Gewaltverbrechen geschehen täglich. Es stellt sich nur die Frage, wann genau ein Verbrechen anfängt. Sind es schon Jugendsünden auf dem Schulhof, wenn man jemanden schubst, oder wenn wirklich eine blutige Verletzung oder Wunden zu sehen sind? Doch was ist mit seelischen Wunden, die nicht zu sehen sind?
Die Polizei NRW verkündete 2013 in ihrer Statistik im jährlichen Bericht zur Kriminalitätsentwicklung die Fallzahlen von verschiedenen Delikten. Im vergangenen Jahr sind allein 46.983 Gewaltverbrechen registriert worden. Nicht zu vergessen ist die Anzahl der Opfer, die sich aus Angst nicht bei der Polizei gemeldet haben. Dabei bleibt es bei vielen Gewaltverbrechen nicht bei bloßen äußeren Verletzungen des Opfers: Sie überschneiden sich häufig mit sexuellem Missbrauch und Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung.
Die Zahl der aufgeklärten Delikte von 2013 beträgt 24.078, fast die Hälfte der Gewalttaten konnten gelöst werden. Vertritt man aber eine andere Philosophie, so sind 50 Prozent der Täter weiterhin ohne Strafe davongekommen.
Hilfe für Opfer
Äußere Verletzungen können schnell verarztet werden und nach einer Weile verheilen sie. Doch wer hilft bei einer seelischen Blessur?
Jeder Mensch verarbeitet Stresssituationen anders. So stellen die einen eine Strafanzeige und sind beruhigt, dass sich die Polizei darum kümmern wird; andere hingegen haben Angst davor. Damit diese Ängste nicht das Leben erschweren, wurde am 24. September 1976 in Mainz zur Unterstützung von Kriminalitätsopfern und zur Verhütung von Straftaten der gemeinnützige Verein ‚Weißer Ring‘ gegründet. Dieser hilft in Deutschland unabhängig vom Geschlecht, Alter, Religion und dergleichen von Kriminalität betroffenen Menschen. Der Weiße Ring zählt mehr als 3.000 ehrenamtliche OpferhelferInnen in bundesweit 420 Außenstellen. Ansprechpartner aus allen möglichen Bereichen wie Politik, Justiz, Verwaltung, Wissenschaft und Medien stehen den Opfern zur Verfügung. Finanziert wird der Verein durch Mitgliedsbeiträge, Spenden, Geldbußen und testamentarischen Zuwendungen. Staatliche Zuschüsse nimmt der Weiße Ring dabei nicht in Anspruch.
Die Ziele des Vereins
Der Weiße Ring möchte Opfern von Kriminalität und Gewalt wieder Hoffnung geben. Der Verein sagt aus, dass schon hunderttausende Betroffene durch den Einsatz bei der Bewältigung ihrer schwierigen Lebenslage mit Rat und Tat zur Seite gestanden haben. Er übernehme damit eine Lotsenfunktion und zeige fallbezogen auch die für Opfer oft nur schwer erkennbaren Unterstützungsmöglichkeiten auf und kritisiert die oft fehlende leicht zugängliche Information, die ein Betroffener bräuchte.
Geschulte Mitglieder
Die Opferhelfer des Weißen Ringes werden durch ein mehrstufiges Seminarprogramm darauf vorbereitet, professionell zu helfen. Eine davon ist Stephanie Ihrler, die seit 18 Jahren Mitglied und derzeit Leiterin der Außenstelle Bochum ist. „Wir haben in Bochum mehrere hundert Mitglieder und 10 Mitarbeiter, die sich um Opferfälle kümmern. Die von uns betreuten Opfer sind allen Alters und Geschlechts und von diverser Gewaltkriminalität betroffen“, erklärt Ihrler.
Zu den Hilfsmöglichkeiten des Weißen Rings zählen unter anderem menschlicher Beistand und persönliche Betreuung, Übernahme von Anwaltskosten, insbesondere zur Wahrung von Opferschutzrechten im Strafverfahren und Ansprüchen nach dem Opferentschädigungsgesetz, Gewährung von Rechtsschutz sowie finanzielle Unterstützung von tatbedingten Notlagen.
Jung und engagiert
Cordula Raith ist Juraabsolventin der RUB und seit circa 2,5 Jahren ehrenamtlich beim Weißen Ring tätig. Dazu kam sie über Stephanie Ihrler. Ihre Hauptaufgabe ist die Betreuung der Opfer. Darüber hinaus ist sie Landesjugendbeauftragte für den Bereich Westfalen/Lippe.
„Ich kümmere mich vorwiegend um die jungen Mitarbeiter und versuche, den Weißen Ring bei jungen Leuten bekannter zu machen und diese für ehrenamtliche Aufgaben zu gewinnen. Außerdem möchte ich die jungen Leute für unser Hilfsangebot sensibilisieren, falls sie Opfer geworden sind. Deshalb möchte ich die Vielfalt an Universitäten und der FHS‘ in Bochum nutzen, um die jungen Leute anzusprechen. Außerdem ist geplant, an Schulen tätig zu werden“, so Raith. Desweiteren erklärt sie, dass die ehrenamtlichen Mitarbeiter die Opferbetreuung übernehmen können. Sie selbst betreut einige Opfer, bei denen sie sich regelmäßig nach dem Wohlbefinden erkundigt.
„Ich bin sehr zufrieden mit der Betreuung“
Eines der Opfer, um die sich Raith kümmert, ist Nine S. „Die Polizei hat mich über den Weißen Ring informiert“, erzählt Nine. Nach zwei Tagen hatte sie Kontakt mit dem Verein, anschließend ein Treffen mit Cordula. „Ich kann mich immer bei ihr melden, wenn ich jemanden zum Reden brauchte. Ich bin sehr zufrieden mit der Betreuung“, so Nine.
Raith organsiert nicht nur Treffen, sondern auch einen Selbstverteidigungskurs. Sie selbst trainiert seit zwölf Jahren Kickboxen und findet es wichtig, sich verteidigen zu können. „Der Kampfsport gibt mir Selbstsicherheit – mich hat noch nie jemand blöd angemacht“, erzählte Cordula nach ihrem Training.
„Wir sind keine Opfer,…
…sondern die, die uns angreifen“, wiederholte häufig der Selbstverteidigungstrainer Albert Langaso, der nach der Anfrage von Cordula Raith sofort zustimmte, die Frauen und Mädchen, die die Hilfe des Weißen Rings in Anspruch nahmen, zu trainieren. „Ich finde es wichtig und gut, dass diese Frauen die Hilfe selbsttätig in Anspruch nehmen“, so der Trainer. Mit Handtaschen und deren Inhalt, wie Handys und Stiften, zeigte Langaso den anfangs ängstlichen Mädchen und Frauen, wie sie sich damit zur Wehr setzen können. Er selbst übt seit Jahren Filipino Martial Arts (philippinischer Stockkampf) aus und nutzte daraus Elemente bei der Selbstverteidigung.
Der Kurs fand im Verein „Lanna Martial Arts“ in Bochum statt. Dieser wurde von den jungen Brüdern René und Ulli Schick vor fünf Jahren gegründet. Beide sind erfolgreiche Kickboxer und haben mehrmals den Titel des Deutschen Meisters erhalten. „Wir fanden, dass es eine gute Sache ist, den Betroffenen zu helfen. Bei uns herrscht eine familiäre Atmosphäre, so dass die Frauen sich hier wohlfühlen können“, sagt René Schick, der für einen Selbstverteidigungskurs gemeinsam mit seinem Bruder Ulli eine ganze Halle für drei Frauen zur Verfügung stellte.
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Weitere Informationen findet Ihr im Netz unter:
Eine bundesweite Opfer-Telefonnummer ist folgende: 116 006
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