Ich sitze vor einem Monitor. Genau genommen sitze ich vor einer Wand aus Monitoren. Unter anderem eben aber auch vor diesem einen Bildschirm, der für Uneingeweihte aber unter den übrigen nicht zu unterscheiden wäre. Uneingeweihte kommen ohnehin nie in diesen Raum. Und wenn doch, kommen sie meist nicht wieder heraus.
Ich tippe einen Befehl in die blinkende Konsole im unteren Drittel meines Computerbildschirms auf dem Schreibtisch vor der Monitorwand. 25 Kilometer entfernt summt eine diskret angebrachte Kamera leise und dreht sich ein bisschen, bevor die Linse surrend ein Objekt auf der gegenüberliegenden Straßenseite scharf stellt. Auf der Mattscheibe vor meinen Augen werden bunte, weiche Flecken langsam zu Konturen. Ich sehe grüne Bäume, die eine asphaltgraue Straße säumen. In den glitzernden Pfützen auf der Fahrbahn spiegelt sich der grau-blaue Himmel. Dann verwandelt ein chromblitzendes Autorad den Spiegel in ein flüssiges Kaleidoskop. Wenige Meter später kommt der Reifen zum Stehen. Ich tippe, es surrt. Auf dem Bildschirm ist nun der ganze schwarze Mercedes mit den getönten Scheiben in einer Totale zu sehen. Eine graue Gestalt huscht ins Bild und steigt ein. Tür auf, grauer Herr rein, Tür zu.
Das ging mir jetzt etwas zu schnell. Auf einem weiteren Bildschirm friere ich also den Lauf der Zeit ein und spule dann zurück. Standbild für Standbild, bis ich in einer Einstellung einen lachsfarbenen Blazer und zwei Hände zwischen Autotür und C-Säule entdecken kann. Die Hände berühren sich an den Fingerspitzen. Das hatte ich mir gedacht. Ich lächle ein wenig.
Zwei Befehle später kann ich hören, was in der Limousine gesprochen wird. Ein Satellit, quasi unsichtbar über der Erdatmosphäre platziert, empfängt die Radiowellen, die dazu nötig sind. Das dechiffrierte Protokoll wird per Funkübertragung direkt in mein Tonband-Archiv gesendet. Das war das letzte Puzzlestück. Ich denke, dass ich nun alles habe, was ich wollte. Über Monate hinweg habe ich private und geschäftliche E-Mails, SMS sowie postalische Briefe und Karten ausgewertet. Tagelang habe ich rauschende Gesprächsmitschnitte aus Schnipseln zusammengesetzt und kompiliert. Ganze Nächte verbrachte ich damit, aus unmöglichen Winkeln Fotos mit lichtstarken Objektiven zu schießen und Peilsender an Fahrzeugen anzubringen. Ich habe mir sogar einen Schlapphut gekauft und Löcher in die :bsz gebohrt.
Alles für diesen Moment. Jetzt gleich und hier werden alle Fäden zusammenlaufen, und ich werde die Verdächtigen überführen. Mein großes digital-analoges Datenkonvolut ist unschlagbar. Lange passiert nichts, doch ich bleibe wachsam. Ich will schon fast aufgeben, da sagt sie unvermittelt im Gespräch: „Manchmal sitze ich ja schon einfach ganz gerne im Café und schaue den Leuten auf der Straße zu.“ Mir klappt der Kiefer herunter. Das ist er, der Beweis, auf den ich so lange gewartet habe.
Ich habe es immer geahnt, doch endlich habe ich Gewissheit. Vor meinem geistigen Auge werden mir Pulitzer- und Friedensnobelpreis verliehen. Dazu noch ein Bravo-Otto in Silber. Ich bin komplett euphorisiert. Trotzdem formuliere ich vorsichtig, als ich in den Redaktionsraum nebenan platze und die Schlagzeile von morgen in die verdutzten Gesichter der anwesenden ReporterInnen und FotografInnen brülle: „Schrecklicher Verdacht: Regierung bespitzelt eigenes Volk!“