Insgesamt waren im Rahmen des Hauptprogramms 39 Videos mit maximaler Länge von 35 Minuten sowie im Bochumer Programm weitere acht Filme zu sehen. Hinzu kamen jeweils etwa halbstündige Sets fünf verschiedener Teams im VJ-Wettbewerb, so dass insgesamt über 50 Beiträge in den einzelnen Hauptwettbewerbskategorien zu verfolgen waren.
Quantensprung der Videojockeys
Neben ästhetisch wie filmtechnisch anspruchsvollen experimentellen Beiträgen und emotional oft sehr berührenden Videos mit narrativem Akzent waren auch zahlreiche dokumentarische Werke mit oftmals politischem Anspruch zu sehen. Ein kleiner Quantensprung manifestierte sich im Bereich des „VJ-ing“: Die Videojockey-Teams stellten bei ihrem 7. Wettbewerb im 18. Festivaljahr eindrucksvoll unter Beweis, dass dieses Genre längst über die Clubszene hinausgewachsen und inzwischen durchaus in etablierte Kulturräume wie dem Theater Einzug hält. Das VJ-Genre ist zudem sehr geeignet, den visuellen Akzent auf eine durchaus kritische Auseinandersetzung mit der chaotischen Zeichensprache der Gegenwartsgesellschaft (Informationsüberflutung, Reklame etc.) zu legen – dies bewies insbesondere die polnische Gruppe „ionky gluu“ mit ihrem faszinierenden Set bereits am ersten Tag des Festivals. Als Gewinner ging jedoch das technisch anspruchsvollere deutsche Duo „MFO“ als Sieger aus dem VJ-Wettbewerb hervor.
Internationalismus und Kapitalismuskritik
Als visuelle Sonde der Gegenwartsgesellschaft fungierten viele der Kurzfilme im Hauptwettbewerb. Kapitalismuskritische Akzente setzte der Beitrag „Utopia“ von Mikko Manuel Kamunen (Finnland), der den Finger in die Wunde eines Wirtschaftssystems legt, dessen gesichtslose Maschinerie vom Primat der Profitorientierung geprägt ist. Das Dokumentarvideo „Schlaflied für einen Rückkehrer“ von Dario Aguirre aus Ecuador führte die letzten Tage vierer Menschen in Deutschland vor Augen, die nach langer Zeit im Exil in ihre „Herkunftsländer“ abgeschoben werden. In „Blood revange“ stellt der Kosovare Luan Kryeziu die existentielle Frage nach der Ursache für Kriege angesichts der geradezu paradiesisch erscheinenden Alternative des Friedens.
Als einziger hochpolitischer Beitrag mit einem der drei Hauptpreise des Festivals ausgezeichnet wurde schließlich die iranisch-irakische Produktion „Angels die in the Soil“ des iranischen Kurden Babak Amini: Die Protagonistin des 30-minütigen Kurzfilms verdient den Lebensunterhalt für ihren schwerkranken Vater und sich selbst nach dem Tode ihrer Mutter bei einem irakischen Giftgasangriff, indem sie Knochen im Iran-Irak-Krieg getöteter Soldaten ausgräbt und verkauft. Ihr Versuch, einem bei einer Exekution angeschossenen amerikanischen Soldaten das Leben zu retten, wird durch Terroristen vereitelt. Am Ende wird die Protagonistin wie der Rezipient dem schalen Gefühl gänzlicher Perspektivlosigkeit überantwortet.
Die beiden weiteren Hauptpreise gewannen der experimentelle fünfminütige Beitrag „Energie!“ von Thorsten Fleisch (Koblenz) – ein technisch ausgefeiltes Bildkonzentrat, das die „universelle Geschichte“ der Genesis audiovisuell abzubilden sucht. Ebenfalls durch geballte – hier jedoch emotionale – Energie rockt das auch mit einem der Hauptpreise von 500 Euro bedachte 12-Minuten-Video „Antje und wir“ von Felix Stienz (Berlin) – eine improvisierte Interview-Collage über den spontanen Beginn und das genauso abrupte Ende einer heftigen einwöchigen Kurzbeziehung. Mit gleich drei Preisen ausgezeichnet wurde das knapp zehnminütige Video des Osnabrückers Jan Riesenbeck mit dem originellen Titel „Kopfgeburtenkontrolle“: Das mit Film- und Kunstzitaten von Chaplin über Munch bis Picasso angereicherte Filmportrait vom Leben als „Traum im Traum“ (frei nach Edgar Allen Poe) illustriert den Gegensatz maximaler Beschleunigung des Alltags des zum „Maschinenmenschen“ in einem „künstlichen Leben in Perfektion“ degradierten Individuums und der Notwendigkeit eines entschleunigenden Neustarts. Dies manifestiert sich bildsprachlich im Kontrast zwischen hektischem menschlichem Aktionismus und dem naturbezogenen Ruhepunkt der Visualisierung eines Schildkröten- bzw. Schneckenlebens. Trotz des ansatzweise eingelösten hohen Anspruchs der „Kopfgeburtenkontrolle“, eine das Leben lediglich nachahmende mimetische Funktion von Kunst aufzubrechen, erscheint es fragwürdig, dass der Film, der unter anderem auch den Publikumspreis erhielt, über den Förderpreis des Festivals hinaus zudem mit dem Preis fürs internationale Programm belohnt wurde. Bedauerlich dagegen, dass ein detailverliebter animierter Legofiguren-Kurzfilm wie „Weltraffer“ von der Gruppe „Nicht gedreht“ – Lukas Helmbrecht und andere – über die Absurdität kriegerischer Destruktionszyklen lediglich mit einem 30-Euro-Getränkegutschein für eine bekannte Bochumer Kneipe bedacht wurde. Den Veranstalterpreis erhielt der von körpersprachlicher Bildästhetik überbordende israelische Beitrag „Alpine Lilies“ von Shimrit Golan. Der Bochumer Sonderpreis wurde Lukas Jötten für seinen ursprünglich als Bewerbung für die Filmakademie Berlin eingespielten 6-Minuten-Film „Ich gegen den Erdkern“ zugesprochen.
Und sonst?
Ein weiteres Highlights war das Gastspiel des italienischen Kurzfilmfestivals „Magma – mostra di cinema breve“ beim inzwischen traditionellen Videobrunch am letzten Festivaltag. Zudem umrahmten zahlreiche Installationen sowie Präsentationen von VJ-Software und dem nötigen Equipment zur Gestaltung digitaler Kunst das dreitägige Festival. Last but not least klangen die drei Tage und Nächte jeweils mit attraktiven Parties im KulturCafé sowie im ehemaligen Cinema im UniCenter aus. Während der Partyauftakt auf dem RUB-Campus mit drei Euro Eintritt noch erschwinglich war, musste bei den beiden übrigen Festivitäten tiefer in die Tasche gegriffen werden – bis zu sieben Euro waren jeweils fällig, um an der Security am Einlass vorbeizukommen. Für eine Studi-Party sicherlich etwas üppig bemessen – selbst vor dem Hintergrund, dass sich das Festival mit einem Budget von rund 35.000 Euro zum Teil über die Parties finanzieren muss.
Heiligendamm fand nicht statt
Die Bilanz des Festivals fällt durchwachsen aus: Zweifellos wurde es sehr professionell durchgeführt, und zahlreiche technisch anspruchsvolle wie ästhetisch gelungene Beiträge waren zu sehen. Nicht zuletzt angesichts der Tatsache, dass mit 9.000 Euro mehr als ein Viertel des Budgets vom AStA getragen wird, wäre ein höherer Anteil politischer Beiträge im Hauptprogramm des Festivals jedoch sehr erfreulich gewesen. Beim 12. Videofestival 2002 beispielsweise hatte die filmische Auseinandersetzung mit der massiven Repression gegenüber globalisierungskritischen Protesten beim G8-Gipfel in Genua 2001 eine zentrale Rolle gespielt. Zum G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm und dem Einsatz der Bundeswehr im Inneren ohne Parlamentsbeschluss war im diesjährigen Festivalprogramm jedoch kein einziger Beitrag zu sehen. Schade eigentlich – insbesondere vor dem Hintergrund, dass das 18. Internationale Videofestival Bochum auf den Tag genau 40 Jahre nach der Verabschiedung der „Notstandsgesetze“ im Bundestag zu Ende ging.
USch
Fotos : hier
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