Ich bin jetzt gegen Papier. Ich hasse Papier. Papier ist das Grundübel der Postmoderne. Ich sitze an einem Artikel für die :bsz… Die :bsz ist die „älteste kontinuierlich erscheinende Studierendenzeitung der BRD“, heißt es in fast jedem Text, der diese Zeitung zum Gegenstand hat. Wahrscheinlich ist es dieses kleine, missverständliche Wort „erscheinende“, das den ganzen unnützen Wahnsinn ausgelöst hat. Ich bin mir mittlerweile sehr sicher: „Erscheinen“ hat nichts mit „auf Papier gedruckt und verteilt werden“ zu tun!
Wie gesagt, ich sitze an einem Artikel für die :bsz und es ist Sonntagnachmittag. Knapp ein Drittel der Angefragten O-Ton-GeberInnen hat bisher geantwortet. Das ist schon mal ein schöner Schnitt. Also fange ich an, meinen Artikel zu schreiben. Gleichzeitig hacke ich in Windeseile sechs Reminder-Mails in den Laptop, damit die säumigen InformantInnen Bescheid wissen, dass der Redaktionsschluss wirklich ernst gemeint ist. Dann wird es Abend und tatsächlich kommen fünf Antworten á la „Sorry, hab ich total vergessen – kann ich Dir das morgen noch mailen?“ Normalerweise würde ich sagen „Kein Problem, wir erscheinen Montagabend online, ich kann das morgen noch schnell reinhauen, wenn ich es bis mittags bekomme.“ Aber nein: Wir sind ja ein Papiertiger! Und das heißt: Ab Montag 8 Uhr muss alles gegengelesen, die letzten Diskussionen um Nuancen geführt werden und um 15 Uhr ist dann „Schluss mit lustig“, d.h. Abgabeschluss für die Druckerei. Also schreibe ich „schickt mir das Zeug so schnell wie möglich!“
Montag früh, Produktionssitzung: Die Länge des Artikels stimmt, ich habe einige O-Töne von Beteiligten eingearbeitet ­­– nun soll es nur noch um das Layout gehen. Da klingelt das Handy: „Ich wollte Dir grad ne Mail schicken, aber ich hab grad kein Internet! Bis wann muss ich Dir meine Stellungnahme schicken?“ „Schick einfach, ich seh, was ich tun kann.“ Die Antwort kommt vier Stunden später, während ich meinen Artikel am Rechner in InDesign setze… Also scheiße ich auf die Korrekturhilfe der Redaktionskollegen und schreibe die Mailantwort direkt aus meinem Handy in die Satzdatei ab. Muss ja in ner halben Stunde an die Druckerei! Tippfehler sind garantiert…
Dienstag, vormittags: Die Online-Ausgabe ist gestern Abend auf bszonline.de erschienen und die Ersten fangen an, sich per Mail, Twitter und Forumsbeitrag über meinen Artikel aufzuregen. „Die Anfrage ist bei mir im Spam gelandet.“ ­­­­–„Ich hatte Montag noch ne aktuellere Version meiner Antworten geschickt!“ ­­­­– „Ich habe das nicht so gemeint, wie ich es gemailt habe, kann man das noch ändern?“ … Argh, natürlich kann man nichts mehr ändern ­­­­– die Zeitung ist „im Druck“! Ist „im Druck“? ­­­­– Jaa, richtig, ich kann ja in der Online-Ausgabe alle Änderungen vornehmen, die die Leute wollen! Doch leider lesen nicht alle die Online-Version der Zeitung und sind deswegen trotzdem erbost. Im Jahr 2013 kann man kein Verständnis mehr dafür erwarten, dass durch Druck und Verteilung Informationen erst mit einer Woche Verspätung publiziert werden. Da haben die Leute einfach Recht: Papier ist scheiße langsam! Eine besonders anachronistische Frechheit der :bsz ist es, dass Artikel auf der :bsz-Facebookseite erst nach und nach eingestellt werden, wenn die Papier-Ausgabe schon ein paar Tage in der Mensa ausliegt…
Am Mittwochvormittag dann in der Mensa: Auf meinem Tablett liegt die übliche „Sprinter-irgendwas-Pampe“, dazu gibt es „Killer-Coke“ ­­– stimmt, gegen diesen Missstand muss ich unbedingt mal wieder anschreiben! ­­– und erst mal muss wie immer dieses ganze Papier auf dem Tisch mit einem Wisch zur Seite gefegt werden… alles Papier… alles Werbung, langweilige Scheiße… Das GANZE Papier? – Nein! Eines klingt anders als die anderen  und raschelt freundlich und beredt: „Lies mich mal! Ich bin doch Deine Studierendenzeitung, die :bsz.“ Ich lese sie und mich überfällt ein nostalgischer Schauder: Sieh an! – Darüber habe ich damals vor anderthalb Wochen also berichtet… hatte ich schon ganz vergessen.