Studentisches Ausziehen
„Erwachsen wird man trotzdem“
Eine klassische Universitätsstadt ist die Blume im Revier sicher nicht. Mit dem alten Wort „Studienzeit“ assoziiert man jedenfalls andere Bilder als Fahrten in der überfüllten U35. Der klischeetypische RUB-Student ist Pendler, entweder aus Bochum selbst oder aus einer Nachbar-stadt; sein Leben verläuft im Wesentlichen genauso wie zu Schulzeiten. Wird man dadurch um eine notwendige Zäsur betrogen? Verpasst man eine Sprengung des alten Horizonts? Wir haben uns auf dem Campus umgehört.
Der 23jährige Markus aus Bochum bestätigt, dass sich Freunde und Freizeitaktivitäten durch den Studiumsbeginn nicht verändert haben. Mit „Unibekanntschaften“ unternehme er nichts. Sein Großvater, auch aus der Gegend, habe seinerzeit zwar noch an fünf verschiedenen Universitäten studiert, er selbst werde aber allenfalls ein Aufbaustudium im Ausland machen. Hat er etwas verpasst? Kaum, meint er, es wäre aber „bestimmt ganz cool“ gewesen, „mal aus Bochum rauszukommen“.
Aus einer kleinen Gemeinde im Sauerland kommt die 22jährige Anna, die, wie die Altvorderen, vielleicht einmal pro Halbjahr ihre alte Heimat sieht. Sie vermutet, sie sei selbstständiger als die Pendlerstudis. Sie habe früher lernen müssen, den eigenen Haushalt im Studentenwohnheim selbständig zu führen und ihre Angelegenheiten selbst zu regeln.
Matthias (23) kommt aus Essen, wohnt seit seinem vierten Semester ebenfalls in einem Studentenheim. Es wäre besser gewesen, sagt er heute, noch früher von Zu Hause wegzukommen, da er seit dem Umzug mehr Zeit für Studium und Rahmenaktivitäten habe. Seiner Ansicht nach verpassten Studierende, die nach wie vor zuhause wohnen, „definitiv“ etwas: sein Freundeskreis habe sich komplett verändert. Bekannte, die er im Studium und während des Engagements für die Hochschule getroffen hat, erlaubten etwa Gespräche auf höherem Niveau, ferner sei seine Freizeitgestaltung erlebnisreicher geworden. Freilich hat er Verständnis dafür, dass ein Wohnortwechsel für viele mangels Geld nicht in Betracht kommt.
Nüchtern sieht es Christian, 23, ein Kind der Stadt Dortmund. Er glaubt nicht, etwas verpasst zu haben. „Erwachsen wird man trotzdem“, außerdem sei er an der Uni, um „gescheit was zu lernen“; die Annehmlichkeiten des Wohnens nimmt er angesichts der Belastungen durch das Studium als große Erleichterung wahr.
Der öffentliche Personennahverkehr hingegen ist für den 26jährigen Sascha der Grund, Gelsenkirchen den Rücken zu kehren und in ein Wohnheim nach Bochum zu ziehen. Auch er glaubt an frühere Selbständigkeit durch das Wohnen fern von zu Hause, hält diesen und ähnliche positive Effekte aber für sehr stark abhängig von der individuellen Persönlichkeit des einzelnen Studenten. Er selbst vermutet, er hätte weniger neue, interessante Leute kennen gelernt, wäre er daheim geblieben.
Die 21jährige Angela aus Wattenscheid betont die Vorteile, die sich aus der Nähe der Uni zu den Schulen ergeben. Schon zu Schülerzeiten habe sie die Ressourcen der Uni, namentlich die Fachbibliotheken, für Facharbeiten nutzen können. Auch nennt sie das Schülerlabor und die Möglichkeit guter Schüler, parallel zur Abiturvorbereitung zu studieren. Zur Persönlichkeitsentwicklung meint sie, dass trotz des gewohnten Umfeldes der Studiumsbeginn immer eine Umstellung sei. Außerdem gilt: „Wir kommen noch früh genug weg.“
m Michael Jack
(post@michael-jack.de)
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