Die Bundesrepublik in den späten Sechzigern. Die Gesellschaft steht vor großen Umbrüchen, Studierende und viele weitere Bürgerinnen und Bürger gehen regelmäßig auf die Straße und der Axel-Springer-Konzern mit seinem Kampfhund „Bild“ fürchtet um Macht, Geld und das deutsche Volk. Aufgeheizt von eben genanntem Boulevard-Blatt, kommt es zu gewaltsamen Übergriffen auf Mitglieder der Studierendenbewegung. Am 2. Juni 1967 wird Benno Ohnesorg bei einer Demonstration in Berlin von einem Polizisten unter bis heute nicht vollständig geklärten Umständen erschossen. Vierzig Jahre später äußert sich der Todesschütze jedoch unmissverständlich und macht die medial angeheizte Stimmung überdeutlich: „Wer mich angreift, wird vernichtet. Aus. Feierabend. So ist das zu sehen“ (taz, 20. November 2007). Auch eine noch immer herrschende Mentalität offiziell längst vergangener Nazi-Tage schwingt hier mit. Am 11. April des Jahres 1968 wird eines der führenden Mitglieder der Protestbewegung lebensgefährlich verletzt. Auf offener Straße werden drei Kugeln auf Rudi Dutschke abgefeuert. Er überlebt nach einer schwierigen Operation, verstirbt jedoch elf Jahre später an den Spätfolgen des Attentats. Wenige Tage vor dem Mordanschlag rief die Bild-Zeitung zum „Ergreifen“ der „Rädelsführer“ auf. Inwieweit hier ein direkter Zusammenhang besteht, ist heute kaum zu rekonstruieren. Allerdings zeigen diese Beispiele sehr klar, dass die Formierung einer Gegenöffentlichkeit das „Leitmedium“ Bild gehörig verängstigte und in eine Art Kriegsbereitschaft versetzte.

Von Medienmacht und Medienmachern

Doch trotz aller Proteste behielt Axel Springer immense Macht. Neben den Studierenden stellten sich zwar auch viele JournalistInnen und Verlagshäuser gegen die Springer-Blätter, an der Vorherrschaft im Segment der Printmedien – und somit auch der Meinungsbildung – konnte das jedoch nur wenig ändern. Wer radikale Kritik üben wollte, die über die Artikel in Stern, Spiegel und Co. hinausging, dem blieb fast nur der Druck eigener Flugblätter oder die Veröffentlichung in linken Publikationen mit kleiner Auflage. Die geringe Verbreitung reichte zwar aus, um ein intellektuell-akademisches Milieu für die Ideale der Studierendenbewegung zu gewinnen, die breite Öffentlichkeit blieb jedoch oftmals außen vor und las weiter unbehelligt die Stammtischparolen aus der Hamburger Bild-Redaktion. Geändert hat sich daran auf den ersten Blick bis heute nur wenig (sieht man einmal da-von ab, dass die Redaktion kürzlich nach Berlin übersiedelte). Die Bild brüstet sich weiterhin damit, „Europas beliebteste Tageszeitung“ zu sein. Auch der Konzern eilt von einem Rekord zum nächsten und wirkt in seiner Selbstdarstellung wie die Erfüllung messianischer Prophezeiungen rund um das „deutsche Wirtschaftswunder“. Doch hinter der Fassade bröckelt es. Während es in den Sechzigern der Politisierung an deutschen Hochschulen geschuldet war, dass Springer um seine Rolle als Platzhirsch der Medienlandschaft zu fürchten hatte, sind es heute die Vorzüge eines breiten und multimedialen Angebotes.

TV = Totale Verblödung?

Ein Medium, das seit seiner Einführung vor fast sechzig Jahren beständig an Einfluss gewann, ist das Fernsehen. Von Zeitungsmachern gefürchtet, stellt es bis heute jedoch keine entscheidende Gefahr für die politische Macht der Printmedien dar. Das Fernsehen hat die Zeitung zwar zwischenzeitlich als wichtigster Bote für Neuigkeiten abgelöst, breite politische Einflussnahme fällt jedoch weniger leicht als im Medium „Zeitung“, wo knackige Schlagzeilen jede Erwähnung im kurzlebigen Fernsehgeschäft überstrahlen. Auch die stärkere Zuwendung zur passiven Berieselung durch das Fernsehen spielt dem politischen Boulevard-Journalismus in die Karten. Immer mehr Bevölkerungsschichten schrecken vor längeren und komplexeren Texten zurück, und so gewinnt die Bouldevard-Presse mit ihrem Konzept aus reißerischen Titeln, provokanten Bildern sowie kurzen und simplen Artikeln Menschen für sich, die vor vierzig Jahren vielleicht noch Hemmungen hatten beziehungsweise gehabt hätten, diese Form von Journalismus zu unterstützen. Das Fernsehen bewirkt so zwar eine starke Veränderung der Medienlandschaft, bestärkt jedoch eher die bereits vorhandenen Probleme, statt neuen Optionen eine Chance zu geben.

Ein neues Universum entsteht

Doch spätestens in diesem Jahrtausend verliert das Fernsehen zunehmend seine Vormachtstellung in der Informationsweitergabe und muss immer mehr dem Internet weichen. Anders als seine Konkurrenzmedien lässt sich das Internet nur schwer einstufen und bietet gleichzeitig alle Vor- und Nachteile von TV und Printmedien. Lange Zeit blieb das Internet nur ein Spielplatz für experimentierfreudige Außenseiter. Aber auch große Medienunternehmen erkannten frühzeitig Potential und Möglichkeiten dieser neuen Welt. So baute auch Springer große Online-Ableger seiner Zeitungen auf und bemüht sich seit Jahren durch Firmenübernahmen um den Aufbau eines breiten Online-Netzwerks. Zwar scheiterte die Übernahme des „Social Network“-Giganten StudiVZ, andere Unternehmen wie das Spieleportal „Gamigo“ wurden jedoch Teil des Springer-Imperiums. Laut Alexander Pfitzner, Online-Journalist und ehemaliger Geschäftspartner von Gamigo, ist seit der Übernahme vor allem ein Identitätsverlust zu verzeichnen: „Früher war Gamigo eine unverkennbare Marke und ein wichtiger Name in der Szene; davon ist heute leider nichts mehr übrig. Gamigo ist nur noch ein Klon anderer Spieleportale.“ Ähnliche Entwicklungen sind auch bei weiteren Springer-Beteiligungen erkennbar. Individualität und Eigenständigkeit sind für Springer also nicht nur politisch fremde Begriffe, sondern sollen offensichtlich auch in der Unternehmensführung keine Rolle spielen. Doch das Internet ist gerade ein wunderbarer Ort für Individualisten und Querdenker. Was sich früher auf der Straße entlud, wird heute zum großen Teil im Internet ausgetragen. Protest gegen Springer hat heute ganz neue Ausformungen erhalten. Ein Beispiel ist Bildblog.de – Deutschlands erfolgreichstes Weblog. Auf dieser Seite klären erfahrene MedienjournalistInnen über Kampagnen, Lügen und Fehler der Bild auf und schlagen damit bisweilen hohe Wellen bis in die Chefetage von Springer. Zwar wird dort immer wieder beteuert, man nehme die „Blogger“ nicht ernst und es handle sich bloß um „studentische Späße“; der immer größere Einfluss wird jedoch zunehmend deutlich. Bleiben peinliche Fehler im Onlineportal der Bild-Zeitung oft über Stunden unentdeckt, werden sie häufig nur Minuten nach Veröffentlichung auf Bildblog.de kommentarlos korrigiert beziehungsweise entfernt. Auch bei brisanteren Themen wird Springer vorsichtiger, denn die Beobachtung durch erfahrene VertrererInnen des eigenen Berufsstands mit unmittelbarer Offenlegung vor einem breiten Publikum macht die politischen Manipulateure nervös. Das Internet und gerade seine immer offener werdende Struktur in Zeiten des „Web 2.0“ ermöglichen eine vorher unbekannte journalistische Partizipation breiter Bevölkerungsschichten. Natürlich kann auch eine Axel-Springer AG dieses Potential finanziell für sich nutzen; die politischen Folgen sind jedoch kaum im Sinne Springers zu steuern. Eine offene Teilnahme vieler Menschen an politischer Meinungsbildung ist mit der Manipulation der Massen nicht vereinbar. Das Internet bietet alternativen Sichtweisen mehr Raum als je zuvor. Vielleicht kann also jenes Saatgut, welches die ´68er-Generation auf den Boden Nachkriegsdeutschlands werfen konnte, mithilfe einer medialen Revolution im Internet aufblühen und Früchte tragen.

Ich blog’ mir die Welt, wie sie mir gefällt!

Doch wo Licht ist, da ist auch Schatten. Die Vielfalt an politischem Journalismus im Internet dient nicht nur der Aufdeckung von Kampagnen oder einseitiger Propaganda, sondern eröffnet auch ganz neue Gefahren. Gerade rechtsextreme Publikationen, die aufgrund von Verstößen gegen geltendes Recht in gedruckter Form nur schwer zu vertreiben sind, erleben im Internet eine unverhoffte Renaissance. Daten, die einmal im Internet gelandet sind, sind trotz Verboten und Sperrungen dann auch kaum wieder zu entfernen. Die schier unendlich scheinende Freiheit des Internets ist also nicht nur eine Chance für den kritischen Geist, sondern auch eine Herausforderung, um seriöse Quellen von fragwürdigen Seiten zu unterscheiden. Dies fällt mitunter sehr viel schwerer als in früheren Zeiten. Doch insbesondere diese kritische Distanz, die man im Umgang mit dem Internet erlernt, ist eine wichtige Grundbedingung für jegliche Form der Informationsaufnahme. Vielleicht kann so eine neue, aufgeklärte und emanzipierte Generation erwachsen, die das Entstehen neuer „Leitmedien“ zu verhindern weiß und politische Manipulateure entlarvt, bevor sie Schaden anrichten können.

jk

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