(koi) Perspektivlosigkeit und Apathie sind ebenso große wie weit verbreitete Probleme unter Jugendlichen – dies- und jenseits der Alpen. Das deutsch-italienische Projekt „Periferia Action!“ will Ansätze geben, um selbstständig etwas daran zu ändern. Der Initiator Daniel Ganzert bringt dazu Jugendliche aus Brennpunkten in Rom, Neapel, Wanne-Eickel, Herne und Dortmund zusammen.
„Ich sehe ein großes Motivationsproblem bei den heutigen Jugendlichen“, sagt Ganzert, der Doktorand der Bildungswissenschaften an der Uni Duisburg-Essen, Mitarbeiter im International Office der RUB und Streetworker im Ruhrgebiet und in Italien ist. Obwohl selbst erst 29 Jahre alt, arbeitet er mit sozial benachteiligten jungen Menschen, die zwischen 16 und 27 Jahren alt sind. „Die meisten sind aber höchstens 22“, so der Projektleiter. Im künstlerischen Bereich will er Know-How vermitteln und fördern. „Theater spielen, malen, zeichnen, Computeranimation, Tanz, Musik“ – sein Projekt lässt all das zu. In den Projektphasen seit Beginn des Jahres wurden die Techniken zunächst vermittelt und angewandt. „Besonders wichtig ist dabei, dass die Jugendlichen selbst etwas entwickeln, woraus sie später etwas machen können. Es geht natürlich auch darum, den Lebenslauf zu verbessern, um vielleicht einen Job zu finden. Denn: „Viele der TeilnehmerInnen sind arbeitslos.“ Die letzte Projektwoche steht dann ganz im Zeichen der Arbeit in interkulturellen Arbeitsgruppen. „Das Ziel ist, gesellschaftliche Problematiken, die wissenschaftlich bearbeitet und analysiert werden, konkret mit praktischen Ideen und Lösungen anzugehen, sodass zwischen Wissenschaft und Lebenswelt eine stärkere Beziehung entsteht“, formuliert Ganzert seinen Plan. Vernetzung und Eigeninitiative sollen gefördert, Verantwortung übernommen werden. Dieses Anliegen ist nicht nur EU-gefördert (als Teil des Programms „Jugend in Aktion“), sondern wird auch vom Italienverein Dortmund e.V. und dem Goethe-Institut in Rom unterstützt.
Vorurteile bei den AkademikerInnen
Jetzt kamen alle Jugendlichen des Projekts an der RUB zusammen. Insgesamt 50 TeilnehmerInnen, je zur Hälfte aus Deutschland und Italien, stellten ihre Ergebnisse vor. Geredet wird nach Crashkursen jetzt ein wenig Deutsch und Italienisch. „Oft werden aber auch Hände, Füße und gebrochenes Englisch zum Austausch genutzt“, berichtet Ganzert. Das Wort Austausch bezieht sich dabei aber nicht nur auf die Jugendlichen untereinander: Auch ProfessorInnen und StudentInnen der Bildungs- und Sozialwissenschaften sind dabei. Und es sind nicht etwa die TeilnehmerInnen, die der anderen Gruppe mit Befangenheit begegnen: „Die Doktoranden und StudentInnen mussten und müssen auf jeden Fall Vorurteile abbauen“, hat Ganzert gemerkt. Alle sollen sich dabei im Projekt auf dem gleichen Level begegnen.
Die italienischen Gäste sind gut aufgenommen worden. Im Oktober soll der Gegenbesuch in Rom erfolgen. Natürlich mit einem Abstecher nach Neapel, wo Ganzerts familiäre Wurzeln liegen. „Daher kommt auch mein Bezug zu Italien“, verrät der umtriebige Wissenschaftler. Für Ganzert ist die Projektarbeit nichts Neues: Bereits 2008 hatte das Vorgängerprojekt „Periferia“ an der RUB stattgefunden. Seine eigene Motivation zieht er auch aus den Erfolgen seiner Arbeit: „Ein Jugendlicher hat im Rahmen des Projekts Graffitikurse gegeben. Seine Schwester hat davon erfahren und ihm in Rom ähnliche Workshops an Schulen verschafft“, freut sich Ganzert. Denn jede/r Jugendliche, der/die etwas tut, ist weg von der Straße – und den Drogen. „Die kiffen und saufen sich zu!“, ärgert sich der Projektleiter. Als besonders schlimm hat er die Vororte von Neapel erlebt.
Lieber dealen als Theater spielen
Neben der omnipräsenten Arbeits- und Perspektivlosigkeit kommt hier ein weitaus gravierenderes Problem hinzu: Die Mafia. „Die Jugendlichen wachsen in einem Milieu auf, in dem die Mehrheit für die Mafia arbeitet“, beklagt Ganzert. Die dort ansässige Camorra ‚ersetzt‘ im gebeutelten italienischen Süden den Sozialstaat. „Wenn da einer Theater spielt, wird schnell die Nase gerümpft und er zum Außenseiter. Ein Mafia-Drogendealer hingegen verdient 2500 Euro im Monat.“
Ein spezifisch deutsches Problem ist mangelnde Kontinuität in der Arbeit. Ganzert: „Es ist schwierig, eine Konstante zu halten. Die Jugendlichen sind eine Arbeit gewohnt, die ihnen Angebote auf freiwilliger Basis macht, und nicht einen festen Plan.“ Darum ist er besonders stolz, dass die meisten seiner Schützlinge das Programm durchgehalten haben.
0 comments