:bsz-Kolumne
Das Weihnachtsfest bildet – Mensch sei Dank – einmal im Jahr den Höhepunkt der symbolisch und semantisch absolut sinnentleerten christlichen Traditionen der westlichen Welt. Schon der Höllenrundgang auf dem Weihnachtsmarkt beginnt mit erdnah, stellenweise gefährlich und geradezu expressionistisch verlegten Kabeln, die aus dem schlichten Pflaster einen Trimm-Dich-Pfad machen. Abgelenkt vom Glockengebimmel, Rolf Zuckowskis Vorstellung eines Weihnachtsliedes und Gegröle, nagt an uns unablässig die Furcht vor dem Fall. Die Weihnachtsodyssee wird durchgehend von einer latenten Angst um Geld und Geist begleitet. Nicht nur wegen der völlig überteuerten Preise – denn wo sonst als auf Weihnachtsmärkten ist es möglich, dass für eine Pommes-Currywurst sieben Euro verlangt und gezahlt werden? Nein, auch Wham’s! „Last Christmas“ ruft uns schonungslos die tief verdrängten Weihnachtserinnerungen der letzten Jahre wieder ins Gedächtnis und nagt, spätestens nach der vierzigsten Wiederholung, an unserem inneren Gleichgewicht. Das erklärt auch, weshalb sich die Menschen gerade zur Weihnachtszeit, von Groll und Nerven zehrender Anspannung getrieben, panisch durch die geschmückten Gassen drängen. Ein Glühweinbesäufnis jagt das nächste: Regelmäßige Alkoholzufuhr besänftigt den allseits präsenten Kompensationsdrang bedingt durch weihnachtliche Gute-Laune-Zwänge.
Bis zur ersehnten und hochwillkommenen Besinnungslosigkeit am Heiligen Abend unterwirft man sich aufkommender Geschenk-Kauf-Zwänge. Um von Familien und Freunden wegen fehlender Geschenke nicht mit vernichtender Verachtung gestraft zu werden, möchte man dann doch lieber seinen Teil dazu beitragen. Ist schließlich Weihnachten, Fest der Liebe und so. Doch zu falschen Geschenken gesellen sich naturgemäß falsche Freude. Deswegen bekommt Papa auch mal wieder von jedem ein paar hübsche Norwegersöckchen und Mama darf sich das sechzigste Kochbuch ins Regal stellen. Darüber freuen sich die Eltern schon fast bühnenreif – sie konnten schließlich schon viele Jahre dafür proben. Ein Jahresabschnitt voller Stress und Entbehrungen. Und wehe, ein gottloser Ketzer vergisst das alljährlich möglichst grässlich zu schmückende Nadelgewächs. Eine fehlende Tanne am Heiligen Abend löst selbstverständlich bei den meisten Menschen unerwartete psychische Verzweiflung aus. Man zahlt also besser für den Weihnachtsbaum als mit deutlich mehr Geld den stattdessen benötigten Psychiater. Einen Seelenklempner benötigen auch diejenigen, die sich am Heiligen Abend schon gewohnheitsmäßig fragen, wann wohl der erste Familienstreit vom Zaun gebrochen werden wird. Denn potentielle Gründe gibt es wahrlich genug: Gestresst sind grundsätzlich alle. Zusätzlich unter Druck steht, wer für das Weihnachtsessen zuständig ist oder schon seit mehreren Stunden darauf wartet. Bis es endlich losgeht, bleibt allen Weihnachtsopfern nur, Nerven zu bewahren und darauf zu hoffen, dass die unseligen Feiertage so schnell wie möglich vorübergehen. Frohe Weihnachten!