Horror unterm Gabentisch
Die Versuchung war groß, auf all den aktionistischen Blödsinn, den bundesdeutsche PolitikerInnen nach dem letzten Amoklauf so von sich gaben, hier an dieser Stelle mal mit einem sachlichen, wissenschaftlich fundierten Text zu antworten, ähnlich dem, der schon vor sechs Jahren, nach dem Amoklauf in Erfurt in der bsz erschienen war. Je länger die Stoibers und Becksteins, und wie sie alle heißen, aber Zeit hatten, sich über Computerspiele zu echauffieren, desto mehr drängte sich die Erinnerung an ein denkwürdiges Zitat des damaligen Bundeskanzlers Schröder in den Vordergrund, das wie kein anderes die gegenwärtige „Debatte“ umschreibt. Sinngemäß hatte dieser damals, nachdem er einräumen musste, dass sich der unterstellte negativen Einfluss von Spielen nicht (wissenschaftlich haltbar) nachweisen lässt, erklärt „Muss man das überhaupt?“
Die Antwort auf diese Frage hängt natürlich ganz vom Zusammenhang ab, in dem sie gestellt wird. Im Zusammenhang des Wissenschaftsbetriebs, in einer Unizeitung ein offensichtlich naheliegender, muss dies sicherlich geschehen. Anders als noch vor sechs Jahren gibt es inzwischen auch mehr als nur eine Handvoll Studien zum Thema, und genauso wie vor sechs Jahren gibt es auch heute noch keinen erwiesenen, signifikanten Zusammenhang zwischen dem Spielen von Spielen, und seien es „Killerspiele“, und Verhalten außerhalb dieser Spiele. Um mal aus dem sechs Jahre alten Text zu zitieren: Der Sozialpädagoge Jürgen Fritz fasst seine Meinung darum auch wie folgt zusammen: „Egoshooter produzieren keine Mörder, keine Totschläger und keine Schießwütigen. Egoshooter produzieren Leute, die in Labyrinthen mit anderen ihren Spaß haben wollen, und diesen Spaß finden, indem sie Situationen vorfinden, in denen sie reaktionsschnell handeln müssen, in denen sie geschickt mit Waffen umgehen müssen und in denen sie die anderen virtuell zum Verlöschen bringen und dadurch Punkte sammeln.“
Wer denkt denn mal an die Kinder?
Die vermeintliche Diskussion um vermeintliche Killerspiele spielt sich aber auch in einer anderen Arena ab. In unserer geliebten, repräsentativen Demokratie reicht es schließlich im Allgemeinen aus, dass PolitikerInnen so tun, als ob sie etwas wüssten und machen würden, gemeinhin als Aktionismus bekannt. Frisch vom aktionistischen Kampf gegen den Terror geht es jetzt halt an die Heimatfront, angeblich im Kampf um unsere Jugend, in Wirklichkeit natürlich nur im Kampf um einen Platz bei Christiansen. Ironischerweise trifft eines der Stichworte, die in solchen Gesprächen dann oft benutzt werden, den sprichwörtlichen Nagel auf den ebenso sprichwörtlichen Kopf.
Goethe, der Killerautor
Um die Spannung gleich wieder aufzulösen, Medienkompetenz ist das Wort, also „die Fähigkeit, Medien und die durch Medien vermittelten Inhalte den eigenen Zielen und Bedürfnissen entsprechend effektiv nutzen zu können.“ (Zitat Wikipedia) Angeblich fehlt diese Kindern und Jugendlichen, von denen bekanntlich nicht Tausende, sondern Millionen völlig unbeschadet fröhlich in Spielen herummorden. In Wirklichkeit fehlt sie natürlich der älteren Generation, der Fernsehgeneration, den aktuellen PolitikerInnen und besorgten Eltern, die froh und stolz sind, wenn sie es schaffen E-Mails zu verschicken oder bei ebay ein Buch zu ersteigern. Dieselben Leute also, die sich vor 30 Jahren über Negermusik beschwert haben und vor über 200 Jahren über diese neumodische und gefährlich Erfindung namens „Roman“. Wir können das Thema durchaus in Perspektive rücken, indem wir uns vergegenwärtigen, dass wir mal wieder vor einem Werther-Effekt Angst haben sollen, dem Nachahmen von in Medien vermittelten Inhalten. Und der Begriff bezieht sich in der Tat auf Goethes „Leiden des jungen Werther“ von 1774. Nur mal zum Vergleich Stoiber heute: „Sie animieren Jugendliche, andere Menschen zu töten. […] Das sind völlig unverantwortliche und indiskutable Machwerke, die in unserer Gesellschaft keinen Platz haben dürfen.“ und der Leipziger Stadtrat damals: „es wird hier ein Buch verkauft, welches den Titel führt „Leiden des jungen Werthers“. Diese Schrift ist eine Empfehlung des Selbstmordes“.
In beiden Fällen liegen die Ursachen für individuelles Handeln nicht in der Person selbst oder gar der Gesellschaft in der sie lebt, sondern wird beiden, Person und Gesellschaft, von böswilligen, fremden Medien aufgedrängt. Solange das Thema der Debatte bleibt, Werbung der Bundeswehr in Spielezeitschriften für Minderjährige, und die Bundeswehr lehrt bekanntlich das echte Morden von echten Menschen mit echten Waffen, kein Problem ist, die Darstellung von Gewalt gegen Darstellungen allerdings schon, lohnt es sich ehrlich gesagt gar nicht, über dieses Thema so viele Worte zu verlieren.
dek
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