Sie klopfen auch bei Nacht, die Herzen der Verborgenen in den tiefen Bäuchen der Lastzüge am neuen Hafen von Tanger. Ihre Körper sind warm wie der Wüstensand an schillernd-blauen Tagen. Keine Hungersnot, kein wochenlanger Sandsturm vermochte ihren unbedingten Lebenswillen zu brechen, und weder der Wucherzins der Zöllner noch das horrende Handgeld der Schlepper konnte ihnen den Mut nehmen. Doch selbst wenn sie auch den Arguslinsen der Thermokameras entgehen, weil sie unweit des aufgeheizten Motors kauern, verrät sie doch der Schlag ihrer Herzen. The disease had sharpended my senses – not destroyed – not dulled them. Above all was the sense of hearing acute. I heard all things in the heaven and in the earth. I heard many things in hell.
Diesmal ist es ein alter Mann, der sich in den überhitzten Eingeweiden eines Tanklastzugs zusammengekrümmt an die Maschine schmiegt wie ein Embryo im Wortgetriebe eines futuristischen Poems. Doch nicht weil er die Maschine liebt, wie einst die ProtagonistInnen des Futurismus, sondern weil sein Herz am Leben hängt und die Hoffnung, sich selbst und seine Familie retten zu können, bekanntlich zuletzt stirbt. Sein Herz will nicht aufhören zu schlagen – für die Freiheit, für das Leben. Doch der Feind hört mit. Denn es gibt nicht nur jene 500 Kameras, welche die Verladerampen des marokkanischen Hafens umzingeln, sondern da ist noch etwas anderes, von dessen zukünftiger Existenz Edgar Allen Poe bereits 1843 eine vage Ahnung gehabt haben mag. Nein, es war keine wahnsinnige Dystopie, die sich in The Tell-Tale Heart manifestiert – 170 Jahre später gibt es sie wirklich: Die Herzschlagsensoren von 2013 geistern jedoch nicht länger als fleischgewordene Hypersensitivität durch ein gespenstisches literarisches Universum, sondern haben vielmehr als überwachungstechnologische Innovation Einzug in die kalte Realität der europäischen Festung gehalten. Davon hätte die Stasi nur träumen können…
And now have I not told you that what you mistake for madness is but over-acuteness of the senses? Wie in Trance kauert der alte Mann im Tank und vernimmt überdeutlich die hallenden Schritte der Schergen. Dehydriert und ausgemergelt – seit Wochen ausgehungert, um die Schlepper bezahlen zu können, krümmt er sich zusammen; wohl darauf bedacht, keinen Laut von sich zu geben, um sich nicht zu verraten. Doch unerbittlich durchkreuzt sein unablässig schlagendes Herz den großen Plan, und ohne um die perfide technologische Innovation zu wissen, scheint er es doch zu erahnen, dass sein tapferes Herz es ist, das ihn verraten könnte. «Arrache ton cœur», schießt es dem Ivorer in der Sprache seiner Mutter durch den Kopf. Doch hat er weder Axt noch Machete, um sich das eigene Herz herauszureißen, damit es endlich aufhöre zu schlagen und ihn nicht verrate. But the beating grew louder, louder! I thought the heart must burst. Die Schritte kommen näher, und seine Pumpe rast. Bald sind die einzelnen Schläge kaum mehr voneinander zu unterscheiden. Und genau das könnte sein Glück sein: Eine fast durchgehende Linie zeichnet sich auf dem Scan Screen ab, die nun eher an die kaum merkbaren Ausschläge eines brummenden Motors erinnert.
Doch dann setzt sein Herz aus.