Eines schönen Abends – es ist schon ein Weilchen her – verlasse ich die Sonne. Die Sonne, das war eine kleine Institution in der Kneipen-, Linken- und Kulturlandschaft des Reviers. (Zum Jahreswechsel hat sie dicht gemacht – jetzt kann man in Herne abends wohl wirklich nirgendwo hingehen.) Da kommen mir zwei Halbstarke nachgelaufen und fragen mich, wie ich mich denn in deren schöne linke Kneipe getraut hätte, so ein Rechter wie ich doch offenbar sei. Eloquent führte ich aus: „Hä?“ Na, sagten sie, ich trüge doch einen Thorshammer.
Da war ich dann doch etwas baff und begann zu erklären, dass nicht alles, was (Neo-)Nazis toll finden, auch rechts ist. Das ist von vornherein festzustellen und im Prinzip der wichtigste Punkt. Die Nazis mochten Nietzsche; der Schnurrbart mit dem Philosophen dran hätte sie für ihre Dogmatik verachtet. Richard Wagner, gut, der mochte auch keine Juden, aber für ernsthaften Nationalismus war er zu sehr ein Träumer. Und die Asen und Wanen und ihre Frauen und Schwestern, die nordischen und germanischen Göttergestalten – die waren auch viel mehr als das, was die Nazis draus mach(t)en.
Wir lassen uns Asgard nicht wegschnappen!
Wir kennen uns aus mit dem griechischen Pantheon, sogar über die ägyptischen Gottheiten Isis und Osiris wissen wir Bescheid. Das ist schön und gut und gehört zu einer humanistischen Bildung dazu. Erstaunlich ist dann doch, dass die Vorfahren der Nord- und MitteleuropäerInnen immer noch allgemein als primitive BarbarInnen gelten. Dabei zeugen ihre Sagen und Legenden von einer reichen Kultur, auch wenn sie erst viel später aufgeschrieben worden sind. Das Gefährliche daran ist: Die Nazis kommen und schnappen uns diese ganze faszinierende Welt weg, wenn wir gerade nicht hinsehen. Oder klüger ausgedrückt: „Indem die Beschäftigung mit jenen Mythen in der demokratischen Mehrheitsgesellschaft eher ein Randthema darstellt, gelingt es der rechtsextremen Szene, sich einen Teil der Geschichte quasi exklusiv anzueignen.“ (Georg Schuppener in „Germanische Mythologie und Rechtsextremismus“, siehe unten.) Das wiederum hat zur Folge, dass Nazi-GegnerInnen zu Schnellschüssen neigen (können), genau wie die Jugendlichen damals vor der Sonne. In diesem Sinne ist die wachsende Popularität des Marvel-Thor das Beste, was dem germanischen Pantheon passieren konnte. Lieber Comicheld als Nazigott.
BUCHTIPP
Im Tagungsband „Germanische Mythologie und Rechtsextremismus. Missbrauch einer anderen Welt“ beleuchten neun Autoren das problematische Verhältnis zwischen Wotan und Konsorten, aber auch den Nazis. Die Vielfalt der thematischen Schwerpunkte macht das Buch zu einer spannenden Lektüre. Wir lernen von Neonazis, die sich im Internet Odins Weib nennen, und von Rechtsrockbands, die die alten Götter beschwören. Was genau die rechte Szene an den Asen fasziniert, wird genauso behandelt wie allgemeinere Fragen nach der rituellen Praxis bei Naziaufmärschen. Interessant ist auch die Feststellung, dass die rechten Deppen anscheinend auf dem Forschungsstand von 1940 stehen geblieben sind. Wer Vorurteile abbauen möchte oder sich fundiert für seinen Thorshammer rechtfertigen möchte, dem sei dieses Büchlein angeraten!
Volker Gallé (Hg.): Germanische Mythologie und Rechtsextremismus. Missbrauch einer anderen Welt"
Worms-Verlag, Januar 2015. 152 Seiten, 16,50 Euro
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:Marek Firlej
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