Er befindet sich hier also im Dekanat der Fakultät für Phallologie, zwei Etagen unter dem Romantischen Institut – sofern man der dilletantischen Aufzugbeschilderung Glauben schenkt. Steifen Schrittes stapft Krümmel aufs Dekanatszimmer zu… Auf dem Weg dorthin springt ihn die laubfroschgrüne Schlagzeile eines Hochglanz-Plakats im Corporate Design an: „Standort Deutschland: Wissenschaft und Fortschritt. Gesprächsrunde mit ausgewiesenen Experten über Karriereperspektiven im Ausland“ – „Bildungsbananenrepublik…“, murmelt Krümmel und bemitleidet die vielen jungen WissenschaftlerInnen, für die es vernünftige Stellen in Forschung und Lehre nur in Transschavanien gibt. Krümmel wandert weiter den Gang hinab und beäugt das nächste Türschild kritisch. Irgendein Scherzkeks hat es mit einem handgekritzelten Post-It überklebt: „Dekanaan – wo Milch und Honig fließen…“ „Komisch“, denkt Krümmel, „das ist mir mit meinem Bachelor-Tunnelblick vorher nie aufgefallen.“ Krümmel hält kurz inne. Dann klopft er. Nach einem schroff-gespielt-freundlichen Verwaltungs-„Ja, bitte?!“ aus dem Inneren des Raumes tritt Krümmel durch die Tür ein.
„Guten Tag, Frau Iltis! Mein Name ist Karl Krümmel. Ich bin Student der Philosophie und Germanistik und ich habe gemerkt, dass das Studieren zweier geisteswissenschaftlicher Fächer doch nicht das Richtige für mich ist. Deswegen sehe ich davon ab, den Bachelor-Abschluss zu machen und möchte mir jetzt meine bisher gesammelten Credit Points auszahlen lassen.“ Frau Iltis’ Augen weiten sich, sie setzt an, etwas zu sagen, doch Krümmel setzt auch – und zwar seinen Vortrag einfach fort, während Frau Iltis verstummt. „Bei einem angemessenen Lohn von 10 Euro die Stunde und einem Workload von 30 Stunden pro Credit Point wären das 300 Euro pro CP. Da ich meine bisher erwirtschafteten 162 Credit Points zum Teil in Germanistik und im obligatorischen Optionalbereich zusammengeklaubt habe, bin ich bereit, Ihnen entgegenzukommen und wäre auch mit einer Anrechnung von lediglich 150 Credit Points zufrieden. Bei meinem veranschlagten Stundensatz wären das dann 45.000 Euro. Sie können gerne auch in Raten zahlen, nachdem Sie eine Anzahlung von, sagen wir, 5000 Euro geleistet haben. Ich lasse Ihnen meine Kontoverbindung hier und bedanke mich schonmal im Voraus für die gute Zusammenarbeit. Hier ist meine Karte und das ist meine Kontoverbindung. Schönen Tag noch, Frau Iltis!“
Während Krümmels Redeschwall hatte Frau Iltis eindringlich die Notruf-Taste auf ihrem Telefon massiert. Als die zwei Muskelberge von der Wachleite schließlich in das Dekanatsbüro mäandert waren, war der muskellose Krümmel bereits über alle Berge entschwunden. „Ham Sie die Notruftaste gedrückt?“, fragt die dicke Uniform barsch. „Ja! Hier war gerade ein Student…“ „So, so. Ein Student. Soll vorkommen anner Uni. Soll vorkommen.“ „Ja, aber der… der war völlig verrückt!“ „Ja, ja, gnä’ Frau, willkommen an der Uni.“ „Aber…“ „Wir gehn dann getz widda. Die GEFAHR is wohl gebannt…“ „Aber…“ „Schöntachnoch!“ Das Wachleite-Einsatzkommando dreht sich gleichgültig um und stampft gemächlich hinaus. Frau Iltis sitzt indes noch eine Weile fassungs- und wortlos auf ihrem Bürostuhl. Dann hebt sie den sorgenvollen Blick auf die Wanduhr, hält kurz inne und denkt: „Mensch, schon halb zwölf. Endlich Feierabend!“
Mit dem Diensttelefon ruft sie sich ein Taxi, klaubt ihre sieben Sachen zusammen und wackelt los Richtung Parkplatz. Als Frau Iltis am incorporierten Standort-Plakat im Flur vorbeiflaniert, zieht sie eine Cafeten-Banane aus ihrer Stofftasche und drückt danach geistesabwesend den Fahrstuhlknopf. Wenig später fährt das Taxi auf dem Parkplatz vor. Frau Iltis entsorgt ihre schale Bananenleiche im Mülleimer, auf dessen Deckel ein halbabgerubbelter Bildungsstreik-Aufkleber prangt, verlässt ihren Standort und stöckelt auf das Fahrzeug zu. Am Steuer der Taxe sitzt ein habilitierter Germanist und lächelt, weil er muss.