2010 sollte das Jahr von ProSieben in der sommerlichen Samstagabendunterhaltung werden. Drei in den USA erfolgreiche Formate hatte man eingekauft, drei Formate, die die niedersten Instinkte im Menschen ansprechen: Ekel, Abscheu und Voyeurismus. ProSieben wandelt auf dem schmalen Grat zwischen wegschauen müssen und nicht wegsehen können. Der Sender beantwortet eindrucksvoll die Frage, ob es nach Big Brother und dem Dschungel-Camp noch eine Steigerung geben könnte. Es gibt sie, sie heißt Alice und trägt Prominenten, von denen die meisten Menschen noch nie etwas gehört haben dürften, Aufgaben auf, wie 36 T-Shirts übereinander zu tragen oder die Zunge gegen eine Scheibe zu drücken. Eingesperrt im acht Quadratmeter Oktagon, isoliert von der Umwelt, sind diese Menschen ganz allein mit sich selbst und dem guten Dutzend Kameras, das jede ihrer Bewegungen dem erstaunten Publikum präsentiert. Ist das noch Unterhaltung? Wenn nach zwei Stunden Oktagon dann einer der Kandidaten die Nerven verliert und mit dem roten Knopf sein Ausscheiden besiegelt und die Superquasselwaffe des Senders Talk-Tante Sonja Krauss Feierabend macht, geht es jedoch weiter mit einem Duell, das sich nach eigenem Bekunden als Fortsetzung eines ewigen Kampfes wähnt: Elton vs. Simon. Kamasutra-Stellungen mit dem jeweils anderen üben, um sie dann vor Millionen Publikum vorzuführen, mag vielleicht keinen mehr aufregen in Zeiten, in denen das Sexuelle kaum noch einen Jugendlichen zu erschüttern weiß. Erschüttert werden lediglich die Eltern der Kinder sein, die sich am Sonntagsfrühstückstisch nach der Wiederholung der Sendung mit der Frage konfrontiert sehen, ob Bienchen und Blümchen oder der fliegende Dackel die kleinen Kinder bringen.
Den Gipfel erklimmt ProSieben jedoch erst nach 23 Uhr. Die Liga der Bälle. Während die wörtliche Übersetzung noch an einen Ausflug ins Ikea-Kinderparadies erinnert, ist die Show eine Ansammlung Spätpubertierender mit nur einem Ziel: Sich selbst zum Deppen zu machen, um in den abgesagtesten Club der Stadt, der Welt, ja des Universums zu kommen. Wer da die Ansage macht, bleibt jedoch offen, wenn gerade erwachsene Männer in ihre Flegelphase zurückfallen, ein Training als Drag-Queen absolvieren oder im Borat-Kostüm ihren Allerwertesten zur Schau stellen. Nach kurzem Bezahl-Voting steht er dann fest: der Held des Abends, der in den Club darf.
Ein Abend auf ProSieben ist derzeit so unterhaltsam, wie eine Zahnwurzelbehandlung und ähnlich schmerzhaft. Warum sich bis zu 18 Prozent der dem Sender relevanten Zielgruppe sich so etwas antun, kann eigentlich nur mit einer grassierenden Grippeepidemie oder extrem schlechten Wetter begründet werden. Wenn das lustig ist, WILL ich Westfale sein.
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