In bisher beispielloser Weise setzte die Stadt Bochum auf der von ihr organisierten Berufsbildungsmesse im RuhrCongress am Mittwoch und Donnerstag vergangener Woche einen Werbestand der Bundeswehr durch: Allein am ersten Veranstaltungstag wurden laut der Bochumer Polizei, die mit acht Fahrzeugen sowie zivilen Einsatzkräften vor Ort war, Hausverbote gegen 23 FriedensaktivistInnen ausgesprochen, darunter auch mehrere Bochumer Stadtratsmitglieder. Zudem wurden SchülerInnen, die vor der Kongresshalle einen wehrkritischen Flyer mit der Überschrift „Krieg beginnt hier“ erhalten hatten, am Eingang durchsucht und mussten das Info-Material beim Betreten der Messe abgeben. Mit Polizei und Sicherheitsdienst wurde das Hausrecht durchgesetzt und das Recht auf freie Meinungsäußerung unterdrückt, sind sich die Betroffenen einig. Siehe auch :bsz-Kommentar (unten).
Mit Ralf Feldmann, Arnold Vogel und Uwe Vorberg wurde gleich drei Mandatsträgern der Ratsfraktion der Linken am Mittwoch vom Jugendamt Hausverbot bei der Veranstaltung erteilt. „Wir sprechen uns deutlich gegen ein Werben für das Sterben aus und ich halte es für einen Skandal, dass Kriegsgegnerinnen und Kriegsgegner nicht ihr Grundrecht wahrnehmen dürfen, auf einer öffentlichen Veranstaltung des Jugendamtes der Stadt Bochum frei ihre Meinung zu äußern“, betont David Staercke, Sprecher der Bochumer Linken, der ebenfalls ein Hausverbot bekam. „Wenn die Bundeswehr öffentlich auf Bildungsmessen für Personal wirbt, ist ziviler Ungehorsam Pflicht“, legt Staercke nach und verweist auf die UN-Kinderrechtskonvention, nach der Militärwerbung bei Minderjährigen untersagt ist.
Grüner Abweichler
Wenn sich die Kommunalpolitik an die im Juni getroffene Entscheidung des Jugendamts der Stadt Bochum gehalten hätte, keine Werbung für militärische Berufe auf der Berufsbildungsmesse Mittleres Ruhrgebiet zuzulassen, wäre der Kommune viel Ärger erspart geblieben. Das sahen damals auch die Grünen so: „Wir waren als Gesamtfraktion ganz froh darüber, dass das Bochumer Jugendamt die Bundeswehr von der Berufsbildungsmesse ausgeladen hatte“, sagt Karsten Finke, Fraktionsmitglied der Grünen im Rat der Stadt Bochum. Doch dann kam alles ganz anders: „CDU und SPD im Bochumer Rat wollten diese Entscheidung nicht hinnehmen“, so der RUB-Student weiter. Es wurde eine unter anderem vom Bochumer Friedensplenum einhellig kritisierte politische Einigung herbeigeführt, den Stand unter der einschränkenden Auflage zu ermöglichen, „dass die Bundeswehr ausschließlich für zivile Berufe auf der Messe werben durfte.“ Auch die grüne Ratsfraktion stimmte dem zu – mit Ausnahme von Karsten Finke: „Eine künstliche Trennung zwischen militärischen und zivilen Berufen bei der Bundeswehr ist aus meiner Sicht nicht möglich!“, unterstreicht er und wendet sich nachdrücklich gegen eine „Militarisierung des öffentlichen Raums“, zu dem auch die Hochschulen gehören: „Die Bundeswehr hat nichts in Bildungseinrichtungen zu suchen. Weder in Schulen, noch in Universitäten oder auf Bildungsmessen.“
Messe-Ausschluss der Bundeswehr gefordert
„Aus meiner Sicht hat sich die Bundeswehr nicht an den Beschluss des Rates gehalten“, bilanziert Karsten Finke: „Es wurde offensiv für militärische Berufe geworben. Der Stand zeigte sogar Soldaten in Kampfausrüstung.“ Dies müsse für die Zukunft Konsequenzen haben: „Deswegen muss die Bundeswehr von der nächsten Berufsbildungsmesse nun endgültig ausgeschlossen werden!“, fordert der grüne Abweichler. Die Stadt Bochum hüllt sich derweil in Schweigen: Eine Interview- Anfrage der :bsz vom Freitag blieb bis zum Redaktionsschluss unbeantwortet.
7 comments
Reply
You must be logged in to post a comment.
Anmerkung
Interessant, dass hier und im Kommentar konsequent alle Gesprächsangebote verschwiegen werden, die das Jugendamt der Friedensbewegung unterbreitet hat. Und das auch verschwiegen wird, dass die Friedensbewegung diese von sich aus ausgeschlagen hat.
Pazifismus
@Usch: Guter Artikel. Schade, dass es soweit kommen konnte und gut, dass die Protestler anwesend waren. Mir persönlich sind solche von Protestaktionen begleiteten Bittstelleraktionen aber lieber als der zum Glück abgeschaffte Zwangseinzug der Jungen mit 18. So eine Berichterstattung st wichtig und nötig.
@Anmerkung: ? Wer verschweigt hier was? Niemand ist allwissend. Da steht doch schon, dass das Jugendamt eigentlich dagegen war, die Stadt aber dann doch wollte. Es geht hier auch nicht ums JA. Der Autor hat doch keine monatelange Recherche bei einem einzelnen der vielen Akteure gemacht, um nachher eine Reportage über ausgerechnet das Jugendamt und all seine Gespräche vorzulegen.
Der Autor des Artikels hat ebenso „verschwiegen“, dass ich mein Fenster geputzt habe an dem Tag – und welche neuen Wissensstände zum NSU-Prozess es gab. Sträflich.
Das Schweigen des Jugendamtes
@Pazifismus: Vielen Dank für die Blumen und die klaren Worte!!
@Anmerkung: Der letzte Satz sagt doch schon alles: „Die Stadt Bochum hüllt sich derweil in Schweigen: Eine Interview- Anfrage der :bsz vom Freitag blieb bis zum Redaktionsschluss unbeantwortet.“ Daran hat sich auch nach Redaktionsschluss nur wenig geändert. Nachstehend gebe ich gerne einen Einblick in die dürftigen Antworten auf meine Interview-Anfrage, die drei Tage später als erbeten eintrafen:
——– Originalnachricht ——–
Betreff: Antw: Fragen zum Bundeswehr-Eklat auf der diesjährigen Berufsbildungsmesse
Datum: 2013-10-14 16:34
Absender: „Amt13 Amt13“
Empfänger: „Ulrich Schröder“
Sehr geehrter Herr Schröder,
gerne beantworten wir Ihre Fragen sachlich – als Vertreter der
Verwaltung der Stadt Bochum und nicht als Privatpersonen, daher
entfallen Fragen zur persönlichen Meinung. Bei Fragen zur politischen Einschätzung bitten wir Sie, sich an die Politik zu wenden.
Viele Informationen zum Thema können Sie bereits der Beschlussvorlage der Verwaltung 20131955 für die Ratssitzung am 26.9.2013 entnehmen, Sie finden sie im Internet unter
https://session.bochum.de/bi/to0040.php?__ksinr=4925
Zusätzliche Informationen finden Sie in unserer Presseinfo vom
11.10.2013 „Jugendliche strömten zur Berufsbildungsmesse“ unter
http://www.bochum.de/C125708500379A31/vwContentByKey/W29CDC3D025BOCMDE/nav/966CWU671BOCM
Des Weiteren:
[Seit wann gibt es auf der Berufsbildungsmesse Mittleres Ruhrgebiet regelmäßig Informationsstände der Bundeswehr und wie hoch ist/war die von der Bundeswehr jeweils zu entrichtende Standmiete?]
Die Berufsbildungsmesse Mittleres Ruhrgebiet „was geht?“ gibt es seit 2008 mit zahlreichen Ständen, darunter auch der Bundeswehr. Die Standmiete beträgt für zwölf Quadratmeter jeweils 200 Euro, also auch für die Bundeswehr.
[Wurde seitens der Bundeswehr diesmal Druck auf die Veranstalter sowie auf die Politik ausgeübt, um jeglichen kritischen Diskurs durch entsprechende Vorkehrungen bereits im Vorfeld zu unterbinden und – wenn nein – wie ist die politische ‚Kurskorrektur‘ ansonsten erklärbar, nachdem das Jugendamt bereits im Juni die Bundeswehrpräsenz auf der Messe untersagt hatte?]
Die Bundeswehr hat keinerlei Druck ausgeübt.
[Mehrfach wurde geschildert, dass Schülerinnen und Schüler, die vor dem Gebäude einen kritischen Info-Flyer zum Bundeswehrstand erhalten hatten, durchsucht wurden und den Info-Zettel beim Betreten des Gebäudes abgeben mussten. Ist nicht spätestens mit einer solchen Beschneidung von Persönlichkeitsrechten in Verbindung mit dem Konfiszieren von Flugblättern – auch juristisch – eindeutig eine rote Linie überschritten?]
Die Kontrolleure am Eingang waren angewiesen, Verteiler von Flugblättern darum zu bitten, die Flugblätter nicht mit ins Gebäude zu nehmen.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Sprenger
Stadt Bochum
Presse- und Informationsamt
Willy-Brandt-Platz 2 – 6
44777 Bochum
Telefon 02 34 / 910 – 30 81 und 38 48
Telefax 02 34 / 16 111
Amt13@bochum.de
http://www.bochum.de
Folgende Fragen wurden nicht beantwortet:
Wurde in der Vergangenheit das Recht auf freie Meinungsäußerung im
Umfeld der Bundeswehr-Präsenz auf der Messe gewahrt, um die
Jugendlichen auch über die ethische Fragwürdigkeit einer Ausbildung zum Töten sowie über die Risiken eines Einsatzes in Kriegs- und Krisengebieten aufzuklären?
Allein am ersten Tag der Berufsbildungsmesse (Mittwoch, 9.10.) wurden im RuhrCongress laut Angaben der Polizei Bochum bei der 23 Hausverbote – u.a. gegen fünf Bochumer Stadtratsmitglieder – ausgesprochen, als gegen den Bundeswehrstand protestiert wurde, um eine kritische Gegenöffentlichkeit gegen die ‚Nachwuchsrekrutierung‘ im Kreise Minderjähriger herzustellen. Wie ist diese Unterdrückung freier Meinungsäußerung mit Ihrem Demokratieverständnis vereinbar?
Im Vorfeld wurde der fragwürdige ‚Kompromiss‘ geschlossen, dass die
Bundeswehr auf der Messe über „ausschließlich ziviler Berufe“ informieren solle. Bereits die martialischen Werbeträger am Stand, die großflächig Soldaten in Kampfmontur zeigten, sprachen jedoch eine ganz andere Sprache. Soll die Bundeswehr nach dem diesjährigen Eklat auch in Zukunft die Möglichkeit erhalten, ihre Propaganda über angeblich rein zivile Berufe in der Kriegsindustrie zu verbreiten?
Halten Sie es generell für verantwortbar, Minderjährige ohne jeden kritischen Gegenakzent mit der kriegsverherrlichenden Bundeswehr-Propaganda zu konfrontieren?
Würden Sie im Kriegsfall auch – sofern vorhanden – Ihre eigenen
Kinder opfern und in ein Kriegsgebiet schicken?
Weitere Anmerkung
@Pazifismus: Es hätte nicht einer monatelangen Recherche bedurft – man hätte die Infos über die Gesprächsangebote des Jugendamtes aus ALLEN Bochumer Medien entnehmen können (die bsz hier ausgenommen, da es für sie im Loch zwischen zwei Ausgaben kam).
@Ulrich Schröder: Die Werbebanner waren übrigens auch Thema in der Diskussionsrunde. Haltung der Bundeswehr zu dem Thema mitbekommen?
Da die Demonstration vor dem Ruhr-Congress ja in all ihren Facetten geduldet wurde, dürfte die Stadt bezüglich der offenen Fragen keinen Redebedarf gesehen haben.
Pazifismus.
Wenn GEsprächsangebote abgelehnt werden, weiß man nicht warum. Es kann gut sein, dass da bereits vorher Dinge gelaufen sind, die gegenüber der Friedensb. nicht sauber waren.
Dass das Jugendamt unterstützt, dass Leuen Flyer abgenommen werden, lässt es nicht in einem guten Licht erscheinen.
Zusätzlich zu Artiken in der Lokalpresse, wo Kommentatoren sich melden und berichten, dass aus seltsamen Gründen Kinder entzogen werden.
Welcher Journalist schreibt von der Recherche anderer ab? Du als Lser liest das vielleicht alles, aber der autor vlt nicht.
Weitere Anmerkung
Mal angenommen, die NPD hätte parallel auch Flyer verteilt, hätte es dann nicht hier an gleicher Stelle die Rufe nach einem Einsammeln der Flyer gegeben? Oder müsste man beide gleichermaßen dulden?
Ums Abschreiben geht es mir nicht. Nur wenn die anderen das erfahren, warum dann nicht auch ein gut vernetzter Ulrich Schröder? Das verstehe ich nicht so ganz.
Pazifismus
Den NPD-Vergleich find ich unangebracht. Bei der NPD wird man wegen der Inhalte der Flyer zusehen, dass man das auf seinem Grundstück möglichst nicht hat. Wo ist denn die Friedensb. antidemokratisch?
Zu Ullrich: Weiß mans? Du kannst das hier korrigieren, wenn du meinst bessere Wissen zu haben, aber die Unterstellung die da mitschwingt, klingt absurd.
Selbst diese Gesprächsangebote, stünden sie dabei, würden das JA hier nicht in ein besseres Licht rücken.