Ihr „Renommee“ habe die eingangs als „Fabrikschloss der Wissenschaft“ charakterisierte älteste Revieruni einst in ihrer Eigenschaft als „Arbeitsuniversität“ erworben, konstatieren der Politikwissenschaftler Wilhelm Bleek und der Historiker Wolfhard Weber als Herausgeber des von Altrektor Dietmar Petzina inspirierten 180-seitigen Bandes.

Volle Volluniversität

Mit dem Germanisten Siegfried Grosse kommt gleich zum Auftakt ein weiterer Altrektor zu Wort, der die Historie der 1965 eingeweihten Hochschule aus Sicht der einstigen „Gummistiefelgeneration“ auf Europas damals größter Baustelle beschreibt. Ursprünglich war die Ruhr-Uni, an der vor etwas mehr als fünf Jahren noch rund 42.000 HörerInnen eingeschrieben waren, für nur zehn- bis zwölftausend Studierende konzipiert. Professor Grosse beschreibt den Prozess der allmählichen Öffnung der ersten Ruhrgebietsuniversität für die breite Bevölkerung in der Region und zeichnet damit den Gründungsgedanken der RUB nach, eine ausstrahlende regionale Wirkung zu entfalten. Harro Müller-Michaels, ebenfalls Germanist und in den Jahren 1996 bis 2000 Prorektor für Lehre, Studium und Studienreform, nimmt die Ruhr-Uni in seinem Beitrag zudem noch als „Volluniversität“ in voller Blüte mit einer Fülle interdisziplinärer Verknüpfungsmöglichkeiten wahr.

Schöne neue Hochschulwelt war gestern

Schon 2003 konnte hiervon jedoch nicht mehr im ursprünglichen Wortsinn die Rede sein – seit dem 1999 in Kraft getretenen „Qualitätspakt“ zwischen dem Düsseldorfer Wissenschaftsministerium und den NRW-Hochschulen hatte die RUB nicht nur so genannte „Orchideenfächer“ abwickeln müssen, und in Zeiten zunehmender Ökonomisierung des akademischen Betriebs stehen inzwischen ganze Fachbereiche auf der Kippe. Auch in anderer Hinsicht scheint die Blütezeit des Betoncampus vorbei zu sein: Durch die Einführung von Langzeitgebühren („Studienkonten“) in NRW überflutete am Ende des vierten Jahrzehnts seines Bestehens eine erste Exmatrikulationswelle den Bochumer „Hafen der Wissenschaft“ mit seinen supertankergleichen Megabauten, die viele Studierende havarieren ließ.

Von einem ökonomisch barrierefreien Hochschulzugang und Chancengleichheit für jene breiten Schichten der (arbeitenden) Bevölkerung, die einst in großer Zahl ins Boot geholt werden sollten, kann spätestens seit Einführung Allgemeiner Studiengebühren keine Rede mehr sein. Stattdessen schmückt sich die Hochschulleitung unter der Ägide des Botanikers Elmar Weiler neuerdings mit der künstlichen Zierpflanze einer aus Stiftungs- und Landesmitteln protegierten, fragwürdigen Forschungsexzellenz. „Schöne neue Hochschulwelt“ war gestern. Aber eines ist sicher: „Die Uni lebt“, wie die ehemalige RUB-Promotionsstudentin Christina Reinhardt am Ende des letzten Buchbeitrags konstatiert. Auch wenn die Zeiten schon mal einfacher waren.

USch

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