Fünf Leute rufen wild durcheinander: „Start! Links! Links! Start! Sprung! Benutzen!“ Avatar Anna Kpok, eine junge Frau in einem Outfit, das an ein 90er-Aerobic-Video erinnert, rennt mithilfe einer Rampe an einer Säule hinauf, zieht einen Kugelschreiber aus ihrem roten Schopf und ersticht einen knallgelben Luftballon. Mit einem Sternsprung bejubelt sie den gesammelten Punkt. Das Spielmenü, eine Frau im roten Overall, berührt ihren Tablet-PC, und mit einem Jingle wird der Punkt Anna Kpoks Lebensenergie gutgeschrieben. Willkommen beim Beta-Test eines Live-Jump-’n’-Run. Das Stück „Anna Kpok und der letzte Zombie: Level II – Gegen die Bürokratie“ wird zwischen dem 20. und 23. Mai neunmal aufgeführt.
Dies geschieht im Rahmen des Fidena-Festivals (Figurentheater der Nationen), welches vom 16. bis 24. Mai in Bochum, Herne und Essen stattfindet. Theoretische Überlegungen, wie das Zombiestück dort hineinpasst, gab es aber nicht, erklärt Kristin Naujoks vom Performance-Kollektiv Anna Kpok, welches seit 2009 aktiv ist. Seit einem Jahr wird der zweite Teil von „Anna Kpok und der letzte Zombie“ vorbereitet. Die Präsentationsform Live-Jump-’n’-Run ist eine Erfindung der Gruppe. Ein Avatar, der ebenfalls Anna Kpok heißt, wird über Sprachsteuerung gelenkt. Fünf SpielerInnen, die zugleich das Mini-Publikum bilden, verwalten unterschiedliche Steuerbefehle. In einem Tutorial lernen sie zusammenzuarbeiten, denn im Spiel selbst gibt es Punktabzug, wenn jemand einen falschen Befehl ruft. Beim Beta-Test-Quintett am Sonntag läuft die Koordination bald recht flüssig. Letztlich passt diese Form der Steuerung doch zum Figurentheater, so Naujoks. „Die Spielfigur im Sinne eines Avatars ist das, was wir zum Figurenbegriff beitragen. Sie funktioniert ähnlich wie eine Marionette, nur mit Sprachbefehlen statt Fäden.“
Das Medium Jump-’n’-Run hat auch etwas mit der Bürokratie, dem Gegner in Level II, gemeinsam, nämlich die Begrenzung durch Regeln. „Wo bleiben die Handlungsmöglichkeiten, wenn alles bürokratisch vorgegeben ist?“, formuliert Naujoks eine Botschaft des Stückes. Doch wie kommen nun Bürokratie und Zombies zusammen?
Vom Titel des Stückes her könnte man erwarten, dass Anna Kpok gegen Zombiehorden kämpft, um die Welt zu retten. Doch im Gegenteil muss die Titelheldin einen einzelnen Zombie vor der Welt retten.
Lunarer Urschleim
„Es ist eine Geschichte über große Freundschaft“, erklärt Naujoks. „Zombies sind sonst der Feind, den man bekämpfen muss. Hier ist der Zombie der Freund. Man muss sich für die Zombies einsetzen.“
Doch der Reihe nach: Vor Beginn des Beta-Tests wird mir rasch die Hintergrundgeschichte eingetrichtert. Im Universum von Anna Kpok sind Zombies das Resultat ruchloser Experimente. „Wissenschaftler haben Schleim von der dunklen Seite des Mondes mit Pflanzenpartikeln gekreuzt und so entstanden Pflanzenzombies“, erläutert Naujoks; deren Aussehen bleibt jedoch unklar. Ein einzelner Zombie floh aus dem Labor und kam so zu Anna. Beim Versuch, seine inzwischen im Labor eingegangenen Artgenossen zu befreien, wurde er geschnappt und zerteilt, um neue Ableger zu züchten. Anna muss nun die Einzelteile ihres zerlegten Freundes wiederfinden. Im ersten Level, als Anna 2013 im Hochbunker an der Haldenstraße gegen die Wissenschaft antrat, fand sie eine Hand des Zombies; in Level II wird ein weiteres Körperteil gesucht. Der zerstückelte Freund fungiert also weniger als ein zu rettender Zombie in Distress, sondern eher als eine Art MacGuffin-Puzzle.
Zombies mit Stempelkissen
Trotzdem kommt das Spiel nicht ganz ohne Zombies aus, im übertragenen Sinne. Der Mitarbeiterausweis des garstigen Gärtners des Grauens – Endgegner in Level I – führt Anna in Level II zum ‚Amt für kommunale Grünflächen, toxikologische Überwachung und taktische Expansion‘. Die BürokratInnen dort sind die real existierenden Zombies, seelenlose SchreibtischtäterInnen mit Stempelkissen.
„Es stellt sich die Frage, inwiefern handeln Bürokratien auch zombiehaft?“, sagt Naujoks. Anweisungen befolgen, Anträge ausfüllen, stempeln. „Das hat etwas Zombiehaftes, es ist inhaltsleer.“ So muss Avatar Anna Stempel auf einem Formular sammeln, um sich bis zur Endgegnerin, der Bürochefin, vorzukämpfen.
Als Kulisse dient das alte BKK-Gebäude an der Bessemerstraße. „Wir suchten ein richtiges Bürogebäude mit Amtsatmosphäre. Das Gebäude ist perfekt für unsere Bedürfnisse“, freut sich Naujoks, auch über Hilfe seitens des Kulturbüros Bochum, und der Immobilienbesitzerin ThyssenKrupp. Möbel stellte die Ruhr-Universität zur Verfügung, Requisiten wie steinzeitliche EDV und Schreibmaschinen kamen – häufig geschenkt – über Kleinanzeigen zusammen, um die drei Etagen umfassende Spielwelt zu erschaffen.
Mehrere Aufführungen sind bereits ausgebucht, für den 22. und 23. Mai gibt es noch freie Plätze, welche unter zombie@annakpok.de reserviert werden können. Der Eintritt beträgt 6 Euro, 4 Euro ermäßigt.
Weitere Informationen unter
www.annakpok.de
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