Drauß’ vom Walde, da kam er her, der bärtige Mann mit seinem Buch, in dem geschrieben stand, welche Kinder artig und lieb waren. Er beschenkte sie reichlich, doch wohl nicht mit den richtigen Gaben. So meinte Martin, der auch auf Luther hörte, ein Christkind müsse her. Die engelsgleiche Gestalt sollte mit seiner Kraft, der Unsichtbarkeit, die Wünsche der braven Kinder erfahren. Doch das Christkind war nicht lange an der Spitze, denn die amerikanischen Hegemonialinteressen sorgten rasch für klare Verhältnisse. Ein Limonadenkonzern förderte aus der Retorte einen stämmigen Mann mit einer Vorliebe für rote Kleidung (und Limonade). Dieser sollte nun die Wünsche der Menschen erfüllen. Dabei hörte er auch die Gedanken der Erwachsenen, nicht nur die der Kinder.
Seit 1931 gingder rot bekleidete Mann auch mit der Zeit; er empfing an seinem Wohnsitz am Nordpol nicht nur Post, sondern seit dem 21. Jahrhundert auch E-Mails. Für eine Kostenpauschale von im Schnitt 2,99 Euro rief er die Kinder sogar an. Diese Pauschale war völlig gerechtfertigt, denn so ein Anruf vom Nordpol ist nicht günstig; wahrscheinlich machte er auch noch Verlust und musste zwischen dem 24. und 25. Dezember Überstunden und Nachtschichten einlegen. Durch dieses Arbeitspensum kam es natürlich häufig zu Irrtümern; so bekam beispielsweise die Oma ein Diaphragma und der kleine Nachbarsjunge eine Knoblauchpresse aus einem schwedischen Einkaufsladen anstatt des gewünschten Konsolenspiels FSK 18. Diese fatalen Fehler wurden immer seltener, als der stämmige Mann eine Fabrik mit kleinwüchsigen SklavInnen gründete, die nonstop 365 Tage im Jahr Geschenke herstellten. Doch wieviel hält einE ArbeiterIn aus? Natürlich kann es zu Verwechslungen kommen: So bekam der brave Junge nicht die Spielekonsole XYZC 500.s.2, sondern die XYZC 500.s. Zum Glück gibt es die Erwachsenen, die im ständigen Kontakt zu der Firma und dem Mann stehen. Sie reklamierten, bekamen den universellen Kassenzettel und konnten das falsche Geschenk in einem Laden in ihrer Nähe umtauschen, denn so eine Reise zum Nordpol ist nicht für jedermann/-frau zumutbar. Wir müssen ja an das Klima denken.
Pünktlich zum 27. Dezember waren die Straßen jedes Jahr voll mit Autos, und in diesen dampfenden Kisten saßen die Erwachsenen mit ihren universellen Kassenzetteln. Alle wollten ihre unpassenden Geschenke umtauschen. Jetzt sagte manch einer, wie schrecklich diese Umtausche doch seien. Aber nein! Sie schufen mehr Arbeitsplätze, zum einen für die KassiererInnen, dann für die EntwicklerInnen der Expresskassen, dann die Stellen für das Personal, die den KundInnen die Expresskassen erklärten. Ein herrlicher Kreis und das zu einem wirtschaftlichen Vorteil. Doch das 21. Jahrhundert wäre nicht das, was es ist, ohne die fortschrittliche Technik. Dem rot bekleideten Mann war es peinlich, dass so viele Fehler beim Beschenken unterliefen. Da er ein cleverer Amerikaner war und ihm – wie einst Edison – ein Licht aufging, nahm er Kontakt zu seiner Freundin Enesej auf.
Enesej hat eine besondere Vorliebe für Korrespondenzen – ob in schriftlicher oder mündlicher Form, beides ist ihr recht. Sie stellte für ihren weihnachtlichen Freund Persönlichkeitsprofile sämtlicher Menschen zusammen. Der stämmige Mann wusste ab sofort, welche Hobbys, Lieblingsfilme und -musik etc. jedeR Einzelne auf der Welt hat. Diese revolutionäre Idee machte sich auch in den Einkaufsstraßen Bochums bemerkbar. Am 27. Dezember 2013 waren die Straßen in der Innenstadt voll – mit zufriedenen Beschenkten, die ihre Gutscheine und das geschenkte Geld einlösten. Wie gut, dass ein stämmiger, rot bekleideter Mann erleuchtet wurde und dem Weihnachtsfest wieder einen Sinn gab.