüftler und Militärs hatten also die schwierige Aufgabe, kreative Namen für ihre todbringenden Spielzeuge zu finden, die auch in der Lage waren, ein politisches Statement zu transportieren: Götternamen oder die Namen mythologischer Wesen boten sich in den häufigsten Fällen hierfür an. Die nuklearen Mittelstreckenraketen in der Türkei taufte man Jupiter. Der griechische Göttervater, oftmals auch „Iuppiter-Optimus-Maximus“ (bester und größter Jupiter) genannt, war die oberste Gottheit der Römer. In seiner rechten Hand hielt er Blitze, mit denen er die Erde erschüttern konnte. Wen der Blitz traf, das entschied Jupiter in der Regel selbst. Die ebenfalls vor 53 Jahren in England stationierten Atomraketen trugen den Namen des nordischen Donnergottes Thor. Dieser war ein Sohn Odins und konnte mit seinem Hammer Mjöllnir die Erde erschüttern und ebenfalls Blitze schleudern. Auch hier passte das Gesamtpaket. Jetzt sollen auf Anfrage der türkischen Regierung „Patriot-Raketensysteme“ (als Anglizismus auszusprechen) der NATO an der türkisch-syrischen Grenze stationiert werden. Ein eher schnöder Name, wenn man an die ‚kreative‘ Namensfindung vergangener Zeiten erinnert. Bei diesen Raketen handelt es sich jedoch nicht um nuklear bestückte Mittelstreckenraketen (schade für Jupiter und Thor), sondern um intelligente Marschflugkörper, die in der Lage sind, „feindliche“ Flugzeuge abzufangen. Derzeit verfügen nur die Vereinigten Staaten, die Niederlande und Deutschland über die modernste Form (PAC-3) dieses Waffensystems. Naheliegend, dass sich ein mögliches Kontingent in der Provinz Sanliurfa, dem Ort, an dem die Raketenbatterien stationiert werden sollen, aus diesen drei Nationen zusammensetzen könnte. Für Deutschland würde dies mehr Kosten, weitere Soldaten im Ausland und die Möglichkeit einer Verwickelung in den syrischen Bürgerkrieg bedeuten. Eine Verwickelung, die durch den tatsächlichen Einsatz deutscher Patriot-Raketen unausweichlich werden würde. Ein unschönes Szenario, das die PolitikerInnen und Militärs in Brüssel und Berlin derzeit ausblenden. Schließlich gehe es bei der Stationierung der Patriot-Raketen nicht um die Einrichtung einer möglichen Flugverbotszone in Syrien. Es gehe um „Bündnissolidarität“ und einen „Beitrag zur Deeskalation“ im türkisch-syrischen Grenzgebiet; das bekräftigte Bundesaußenminister Guido in der vergangenen Woche. Es sei doch naheliegend, dass patriotische Raketen in der Türkei am ehesten dazu taugten „Solidarität“ zu bekunden. Auch die „deeskalierende Wirkung“ taktischer Luftabwehrsysteme an der Grenze eines sich im Bürgerkrieg befindlichen Landes stehe außer Frage. Dass die Patriotenraketen gegen den in den letzten Wochen wiederholt gemeldeten grenzüberschreitenden Beschuss mit  Mörsergraneten gänzlich ungeeignet sind, scheint da nicht weiter ins Gewicht zu fallen. Alle Kritik an den Plänen der NATO und der Bundesregierung prallt unter Berücksichtigung dieser „schlüssigen Gründe“ ab wie an einer Gummiwand. Schließlich sei es „unsere patriotische Pflicht“ als NATO Staat, unseren Bündnisverpflichtungen nachzukommen. Die alten kriegerischen Götter haben ob dieser hehren friedensstiftenden Ziele also ausgedient. Ein T(h)or, wer diese Logik nicht versteht!

Die Pläne der NATO und der Bundesregierung stimmen nicht mit der Gesamtmeinung der Redaktion überein!