Bild: Bodo schafft Chancen: Redaktionsleiter Bastian Pütter., Straßenmagazin bodo wird volljährig www.bodoev.de/service/pressefotos.html

(USch, clu) Ende Februar feierte das Straßenmagazin bodo mit 200 Gästen, Livemusik und Kabarett in den Redaktionsräumen am Dortmunder Schwanenwall, wo auch ein gemeinnütziger Buchladen untergebracht ist, seinen 18. Geburtstag. Das journalistisch professionell erstellte Magazin erscheint monatlich in einer Auflage von 20.000 Stück in der östlichen Ruhr-Region und wird von Menschen in sozialen Notlagen verkauft. Herausgeber ist der gemeinnützige bodo e.V., der zudem Beratungs- und Versorgungsangebote für Wohnungslose sowie Beschäftigungs- und Qualifizierungsprojekte für Langzeitarbeitslose betreibt. Die :bsz interviewte bodo-Redaktionsleiter Bastian Pütter zur Geschichte und Gegenwart des Straßenmagazins.

bsz: Bastian, wie lange bist Du bereits beim bodo-Redaktionsteam dabei und was hat sich aus Deiner Sicht seit Februar ‚95 bis zur ‚Volljährigkeit‘ von bodo verändert?

Bastian Pütter: Ich habe die Straßenzeitungsbewegung eigentlich von Beginn an verfolgt, als Dortmunder und dann als Student in Münster im Kontakt zu den KollegInnen von „draußen“. Vor ca. sieben Jahren habe ich, zurück in Dortmund, angefangen für bodo zu schreiben. Seit 2009 bin ich als Redaktionsleiter Angestellter des Vereins, mit einer zweiten halben Stelle mache ich die Öffentlichkeitsarbeit.
Was bodo angeht, gibt es für mich eigentlich drei Phasen. In den ersten Jahren gab es große Aufmerksamkeit für das Projekt und es wurde eine Menge ausprobiert, dann führte das Magazin einige Jahre ein Schattendasein, der Verein startete neue Projekte und die Finanzierungssituation war besonders schwierig. Seit 2009 haben wir – immer noch mit ganz kurzer Decke – die Möglichkeit, mit guten Leuten ein immer besseres kleines Stadtmagazin zu machen.
Wir haben Reichweite und Auflage deutlich erhöhen können – wir haben zusätzliche Ausgabestellen in Herne, Witten und Unna und eine Auflage von jetzt 20.000. Das heißt für uns in erster Linie: Wir können immer mehr wohnungslosen und armen Menschen konkret helfen, durch den Verkauf mit all seinen positiven Effekten (Zuverdienst, Erfolgserlebnisse, Selbstvertrauen, soziale Kontakte, Tagesstruktur, usw.) und durch unsere Beratungs- und Hilfsangebote. Zurzeit verkaufen mehr als 100 Menschen das Straßenmagazin.

Welche (institutionelle oder privatspendenbasierte) Unterstützung habt Ihr bislang bei Eurem Zeitungsprojekt erfahren?

Wir sind in der glücklichen Situation, dass uns regelmäßige öffentliche Förderungen nicht gestrichen werden können – wir bekommen keine. Es gibt einen kleinen Sachkostenzuschuss der Stadt Bochum und sonst Beschäftigungsförderungen über die Jobcenter, die aber auch jedes Unternehmen erhalten würde. Wir leben von Spenden und den Eigeneinnahmen unserer Arbeitsbereiche. Das lässt jeden Jahresabschluss spannend werden… Die Unabhängigkeit, die es bedeutet, ist vor allem uns als Redaktion besonders wichtig.
Besonders faszinierend bei bodo finde ich, dass die Arbeit sich über eine erstaunlich große Zahl von Einzelspenden finanziert. Da sind keine großen Unternehmen, sondern es gibt viele, viele Menschen, die sagen: bodo ist mir 50 Euro im Jahr wert. Und diese Menschen werden – wie unsere LeserInnen – zurzeit noch mehr, das ist großartig.

Wie würdest Du die – im journalistischen Bereich zumeist eher prekären – Arbeitsbedingungen bei bodo beschreiben?

Wir haben Bild- und Textbeiträge für freie RedakteurInnen immer bezahlt und an diesen Vergütungen auch nicht viel geändert. Geändert hat sich der Markt: Früher haben wir verschämt von Aufwandsentschädigungen gesprochen, heute wird ein Fotograf bei uns besser bezahlt als bei Aufträgen großer Verlagshäuser. Da gibt es seit Jahren eine dramatische Entwicklung, die ja gerade in die nächste Phase, das Zeitungssterben eingetreten ist. Wir sind erst am Anfang dieser Phase und wenn wir uns Entwicklungen wie bei der WAZ/WR angucken, sehen wir da weit und breit kein erfolgversprechendes Geschäftsmodell. Wir selbst machen uns keine Sorgen, denn wir haben ein konkretes „Vertriebsmodell“. Es geht bei Straßenzeitungen um den direkten Kontakt, den Austausch.

Wie groß sind aus Deiner Sicht die realistischen Möglichkeiten für von Wohnungslosigkeit und Armut betroffene Menschen, ihre Perspektiven durch den Verkauf sowie die Beratungsangebote von bo  do entscheidend zu verbessern?

Wir sehen bei Menschen, die neu zu uns kommen, unmittelbar wie effektiv der Verkauf des Straßenmagazins die Kette von Niederlagen und Erfahrungen des Scheiterns durchbricht. Das Zutrauen in sich selbst ist die Voraussetzung, die nächsten Schritte zu machen. Wir bewegen uns in großen Netzwerken der Wohnungslosenhilfe der jeweiligen Kommunen und sehen unsere Aufgabe vorgelagert, eher als Clearing-Stelle, die weitervermittelt und Menschen auf den Weg bringt. Was die Perspektiven angeht, komme ich mit einer etwas unangenehmen Statistik: Menschen auf der Straße haben eine Lebenserwartung von 46 Jahren. Die Verkäufer, die länger bei uns sind, haben wie die meisten, die uns verlassen haben, inzwischen eine Wohnung. Sie sind nicht irgendwo im mittleren Management gelandet, aber sie haben die Straße überlebt und führen zum Teil ein wirklich glückliches Leben. Das ist für sie und für uns viel.

Was ist Dir selbst bei Deiner Arbeit am wichtigsten? Was macht Dir am meisten Spaß und welches sind aus Deiner Sicht die ‚Schattenseiten‘ im Printmedienbereich?

Das Großartige an meinem Job ist, dass es eigentlich mehrere sind. Mit Auszubildenden und den MitarbeiterInnen in allen Arbeitsbereichen (wir haben einen großen Buchladen und ein Transportunternehmen) sind wir 30 nette Leute. Was wir da leisten, darf ich als Öffentlichkeitsarbeiter erzählen, das macht wirklich Spaß. Trotzdem darf ich journalistisch arbeiten, dabei auch „nerven“ und das mit einem tollen Team von freien RedakteurInnen. Und vielleicht am Wichtigsten: Der Raum, in dem wir unsere Redaktionskonferenz abhalten, wird am Tag darauf unser Verkäufercafé. Das heißt: Hier steht einem jeden Tag das wirkliche Leben auf den Füßen und erzählt Geschichten. Wir haben hier mit Armut, Obdachlosigkeit und Sucht zu tun und treffen dabei auf freundliche, spannende, überraschende Menschen. Die übrigens andere Probleme haben, als einen Redaktionsschluss oder zu viel Facebook-Ablenkung. Wenn ich die „Randgruppen-Berichterstattung“ der Mainstream-Medien angucke oder die über die Zuwanderung aus den neuen EU-Staaten, glaube ich, dass das Erfahrungen sind, die auch einigen KollegInnen helfen würden.

Herzlichen Dank für das Gespräch!
 

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