Mali und Algerien sind nur die letzten Beispiele in einer Reihe von Entwicklungen, die darauf hinweisen, dass die Staaten Nordafrikas derzeit vor einigen sicherheitspolitischen Herausforderungen stehen. Dem/der entfernten BeobachterIn mag es so vorkommen, dass der scheinbare Aufschwung dschihadistischer Gruppierungen infolge des Arabischen Frühlings Ursache für die komplizierte Situation in den so genannten „schwachen“ Staaten der Region ist. Allerdings sind die Probleme vielschichtiger und speisen sich auch aus tribalen und ethnischen Konflikten sowie den finanziellen Interessen verschiedener Parteien.
Insbesondere die Staaten der Sahara und der nördlichen Sahelzone sehen sich mit Herausforderungen konfrontiert, welche die innerstaatliche Integrität bedrohen. Im Zuge der letzten Wochen rückte zuletzt die Region um Mali in den Fokus. Das poröse Grenzgebiet der Staaten Niger und Libyen, Mali, Mauretanien und Algerien ist seit Jahren Bewegungsfeld für dschihadistische Zellen und AkteurInnen, welche aus Waffen- und Drogenschmuggel enorme Profite erzielen. Mittlerweile befinden sich französische Truppen auf dem Vormarsch – vorgegebenes Ziel ist es, die Souveränität der malischen Regierung wiederherzustellen, welche durch den Vorstoß dschihadistischer Elemente in den Süden des Landes untergraben worden war.
Politisches Versagen
In Mali verschlechterte sich die Situation in den vergangenen Monaten zunehmend, die humanitäre Lage ist katastrophal und die Beweggründe der Handelnden sind nicht immer klar. Die französische Intervention, mittlerweile unterstützt durch US-amerikanische sowie europäische Finanz- und Militärhilfe, zielt auf die Zerschlagung der dschihadistischen Verbände ab. Damit sollte das Krisenmanagement allerdings nicht enden. Fakt ist, dass sich die westlichen Staaten dieser Situation nicht entziehen können, sind Teile der Problematik doch Resultate ihrer fehlerhaften Politik. 2008 bestand das Netzwerk, das heute unter dem Namen al-Qaida im islamischen Maghreb (AQIM) gefasst wird, aus einigen hundert KämpferInnen verschiedener Gruppierungen in Algerien, Mali und Niger. Dank des Beitritts von SöldnerInnen aus der ehemaligen Armee Gaddafis sowie verschiedener Tuareg-Gruppierungen, die ihre Interessen von der ehemaligen Regierung unter Amadou Toumani Touré nie verwirklicht sahen, ist die Formation heute zahlenmäßig um einiges stärker; etwa 2000 KämpferInnen werden vermutet. Sie ist allerdings auch deutlich schlagkräftiger, da das seltsamerweise in Deutschland ansässige Africa Command (AFRICOM) der US Army ein Trainingsprogramm für malische Soldaten initiierte, das gemessen an seinen Zielen – innenpolitische Stärkung, Prävention von Bedrohungsszenarien durch dschihadistische Gruppierungen – deutlich scheiterte. Von den vier Einheiten liefen drei zu dem Gemisch aus RebellInnen über; eine weitere Gruppe unter Amadou Sanogo, welche im Frühjahr 2012 die bestehende Regierung in einem Putsch absetzte, hatte zuvor ein Ausbildungsprogramm in Fort Benning, Georgia genossen. Laut Huffington Post habe AFRICOM einen wesentlichen Teil des Programms, die politische Komponente, eindeutig vernachlässigt. Kurz nach dem Militärputsch im März 2012 fielen die KämpferInnen der islamistischen Organisation Ansar Din ihren Tuareg-Verbündeten in den Rücken. Eine islamistische Allianz aus Ansar Din, AQIM und der Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika (MUJAO) übernahm den Norden des Landes. Diese Allianz führte ein repressives und brutales Regime ein und vertrieb die lokale christliche Minderheit.
In den Wochen vor der militärischen Eskalation war die malische Armee nicht in der Lage, den Norden des Landes zu kontrollieren; die Grenzregion zu Algerien diente gar als Operationsgebiet für Waffen- und Drogenschmuggel.
Frankreich interveniert
Mit der französischen Intervention reagierte der Westen auf die innermalischen Konflikte. Der Norden des Landes soll nicht zum Trainingslager für neue Kader von MUJAO und AQIM werden. Kritische Stimmen verweisen allerdings auf die Rohstoffinteressen Frankreichs: Zum einen existieren im Grenzgebiet der Staaten Mauretanien, Algerien und Mali reichhaltige Erdöl- und Erdgasvorkommen, deren Förderung und Transport ein äußerst lukratives Geschäft darstellen könnten. In einem Interview mit arte bezifferte Yves Jeanclos, Direktor des Forschungszentrums für Verteidigung und Strategie, die Reserven auf malischem Gebiet auf etwa 2,5 Millionen Barrel Öl und 400 Milliarden Kubikmeter Gas. Zum anderen verfügt der Norden des Landes über beträchtliche Goldvorkommen sowie Bestände der für die Hightech-Industrie so wichtigen Seltenen Erden, deren Abbau höchst umweltschädlich ist. Ferner stellt das im benachbarten Niger geförderte Uran für den französischen Areva-Konzern einen erheblichen Anteil seiner Uranproduktion dar. Für potenzielle Abnehmer ist eine politisch stabile Lage essentiell.
Auf den ersten Blick scheint die Offensive Frankreichs unaufhaltsam, die Vorstöße seiner Truppen in den Norden erfolgen rasch und erfolgreich. Tatsächlich stoßen die französischen Truppen kaum auf Gegenwehr – die Rebellen verlegen sich offenbar auf eine Vermeidung direkter Konfrontationen, um nach dem Rückzug der französischen Armee die entsprechenden Gebiete wiedereinzunehmen. Frankreich hofft auf den Einsatz einer von den UN unterstützten Armee afrikanischer Staaten, um die territoriale Integrität nachhaltig zu gewährleisten.
Umfangreiche Strategie notwendig
Tatsächlich bedürfen die betroffenen Parteien angesichts des Ausmaßes des Konfliktes einer umfangreichen und nachhaltigen Strategie, ist das Problem im Kern doch komplexer als die Anwesenheit dschihadistischer Elemente. Mali ist in den vergangenen Jahren zu einem der Hauptumschlagplätze für Drogen geworden, das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung schätzt, dass mindestens 60 Tonnen Kokain pro Jahr durch westafrikanische Staaten geschmuggelt werden. Ferner bieten Menschen- und Waffenhandel sowie der Schmuggel von Diamanten angesichts der dysfunktionalen staatlichen Strukturen lukrative Möglichkeiten für kriminelles Potenzial. Während die geopolitische Signifikanz der Region aufgrund ihrer enormen Rohstoffvorkommen steigt, kämpfen Mali und seine Nachbarstaaten mit Armut, Korruption sowie fehlender territorialer Integrität. Hinzu kommen tribale und ethnische Feindseligkeiten, welche den innerstaatlichen Konflikten Nährboden liefern.
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