Vegetarische Vampire
Die Story mit Biss

Tot. Bruno ist tot. Seit einem Jahr weilt der nette, zottelige Problembär nicht mehr unter uns. Ein letztes Mal bäumte sich der mächtige Körper, dann sank er nach unten, in die ewigen Jagdgründe. Sein Tod unergründlich, die Frage nach dem „Warum?“ bleibt. Wurde sein Leben wirklich durch den tödlichen Schuss einer Flinte beendet, wie große Zeitungen und TV-Nachrichten uns reißerisch glauben machen wollten?

Oder kam alles ganz anders, und die aufgebauschte Story war nichts weiter als eine plausible Erklärung für einen tiefgründigen Sachverhalt, der mit menschlichem Verstand nur schwer greifbar ist…?
Klärung schafft in diesem Zusammenhang vielleicht das neue Buch von Stephenie Meyer „Eclipse“, das am 7. August in die Läden kommt. Schon in den zwei Teilen davor, „Twilight“ (Bis/s zum Morgengrauen) und „New Moon“(Bis/s zur Mittagsstunde), beschäftigt sie sich mit der etwas anderen Vampir-Thematik: Guten Vampiren, die sich von Grizzlies, Rehen und anderem Getier ernähren. Sie sehen sich als die Vegetarier unter den Vampiren und vergleichen ihren Lebensstil mit der Ernährung von Tofu: Es macht dich zwar nicht komplett satt, aber dennoch stark genug, um weiter zu leben, zu existieren. Im Gegensatz zu blutrünstigen Gestalten ihrer Art fühlen sich diese sesshaften Vegetarier unter den Vampiren dazu berufen, unter Menschen zu leben und Leben zu retten, anstatt sie auszulöschen.

Biss zum Morgengrauen
Nach jahrhundertelangem Training hat der älteste Vampir Carlisle, der mit seiner Gefährtin Esme fünf Vampir-Teenager adoptiert hat, die Fähigkeit erlangt, menschliches Blut zu sehen, ohne den alles dominierenden Hunger zu verspüren und arbeitet als Chirurg im Krankenhaus. In dem Städtchen mit dem höchsten Jahresniederschlag ist der Himmel stets bewölkt, die Unsterblichen können tagsüber agieren und hüten nur an einem der seltenen Sonnentage das luxuriöse Haus. Einziges Manko der makellosen Bewohner, ausgestattet mit schnellen Autos und übernatürlichen Fähigkeiten: Sie können nicht schlafen, als stets fitter Chirurg natürlich ein enormer Vorteil, doch dieser positive Effekt hat gleichzeitig einen entscheidenden Nachteil: Wer nicht schlafen kann, kann sich auch nicht näher kommen… Denn was passiert, wenn gegen Ende der Highschool-Zeit die Liebe ins Spiel kommt? Und zwar zwischen der Sterblichen Bella, gerade einmal 17 Jahre jung und dem seit 80 Jahren charismatischen, musikalischen Untoten Edward im Körper eines ewig 17 Jährigen, der die Gedanken von beinahe allen Menschen und Untoten um sich herum lesen kann? Die Liebesbeziehung mit einem Vampir ist alles andere als ungefährlich. Inwiefern können beide gegen das ankämpfen, was sie sind und ihre Triebe kontrollieren, ohne dass alles in einem blutigen Fiasko endet?

Dark Romance
„About three things I was absolutely positive. First, Edward was a vampire. Second, there was a part of him – and I didn’t know how dominant that part might be – that thirsted for my blood. And third, I was unconditionally and irrevocably in love with him…” Durch die Story führt Bella. Sie schildert ihre Erlebnisse mit den charmanten Untoten aus der sterblichen Perspektive. Eine interessante Wende im Vergleich zu den Chroniken der Vampire von Anne Rice, in denen der Leser das Geschehen stets aus Sicht der Blutsauger erlebt. Die Folge sind urkomische Dialoge, die das Buch zu einer unheimlich unterhaltsamen Lektüre werden lassen.
Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Entstehungsgeschichte der Trilogie. Denn Autorin Stephenie Meyer hatte nie die Absicht, einen Vampir-Roman (oder überhaupt jemals ein Buch) zu schreiben. Eines Nachts träumte sie von einem wunderschönen, makellosen Vampir, der mit einer Sterblichen gemeinsam auf einer Lichtung stand und sich in sie zu verlieben schien. Meyer war fasziniert von ihrem Traum und den Charakteren, und um, wie es bei Träumen allzu leicht passiert, von dem Traum und seinen Details nichts zu vergessen, setzte sie sich an den Computer und fing an, sie aufzuschreiben – und zu schreiben und zu schreiben und zu schreiben…
Entstanden ist ein etwas anderer Vampir-Roman. Natürlich dürfen in diesem Rahmen auch die klassischen Konflikte nicht fehlen. Vor dem Hintergrund der ungewöhnlichen Beziehung werden die uralte Vampir-Werwolf-Thematik, der Kampf Gut gegen Böse, das Opfern des eigenen Lebens für jemand anders, (moralische) Schwierigkeiten rund um die Transformation von Sterblich zu Unsterblich und last but not least vegetarische gegen menschenblutsaugende Vampire in einer bissig-alternativen Romeo und Julia-Facon behandelt.
Der dritte Teil erscheint pünktlich zu den Semesterferien am 7. August, Teil IV ist bereits für Herbst 2008 in Planung. Und ein Ende ist nicht abzusehen…

m jbö

Stephenie Meyer „Twilight“      Stephenie Meyer „New Moon”
ISBN-10: 0-316-01584-9Â Â Â Â Â Â ISBN 978-1-904233-87-9
$8.99               U.K. £ 9.99
Stephenie Meyer „Eclipse” ab 7. August erhältlich.
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Rezension: Weltreise mit 19 PS
Einmal um den Block

Im Januar 1956 macht sich der Bremer Kaufmann Wolfram Block in einem Lloyd LP 600 auf eine Weltreise, die ihn durch Südosteuropa, Asien, Nordamerika und ein Jahr und fünf Monate später wieder zurück nach Bremen führen wird. Sein Reisetagebuch erschien nach dessen Weltreise bereits als Jugendbuch mit Strichzeichnungen; nun wird es zusammen mit Wolfram Blocks Fotografien neu herausgegeben.

Insgesamt 89.100 Kilometer legt Wolfram Block auf seiner Reise zurück, davon 53.300 auf Straßen, Feldwegen und Wüstenpisten mit dem Auto, einem Lloyd-Kleinwagen mit 600 ccm Hubraum, den er vom Hersteller, der Borgward-Gruppe, gestellt bekommt. Den Rest – Geld für Essen und Sprit – muss Block aus der eigenen Tasche aufbringen, denn für großangelegte Unterstützung fehlt dem Bremer Automobilhersteller, der 1961 Konkurs anmelden wird, die Bereitschaft. In ein ungewisses Jahr 1956 startet Wolfram Block und macht sich auf den Weg, der zunächst über Jugoslawien, die Türkei, Irak und Iran nach Indien führt. Die Sowjetunion verweigert Block kategorisch die Einreise. Er übernachtet entweder im Wagen und ernährt sich von Zigaretten, Brot und Bohnen aus der Dose oder kehrt in ein auf dem Weg liegendes Gasthaus ein. Zwischendurch ist Wolfram Block auch Gast von im Ausland lebenden Deutschen, zum Beispiel einem in Teheran wohnenden Ehepaar. In der Türkei freundet sich Block mit dem Deutschlehrer Kemal Bey an, dessen Unterricht er beurteilen soll und bei dem er dafür kostenlos speisen und logieren darf.
Über Ceylon, Malaysia und Indonesien gelangt der Globetrotter nach Australien, wo Wolfram Block schließlich das Geld ausgeht und ihm nichts anderes übrig bleibt, als von August bis November, also im australischen Frühling, einer geregelten Arbeit nachzugehen – ausgerechnet bei der Lloyd-Vertretung „Stokoe Motors“ in Melbourne. Block wird „Mädchen für alles“ und darf Kühlschränke schleppen, Vergaser „einregulieren“ (nicht von Autos, von Rasenmähern) und zum Schluss sogar die Borgward- und Lloyd-Modelle des Händlers verkaufen. Zusammen mit den Zeitungsinterviews, die der Weltreisende nun immer öfter geben muss, hat er im November schließlich genug Geld zusammen, um seine Reise fortzusetzen; natürlich nicht, ohne ein Foto von der Ankunft des Olympischen Feuers in Melbourne zu schießen. In den Vereinigten Staaten stößt Block schließlich auf großes Interesse, denn für die Lloyd-Vertreter vor Ort, die den Zweizylinder-Kleinwagen ins Land der Straßenkreuzer importieren, ist der Weltreisende aus Deutschland eine wirksame Werbung und beschert ihnen eine unerwartete Steigerung der Verkaufszahlen.
Eigentlich mit der Absicht, das Jugendbuch aus den 50er Jahren über Blocks Weltreise neu aufzulegen, nahm Herausgeber Jan Eggermann Kontakt mit dem inzwischen 85 jährigen Wolfram Block auf. Schon bald wurde offensichtlich, wie sehr der Inhalt des Reisetagebuchs damals unter der Kürzung gelitten hat und wie viele unveröffentlichte Fotos zur Verfügung stehen, worauf das ursprüngliche Projekt einer unveränderten Neuauflage entsprechend geändert wurde. Ein Abenteuerroman ist die „Weltreise mit 19 PS“ nicht, dafür aber ein authentisches Stück Fünfziger-Jahre. Die Einträge aus dem Reisetagebuch Wolfram Blocks sind voller Anekdoten, Eindrücke von Land und Leuten, historischer Verweise und technischer Details. Blocks Stil ist leicht verdaulich und sein Humor manchmal ein klein wenig schadenfroh, so zum Beispiel, wenn er des besseren Getriebeübersetzungsverhältnisses wegen rückwärts eine Passstraße hinauffährt und an zahlreichen liegengebliebenen Lkws vorbeizieht.
Im Nachwort des Herausgebers wird außerdem das Verhältnis der Borgward-Gruppe und ihres Gründer Carl Borgward zu Blocks Vorhaben beleuchtet. Illustriert ist das Buch mit zahlreichen Schwarz-Weiß-Fotos, die den Lloyd auf den Stationen seiner Reise zeigen. Zwischen Fotos und Text findet man auf fast jeder Seite Abbildungen aus dem Fahrtenbuch Blocks, von Dokumenten, Visa, Zeitungsausschnitten und Karten. Fazit: Die „Weltreise mit 19 PS“ ist ein interessantes Zeitzeugnis und Bildband, nicht nur für diejenigen, die sich für alte Autos oder ferne Länder begeistern.

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Verlag: edition Garage 2cv
www.garage2cv.de
ISBN: 978-3980908238
Preis: 34,80 Euro
1. Auflage, Dezember 2006
159 Seiten
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Ein ganzer Tag in Hogwarts, der Zaubererschule – der Traum von 300 Harry Potter-Fans wurde letzte Woche cineastische Wirklichkeit. 476 Minuten lang zeigte eine Kinokette alle vier Abenteuer des Zauberers am Stück. Schöner ist nur Fliegen auf dem Feuerblitz.

Eigentlich haben Christian und Ramona ihr Stammkino in Lünen. Für den „Harry-Potter-Marathon“ ist das Paar aber gern nach Dortmund gekommen. „Für Harry würden wir fast alles tun“, schmunzelt die RUB-Studentin. Bevor um 00.01 Uhr die Premiere des neuesten Streifens „Harry
Potter und der Orden des Phönix“ anstand, flimmerten zunächst die vier bekannten Teile über die Leinwand.
„Es ist gar nicht so einfach, die Filmrollen für die älteren Filme zu besorgen“, erzählt Thorben Kasch, Leiter des Kinos. Die Vorbereitungen für den längsten Marathon in der Geschichte „seines“ Filmtheaters hätten ganze zwei Monate gedauert. „Ich kenne nur einen Fall, in dem ein Kino unserer Kette einen längeren Marathon gestemmt hätte“, schmunzelt Kasch. „Das waren 25 Star-Trek-Teile oder so.“ Für Dortmund stelle aber die Potter-Mania auf alle Fälle eine Rekordzeit auf.
Nicht nur dort: Während sich durch den neuen Film und die anstehende Buchpremiere des siebten Bands eine wahre Harry-Mania rund um den Erdball in Gang setzt, schließt Autorin Joanne K. Rowling nicht mehr länger aus, dass sie noch einen achten Band schreibt.
„Man soll nie nie sagen“, erklärte Rowling nach Angaben ihres Verlags Bloomsbury sibyllinisch.
Die Kinokarten gingen sowohl für den Potter-Marathon als auch für die Premiere des fünften Teils weg wie warme Semmeln.
Damit auch alle Fans Harrys Werdegang vom unbedarften Unwissenden zum „auserwählten“ Kämpfer gegen das Böse wach durchstehen, ist eine „Kaffee-Flatrate“ im Eintrittspreis von 19 Euro inbegriffen. 120 Tassen fließen allein vor dem ersten Teil durch die Kehlen – Koffein ist heute Grundzutat aller Zaubertränke. Auch Kathrin Müller braucht Hilfsmittel zum Durchhalten. Sohn Dirk hat extra zwei Kissen dabei. „Teil Zwei kenn ich schon“, da kann der 11-Jährige schlummern. „Und was mach ich?“, grinst seine Mutter. Auch Tochter Lina (14) hat alle Bücher seit „Harry Potter und der Stein der Weisen“ verschlungen. Der erste Band erschien 1997, da war Dirk ein Jahr alt. „Aber als ich lesen konnte, habe ich sofort mit Harry angefangen“, erzählt der Hauptschüler stolz. Mutter Kathrin denkt pragmatischer: „Ich habe bisher keinen der Filme gesehen – durch den Marathon verstehe ich wenigstens den neuen Teil.“

„Kaffee-Flatrate
und Kissen dabei“
Zwischen den Filmen wird den magischen Marathonteilnehmer jeweils 15 Minuten Pause eingeräumt. Zeit zum Durchschnauben, denn die Filme werden von Teil zu Teil actionreicher. Im fünften Teil „Harry Potter und der Orden des Phönix“ muss der Titelheld eine Menge aushalten. Zum einen wird der junge Magier von Visionen heimgesucht, und zum anderen quält ihn eine neue Lehrerin an der Zauberschule Hogwarts. Potzblitz!
„Gerade das mag ich an der Serie“, sagt Elke Lutzka. „Die Geschichten gefallen Kindern, haben aber auch tolle Momente für Erwachsene.“ Es gefällt ihr, mit dem Helden mitzufiebern: „Damit flüchte ich mich aus dem Alltag. Man wird in andere Welten hineingezogen.“ Die 38-Jährige ist mit Ehemann Frank da. „Meine Frau hat mich infiziert“, lacht er.
Auch wenn die 300 Hardcore-Harry-Fans im Saal fast unisono die Bücher bevorzugen, dieser Tag im Kino fasziniert sie alle. „Ich bin damit einen Tag im Magierreich“, bringt der 11-jährige Dirk es auf den Punkt. Für einen Muggel wie ihn ist das sonst eben schlecht möglich.

„Ein ganzer Tag
im Magierreich“
Nach dem vierten Teil servierte das Kino ein chinesisches Büffet, ganz nach dem Geschmack von Harry-Freundin Cho Chang. Die wird der „Quidditch“-Spieler schließlich im neuen Film küssen dürfen. Das wird gegen 1 Uhr auf der Leinwand zu sehen sein.
Auch wenn die eine Hexe oder der andere Zauberer trotz Getränken und Verteidigung gegen die dunkle Müdigkeit zwischendurch kurz wegnickt – in diesem Moment werden alle wieder komplett konzentriert im Bann ihres Helden stehen.

m bp

Ein Fest für die Schattenwirtschaft

Das musste jetzt mal sein. Wenn die verantwortlichen Herrschaften schon so nett sind die große Zusammenkunft der Liebe (die Loveparade), von unserer werten Bundeshauptstadt Berlin in die Kulturhaupstadt 2010 zum Berliner Platz verlegen, darf die BSZ vor Ort nicht fehlen.
Millionen Raver waren von den Pressekollegen angekündigt worden, die sich durch die Straßen der sonst eher bescheidenen Essener City quetschen würden, begleitet von lauter Musik und bestückt mit ebenso laut leuchtenden Bekleidungsstücken. In Erwartung dieser farbenfrohen Gesellschaft machen wir uns also auf den Weg zu Floats und Beats.
Schon auf der Anreise zur Partylocation, welche wir dank naher Wohnstätte zu Fuss zurücklegen begegnet uns das erste internationales Publikum und fragt uns nach Auskünften in einer uns fremden Sprache. Nach einigen Versuchen mit Gestik und Mimik die Fragestellung zu klären, einigen wir uns darauf, dass es nur Einheimische mit von Alkohol und Drogen gelähmter Zunge waren, die wie mit ihren artikulatorischen Problemen lieber alleine lassen.
Ein paar hundert Meter stehen wir mittendrin in dem, was man wohl Loveparade nennt. Wenn wildes Saufen und wildes Pinkeln als freie Liebe gedeutet werden, sind wir hier genau richtig. Lautstärketechnisch bin ich erstmal enttäuscht. Eine zwölfköpfige Jugendgang samt getuntem VW Polo hat etwa das gleiche Niveau.
Sesselpupser und Ampelmännchen
Nur die wenigsten Anwesenden scheinen von Verkleidung und Bewegung als Raver und Techno-Jünger identifizierbar. Selbst auf den Lastkraftwagen, pardon: Floats, scheinen sich die Langeweiler aus den Essener Büroetagen eingekauft zu haben und bewegen ihre biergeformten Leiber höchst unrhytmisch im Dreivierteltakt oder jedenfalls gegen den Beat der unter ihnen wummernden Boxen. Auf den Straßen selbst bleiben genügend große Lücken für die Senioren, die noch mal schnell in die Stadt wollten, um was zu besorgen, sowie für die Scharen von Komasäufern, die nachmittags um viere auf dem Asphalt liegen als hätte der Erdboden sie ausgekotzt oder noch etwas munterer die Ampelmasten hochklettern, weil sie es im fernsehen so gesehen haben.
1,2 Millionen?
Wie rechnen die Verantwortlichen eigentlich die Teilnehmer aus? In den historischen Rückblicken der TV-Sender fing alles mit 150 Ravern im Jahre 1989 an. Schon im Jahr darauf waren es 1500 dieser zappelnden Gesellen auf dem Berliner Ku-Damm. Doch ab dem dritten Jahr beginnt die Zahlenverfälschung. Ab sofort werden Besucher gezählt, nicht Raver. Also auch all die Omas und Opas am Strassenrand, welche beim Einkauf in ihrer Pelzboutique aus den Tagträumen gerissen werden und mal kurz schauen, was denn da auf der Straße so wummert und ob es nicht doch die Russen sind, die da kommen. Wer nun in Essen von über einer Million Besuchern spricht, rechnet neben den 20000 Ravern auch die 980.000 Schaulustigen und sonstigen Einwohner, welche gerade mal beim Bratkartoffeln ihr Küchenfenstern auf Kipp stellen, mit.
Was all diese Menschen scheinbar ermöglichen, ist die Umsatzsteigerung der Essener Wirtschaftskleinbetriebe. Selbst die hinterletzte Kaschemme, vom ordinären Call-Shop bis zum Fahrradladen, hat sich das Warenlager voller Bier- und RedBull-Dosen gestopft, in der Hoffnung auf das Geschäft des Jahres. Diese Hoffnungen wurden für die meisten Geschäftsleute erfüllt.
Schattenwirtschaft
Im Schatten dieser Verkaufsumsätze floriert zudem ein zweiter, oft in der Öffentlichkeit verschwiegener, Wirtschaftszweig: Die Pfandwirtschaft. Auch wenn es sicherlich einfacher wäre, direkt seine Geldscheine auf Straße zu werfen, hat sich die Raver- und Sauf-Gemeinde dazu entschlossen, das Vermögen in kleine Stücken auf dem Asphalt zu verteilen. Hier liegen mehr Flaschen als Menschen auf der Schützenbahn. Soviele, dass selbst die bei jeder kleineren Feierlichkeit aus ihren Löchern kriechenden Flaschensammler an die Grenzen ihrer Arbeitskraft geraten. Müllsäckeweise werden hier Millionen gesammelt und verdient, von Menschen die vielleicht trotz einer möglicherweise vorhandenen Notlage noch Geschäftssinn haben und sich nicht zu schade sind ihre Geldbündel zunächst in 8-25cent teuren Plastikstücken von der Fahrbahn zu kratzen. Danke an dieser Stelle an die Unterstützer dieser Schattenwirtschaft.
Bleibt nur noch die Geschichte von dem jungen Mann, der beim Versuch ein vor öffentlichen Blicken geschütztes Plätzchen zum Wasser lassen zu finden, sich auf abschüssigem Gelände über einen Zaun schwang und mit bereits geöffneter Hose ins Rutschen geriet, sich im Zaun verfing und sich dabei eine klaffende Fleischwunde im Bauchbereich zuzog. Gute Besserung.

RRR
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Bonjour Russland

Das museum kunst palast stellt Meisterwerke der russischen und französischen Moderne aus.

Seit dem 15. September 2007 sind im Düsseldorfer museum kunst palast bekannteste Bilder der französischen und russischen Moderne zu bewundern. Das wohl bekannteste Gemälde der Ausstellung ist “ Der Tanz“ von Henri Matisse, das von Schtschukin in Auftrag gegeben wurde, um das Treppenhaus seiner moskauer Villa zu verschönern. Die Größe des Bildes ist daher nicht zu verachten.
Die 126 Bilder beschreiben die Entwicklung der russischen Kunst von 1870 bis 1925 unter dem Einfluss der französischen Avantgarde, einer politischen und künstlerischen Bewegung des 20. Jahrhunderts, die eine starke Orientierung an der Idee des Fortschritts und besondere Radikalität auszeichnet. Sie sind eine Leihgabe der Eremitage, des russischen Museums in St. Petersburg sowie des A.S.-Puschkin-Museums und der Tretjakow – Galerie in Moskau.
Die Ausstellung ist in vier Themenkomplexe gegliedert, die nach Sir Norman Rosenthal, dem Chefkurator, die russisch-französische Beziehung verdeutlichen sollen.
Russischer Realismus und französischer Naturrealismus
Der erste Teil befasst sich mit der Kunst gegen Ende des 19. Jahrhunderts, in dem Ilja Repin soziale Missstände anprangert. Er hält in seinen Bildern Momentaufnahmen fest, die Gefühle widerspiegeln, wie zum Beispiel den Zeitpunkt als Zar Nikolaus der Zweite das Oktobermanifest erlässt und damit die erste russische Duma beruft. Außerdem wird eine Gegenüberstellung des russischen Realismus und des französischen Naturalismus durch Gemälde von Rousseau, Corot und Tissot deutlich.
Sammlungen von Morosow und Schtschukin
Der zweite Sektor, die Sammlungen von Morosow und Schtschukin, dessen Herzstück der oben erwähnte „Der Tanz“ ist, beherbergt außerdem Bilder von Monet, Cézanne, Gaugain, van Gogh, Matisse und Picasso.
Der dritte Bereich ist dem berühmten Theater-Impresario und zeitgenössischen Ausstellungsorganisator Sergei Diaghilew und seiner „Welt der Kunst“ gewidmet. Er spielte eine wesentliche Rolle bei der Präsentation französischer Kunst in Russland, sowie er auch bemüht war russische Kunst nach Westeuropa zu bringen. Vorgestellt werden in dieser Abteilung Künstler wie Léon Bakst, Boris Kustodiew, Nikolai Roerich, Alexander Golowin und Valentin Serow sowie eindrucksvolle Portraits der großen kreativen russischen Persönlichkeiten wie Wsewolod Meyerhold, Fedor Schaljapin und Anna Achmatowa.
Russische Moderne
Der vierte Abschnitt beschäftigt sich mit der russischen Moderne: Vom Primitivismus zur Abstraktion im ersten Viertel des 20. Jahrhundert. Die Vielzahl der Gemälde reicht von den innovativen Werken Kandinskys, der als Schöpfer der Abstraktion gilt, und Chagalls bis hin zu den radikal abstrakten Werken von Malewitschs.
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Öffnungszeiten:
Bis zum 6. Januar 2008
Mo bis So: 10 bis 20 Uhr

Eintritt:
Mo bis Fr: 10 Euro
Sa und So: 12 Euro
Ermäßigt: 7,50 Euro

Audioguide:
4 Euro, ermäßigt 3 Euro

Dicke Jacken und große Taschen müssen abgegeben werden und kosten pro Stück 1 Euro!
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 In dieser Woche feiert eine der wichtigsten Institutionen der Ruhr-Universität ihren zehnten Geburtstag: Das Kulturcafé. Eine ganze Dekade standen Getränke, Gespräche und Gemütlichkeit bereit um die Studis zu erfreuen. Die bsz durfte hinter die Theke schauen und sprach mit Hüseyin Bali.

Angefangen hat die Verbindung von Kultur und Café am 23. Oktober 1997 und seitdem ist der Treffpunkt im Studierendenhaus gegenüber der Verwaltung beliebt. Im Unialltag ist hier Raum von Studis für Studis sich ins Sofa zu kuscheln, bei einem Getränk eine Kleinigkeit zu essen und die Seele baumeln zu lassen. Abends wechseln sich multikulturelle Themenabende, Parties, Kinovorstellungen, Lesungen und andere Veranstaltungen ab. Von Grund auf und Anfang an dabei ist Hüseyin. Für viele Besucher ist er nur omnipräsente Mann hinter der Theke, der manchmal zwar grummelig schaut, einem aber dann doch mit einem Zwinkern die Cola reicht. Oder auch mal mit Kuchen, Waffeln, Eis, kurz allem was gut tut. Immer wieder bewundert: Die Brötchen und Baguettes, die kunstvoll mit einem gurkenverziertem Zahnstocher zusammengehalten werden. Liebevoll belegt werden sie in der geheimnisvollen kleinen Küche hinter der Theke, in die schon mancher Student einen neugierigen Blick warf. Der Mann hinter der Theke hat quasi das KulturCafé als Bauhelfer den Betonplatten abgerungen und gemeißelt. Danach begann er als Kellner und ist seit 2000 Geschäftsführer. Dabei ist er als in der Türkei studierter Literaturwissenschaftler und Historiker eigentlich sogar überqualifiziert, doch im Verhältnis mit seinen akademischen Gästen hilft es ihm bestimmt.
Putzen muss sein
In den zehn Jahren KulturCafé haben die mittlerweile charmant abgewetzten Bänke und das über der Theke hängende Boot viele Menschen und Veranstaltungen gesehen. Sehr beliebt sind die regelmäßigen Jazz Sessions, Karaokeabende, Nachwuchsabende mit „Students on Stage“ oder „Campuscamp“, Kulturbrunches und Public Viewing von Sportevents. Auch viele Künstler, Autoren und Musiker schätzen die unkonventionelle, heimelige Atmosphäre. Immer wieder beherbergte das KuCa auch Theaterfestivals, das Videofestival und andere studentische Initiativen. Erfreulich für die Studenten, denen das KulturCafé einen Raum gibt, manchmal zum Unmut für Hüseyin, wenn das Aufräumen und Putzen vernachlässigt wird. Ungemütlich wird Hüseyin auch, wenn die Toiletten allzu stark verschmutzt werden, was leider immer wieder vorkommt. Ein weiterer Aufreger für die kurdisch-türkische Seele des KulturCafés ist es, wenn er in politische Schubladen gesteckt wird. Er arbeitet liebend gern für und mit Studentinnen, möchte aber nicht kategorisiert werden.
Trotzdem arbeiten die Kellner und der Geschäftsführer gerne für ihre Studis, und es gibt immer wieder Momente die ihnen beweisen: Deswegen arbeitest du so gerne hier! Sie sind sich der Einzigartigkeit der Einrichtung voll bewusst und dem AStA dankbar, dass das Kulturcafé über einen so langen Zeitraum bestehen bleibt. Schließlich tut es eine ganze Menge für das Wohlgefühl der Studenten und somit warscheinlich mehr als die grauen Eminenzen von gegenüber. Eine einzigartige Einrichtung, die von der Vielfältigkeit der Mitarbeiter und Besucher lebt. Denen gefallen vor allem die gut besuchten Veranstaltungen, da die Stimmung dann am Besten ist und das Arbeiten am meisten Spaß macht. Das ist auch der Wunsch für die Zukunft des Geburtstagskindes KulturCafé – weitere zehn Jahre voller unterschiedlicher Menschen und Veranstaltungen. Und was macht Hüseyin in 10 Jahren? Weiterhin seine Frau und Tochter ärgern, weil er zu viel Zeit im KulturCafé verbringt – TeÅŸekür ederim, Hüseyin!

Ein Mix aus Coldplay und Queen, mit einem Schuss Sigur Ros-Schwelgerei: Die selbst ernannten „Pelzmützen-Indie-Rocker“ von Polarkreis 18 vereinten beim umjubelten Konzert im Dortmunder FZW wohl bekannte Muster – und verursachten kollektive Gänsehaut auf gut 600 Unterarmen.

Irgendwo hatte man das alles schon einmal gehört und gesehen, was da im FZW erklang. Nicht nur äußerlich, auch akustisch ähnelt „Polarkreis 18“-Frontmann Felix Räuber Coldplay-Gutmensch Chris Martin frappierend. Nach dem selbstbetitelten Debüt-Album wurden die fünf Dresdner von der Fachpresse (nicht nur hierzulande) zu neuen deutschen Hoffnungsträgern hochgejazzt. Um es von vornherein zu schreiben: Der Autor dieser Zeilen ist versucht nach einem außergewöhnlichen Konzertabend, in den Chor der hypenden Schreiberlinge einzustimmen.
Den schwelgerischen Rock als Adaption bekannter Brit-Pop-Helden zu bezeichnen, wäre verfehlt. Polarkreis 18 agieren tatsächlich noch opulenter als die offensichtlichen Vorbilder, sowohl in der Instrumentierung als auch in ihrem ganzen Habitus.
Beispiel gefällig? Vor dem ersten Song stehen die komplett in weiß gekleideten Sachsen minutenlang auf der stockdunklen Bühne herum. Das war pure Inszenierung trotz Technik-Problemen von Bassist Uwe Pasora. Die durch jene Frickel-Pause arg überstrapazierte Verzögerung überbrückte Frontmann Räuber mit träufelnder Pseudo-Poesie: „Gleich wird die Elektronik unseren Bassisten beglücken, auf dass er euch beglücke.“ Soviel Pathos kann in einem Konzertpublikum auch Platzangst verursachen – die gut 300 Zuhörer im FZW zieht Räuber so von vorneherein in seinen Bann.
Die sphärisch-schwelgerischen Indieklänge seiner Mitmusiker verzauberten zusätzlich. Gänsehaut statt Pogo prägte diesen Abend, wenn die Band auch durchaus tanzbar sein kann. Das überambitionierte „Crystal lake“ geriet zum heimlichen Höhepunkt und wurde gleich dreimal gespielt. Selbstdarsteller Felix Räuber war indes der Fixpunkt im Melancholie-Gestirn, zu dem die FZW-Bühne eine gute Stunde lang mutierte. Trotz vielerlei Anleihen aus der Pop-Historie der letzten 20 Jahre tönte dieser selbstbewusst: „I cover myself“. Nichtsdestoweniger wusste Räuber aber auch, wem er die Stärke „seiner“ Balladen zu verdanken hat. Immer wieder räumte er seinen Mitspielern Soli ein, stellte sich zu ihnen und pushte sie, verließ bei Instrumentalstücken gar die Bühne. Vor allem Keyboarder Bernhard Wenzel trieb seine Elektronik dabei zu immer neuen träumerischen Höhen.
Trotz Räubers Coldplay-Sirene und Queen‘scher Opulenz bleibt nach diesem Abend vor allem ein Eindruck hängen. Man könnte hier ein Sigur-Ros-Album gehört haben, das noch keiner kennt. Kein Wunder, denn deren Heimat Island ist schließlich vom Polarkreis nicht weit entfernt.
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Es wird erobern die Massen geschwind,
die Inszenierung von Orlando und Rosalind.
Die neue Spielzeit des Schauspielhauses begann am Freitag mit einem Klassiker und einer Überraschung: Shakespeares „Wie es euch gefällt” wurde von Intendant Elmar Goerden erstaunlich verspielt und publikumswirksam inszeniert.

Nach vielen negativen Kritiken im vergangenen Jahr und einer überlangen Sommerpause wurde die Premiere mit vorsichtiger Vorfreude erwartet – die Skepsis erwies sich jedoch als unbegründet. Es war Platz auf der Bühne für heitere und ernste Momente, die sich trotz moderner Umsetzung an die klassische Vorlage anschmiegten.
Autor William Shakespeare schuf mit „Wie es euch gefällt” eine Verwechslungskomödie, die mit Augenzwinkern die Zufälligkeit der Liebe parodiert und dabei höfische Umgangsformen karrikiert. So werden die jungen Liebenden Rosalinde und Orlando von ihren Vormündern Herzog Frederick und Oliver de Boys verbannt und treffen im Ardenner Wald auf eine Mischung ganz unterschiedlicher Menschen. Durch dieses Tohuwabohu aus Verwechslung und Verkleidung entdecken sie die Liebe, sich selbst, die Liebe zu Anderen, oder denen, die sie zu lieben glauben, oder so ähnlich.
And Iiiiiiiii,
will always…
Die altenglische Vorlage liefert dabei Spannungsmomente von denen schon Hollywood abkupferte („Haaach! Wann kriejen se sisch denn nu endlich?!”). Auch Elmar Goerden war sich nicht zu fein in die amerikanische Trickkiste zu greifen und diese ebenso anzuprangern wie Shakespeare die höfische Gesellschaft. Nicht nur die Hofnarren, die in Sachen Liebe gar nicht so närrisch sind, zitieren aus „Dirty Dancing” und dem „Dschungelcamp”. Auch der liebestolle Orlando windet sich in schmalzigen Melodien populärer Musikdiven. Der Charakter verliert dadurch keinesfalls an Ernsthaftigkeit seiner Gefühle, auch wenn das Publikum lacht. Die Darsteller zeigen auch in den abstrusesten Charakteren die verspielte Verletzbarkeit der Liebe einerseits und ihre Unverständlichkeit für Außenstehende andererseits, wie in Adam oder Audrey. Es sind die Sprünge in der Sprache, die Symbolik der wechselnden Kostüme, die dem Publikum die ernsten Momente verdeutlichen, ohne den Überblick zu verlieren. Zusätzliche Denksportaufgabe für das Publikum: Die fast schon banale Gehbehinderung Phoebes und das Bühnenbild in Form eines Flugzeugwracks sind als Symbolik zulässig, da nicht aus der Luft gegriffen, wenn auch fragwürdig. Goerden wird dennoch dem klassischen Shakespeare gerecht, weil er die wichtigen Faktoren von „Wie es euch gefällt” beibehält: Liebe, die nur in ihren Beispielen zu zeigen und schon gar nicht zu verstehen ist, verursacht Chaos, vor allem bei denjenigen, die sie und sich selbst allzu ernst nehmen.
Theater für
Anfänger?
Viel, für Manchen zu viel, Verständnis für aufrüttelnde Showeffekte musste das Publikum im Bochumer Schauspielhaus am vergangenen Freitag aufbringen.”Sowas kannste auf `ner Sylvesterfeier bringen, aber doch nicht im Theater!” waren die Kritiken älterer Herrschaften, ohne zu bedenken, dass die Reaktionen auf Shakespeare zu seiner Zeit ähnlich ausfielen. Böswillige Kritiker können Goerden, getreu dem Titel „Wie es euch gefällt” einen Hang zur seichten Unterhaltung des Mainstreams vorwerfen. In der Reihe klassischer englischer Dramen im Schauspielhaus wird auch dieses ein Publikumsmagnet werden, da es unterhaltsam und nachdenklich, massenkompatibel und leicht zu verstehen ist, „Schatz, ich führ dich heut’ Abend groß ins Theater aus!”. Was bleibt, wie die Ewigkeit der Liebe, ist die Frage nach den Gütekriterien des Theaters.
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Tocotronic in Essen – Zündender Zustandspop

Sie sind – immer noch – die Heroen des alternativen Absagens. Im Rahmen ihrer „Kapitulation“-Tour präsentierten Tocotronic in der Essener Weststadthalle zündenden Zustandspop in, für ihre Verhältnisse, ungewohnt opulenten Ausmaßen.

„Sag alles ab – und kapituliere“: Wenn Dirk von Lowtzow seine Verse Richtung Mikro schleudert, scheint es meist, als spräche er durch eine Flustertüte. Der Tocotronic-Frontmann haucht laut – ein Paradoxon, das sich im ohnehin eskapistischen Sound der Truppe schnell auflöst. Er würde sagen, er kämpft gegen sich selbst. Nichts Neues ist das, von Lowtzow hat das auch vor 14 Jahren in Hinterhof-Garagen schon getan. Tocotronic spielen eben konsequent gegen jeden Trend an. Eine gute Erklärung auch dafür, dass an diesem Dienstagabend das gut 1000-köpfige Publikum in der Weststadthalle vom getreuen Mittvierziger bis zum orientierungssuchenden Präpubertären einen verblüffend bunten Mix darstellt. Wer sich keinem Trend unterwirft, gerät nicht in die Mühlen des Zeitgeistes.
Die wirkliche Erkenntnis von Essen ist aber freilich eine andere. Sound und Show, von den vier Großmeistern der Hamburger Schule in vielen Jahren Bühnenerfahrung immer weiter perfektioniert, werden hinter der Demonstrationslyrik mehr und mehr zum wahren Ereignis eines Tocotronic-Abends.
Rick McPhail etwa erzeugt mit verzerrter Gitarre eine druckvolle Dichte, der kaum zu entkommen ist. Das präzise Schlagzeugspiel von Ex-Punker Arne Zank dient dem als perfekter Verstärker. Das nimmt die Weststadthalle gleich vom ersten Song an gefangen – „Mein Ruin“ vom aktuellen Album „Kapitulation“ führt nicht nur textlich eine von vielen Offenbarungen des Abends an.
Zusätzlich zur treibenden klanglichen Opulenz, gerade der neuen Stücke, bilden von Lowtzow und McPhail auch im Auftritt ein perfektes Gespann. Während der Frontmann hetzt und hadert, ist der Gitarrist die Lakonie in Person. Er raucht und trinkt während der Songs, legt seine Gitarre zwischenzeitlich auf den Boxen ab, spielt relaxed im Liegen, verschiebt die Mikrofonständer ins Publikum. Von Lowtzow postuliert dazu: „Kommt alle mit / Spendet Applaus / Ich bin ein Star / Holt mich hier raus“. Wie wahr. Das hypnotisierte Publikum tat wie ihm geheißen.
Großes Theater ist das, und es bedient sich aller Genres. Als Schlagzeuger Zank die Fußtrommel bricht, spielt von Lowtzow solo die ruhige B-Seite „Andere Ufer“. Am Ende von 115 Minuten, 22 Songs und fünf Zugaben scheinen die Hamburger mit einem trockenen Trash-Outro da angekommen, wo sie einmal waren: Im Garagen-Sound.
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Wir bauen es, wir bauen es nicht

Nach 88 Jahren sollen die Bochumer Symphoniker eine eigene Spielstätte in der Innenstadt bekommen. Den Plan gibt es schon lange, und immer ging er schief. Vielleicht klappt es diesmal.
„Soweit wir wissen, sind die Architekten seit einiger Zeit mit den Planungsarbeiten beschäftigt.“, schrieb die Westdeutsche Rundschau. “ Leider ist dieses für das Bochumer Musikleben so wichtige Projekt zurückgestellt worden. Aber man sollte jetzt wirklich auf Beschleunigung bedacht sein. Es ist im Interesse sowohl des Schauspielhauses als auch des Niveaus der Konzertdarbietungen wünschenswert, dass der Konzertsaal endlich gebaut wird. Dann können sämtliche Konzertserien, die jetzt auf verschiedene Häuser verteilt sind, unter einem Dach und in einem akustisch einwandfreien Saal absolviert werden.“ Es ist jetzt 43 Jahre her, dass dieser Artikel in der Westdeutschen Rundschau erschienen ist, aber ein neues Konzerthaus haben die Bochumer Symphoniker immer noch nicht.
Die Symphoniker gibt es seit 1919, und in den vergangenen Jahrzehnten haben sie in verschiedenen Räumen geprobt und gespielt. Ebenfalls seit Jahrzehnten soll sich dieser Zustand ändern. Der Verein „Freundeskreis der Bochumer Symphoniker“ wünscht sich eine „angemessene Wirkungsstätte“ mit „Nutzungsmöglichkeiten für andere kulturelle Einrichtungen unserer Stadt.“. Der neue Bau soll auf dem Marienplatz in der Innenstadt stehen und 29,3 Millionen Euro kosten. 15 Millionen würde die Stadt Bochum bezahlen, der Rest soll aus Spenden finanziert werden. Fünf Millionen Euro spendet der Bochumer Lottokönig Norman Faber, der bis zum Jahr 2002 auch Hauptsponsor des VfL Bochum war. Das Geld gibt es aber nur unter drei Bedingungen, wie er vor einem Jahr bekannt gab: Zum einen muss der Bau bis zum Februar 2008 von Politik und Verwaltung beschlossen sein, damit das Konzerthaus fertig ist, wenn Bochum 2010 Kulturhauptstadt wird. Zweitens muss der Bau in der Innenstadt liegen, um die Symphoniker zu einem „vertrauten Teil städtischen Lebens zu machen“. Drittens sollten andere Bürgerinnen und Bürger weitere zwei Millionen Euro spenden, um das gesellschaftliche Engagement sichtbar zu machen.
7,3 Mio. Miese
Diese Spenden konnten rechtzeitig eingetrieben werden, und auch der Stadtrat hat dem Bau mittlerweile zugestimmt. Gegen die Stimmen der Sozialen Liste und der LINKEN beschlossen die Ratsmitglieder vor kurzem, dass der Bau losgehen kann, sobald das weitere Spendengeld da ist. Es fehlen aber noch immer 7,3 Millionen Euro. Der letzte große Anlauf, den Befürwortende des Konzerthauses im Jahr 1998 für den Bau nahmen, ging schief. Am Dr.-Ruer-Platz sollte das Gebäude damals entstehen, die Pläne waren schon fertig. Am Ende wurde doch nichts daraus, und so warteten die Musikerinnen und Musiker weiter auf ihr eigenes Gebäude. Eigentlich haben sie es nach so langer Zeit verdient. In den letzten 88 Jahren mussten sie mehrmals umziehen, wegen zu kleiner Räume auf Fluren herumstehen und auf ausgefeilte Akustik verzichten. Andererseits gibt es schon große Symphoniehäuser in vielen anderen Städten des Ruhrgebiets, etwa in Essen. Braucht man wirklich ein eigenes, wenn das nächste nur einige Minuten entfernt ist? Und selbst, wenn die Stadt nur die Hälfte der Finanzierung übernimmt, sind es trotzdem noch 15 Millionen Euro, die anderswo fehlen – zum Beispiel bei den Schulen. Vielleicht würde das Geld aber auch in weit unsinnigere Projekte fließen. Schließlich bewegt sich auch der aktuell entstehende „Rote Teppich“ aus farbigen Pflastersteinen vor dem Bahnhof in derselben Preiskategorie. Ob sie es nun bauen oder nicht, werden wir bald herausfinden. „Zwei Monate nach dem vorgesehen Baubeginn des Konzertsaales im Stadtpark steht nunmehr fest, dass zunächst für die kommenden Jahre aus finanziellen Gründen überhaupt nicht mit dem ersten Spatenstich begonnen werden kann.“, vermeldeten die Ruhrnachrichten 1965. Vielleicht funktioniert der Plan ja dieses Mal.         sjn