Was macht die Kuh auf dem Baum?

Am vergangenen Donnerstag markierte eine interessante Lesung des Ruhrgebietsautors Jo Ziegler den Auftakt zum Sommerprogramm des Textzentrums Essen. In seinem Debütwerk „Die Ruhr-Magier“, der den Auftakt zu einer geplanten Romantrilogie bildet, wirft der auch als bildender Künstler tätige Newcomer einen eigenwilligen Blick auf die Geschichte der Industrialisierung der Ruhr-Region und will mit seinem Schaffen außerdem einen Gegenakzent zum kulturellen Mainstream der „Kulturhauptstadt Ruhr.2010“ setzen. Und ganz nebenbei legt er auch den Finger in die tiefe Wunde zivilisatorischer Gegenwartsprobleme wie BSE…

Drei Schmiede sind die Protagonisten des aktuell erschienenen Romans: Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts mischen sie mit ihrer – trotz „hammerhartem“ Schmiedealltag – hedonistischen Lebensphilosophie das Ruhrgebiet auf, wo sich die Handlung mit dem Essener Halbach-Hammer (heute Industriedenkmal im Gruga-Park) als zentralem Ort des Geschehens abspielt. Die drei Ruhrschmiedeknechte nehmen die Leserinnen und Leser mit auf eine literarische Entdeckungsreise durch die „Boom-time“ des Reviers, das noch um 1840 gerade mal 250.000 EinwohnerInnen zählte.

Fragiles Ruhrwiesenidyll

50 Jahre später, auf dem Höhepunkt der Industrialisierung, repräsentieren die Halbach-Schmiede fast schon die restvitalen Ausläufer einer aussterbenden Gattung. Aber dafür sind sie verdammt lebendig: Nach der Maloche in den Ruhrwiesen „so richtig mit Zippes und Zappes“ einen draufzumachen, ist ihr höchstes Glück, das den Ruhr-Magiern leitmotivisch zugeschrieben ist. Doch das Ruhrwiesenglück währt nicht ewig. Zunächst unmerklich schleichen sich geradezu kafkaeske Elemente in den Gang der Handlung ein: Spätestens als eine Ruhrwiesenkuh auf einem Baum erscheint, scheint das glückselige Leben „im Gleichklang mit der Natur“ in den „fetten Ruhrwiesen“ aus dem Lot gebracht. Und als sich an einer anderen Stelle Franz Kafka höchstselbst „aus den scharfen Sichelgräsern“ des Textes hervorschält, um die Protagonisten „in ein leeres Schloss“ zu treiben und persönlich darin Feuer zu legen, ist es vorbei mit der Harmonie.

Konsumzeitende: Menetekel Rinderwahnsinn

Am Ende stranden die Leserinnen und Leser der „Ruhr-Magier“ an den schroffen Ufern ungelöster Gegenwartsprobleme: Die glückliche Ruhrwiesenkuh ist endgültig Geschichte, und der idyllisierte Schmiedealltag ist handfesten Gegenwartsproblemen gewichen. Von allen zivilisatorischen Menschheitsproblemen wird eines am Schluss besonders hervorgehoben: BSE. Das Ende der industriellen Boom-time im Ruhrgebiet korrespondiert auf diese mysteriöse Weise mit den Grenzen eines unbesorgten hedonistischen Lebensstils und dem vermeintlichen Ideal unbeschwerten Konsums. Dies wirft schließlich die Frage auf, ob morgen eventuell „der Goldfisch in die Pfanne“ kommt. Aber vielleicht besinnt sich die Menschheit ja doch noch eines besseren und wendet sich rechtzeitig überwiegend dem Vegetariertum zu…

Nachhaltige Ruhrkultur

Zu hoffen bleibt ferner, dass dies im übertragenen Sinne auch für andere Lebensbereiche gilt, von denen am Romanende der „Ruhr-Magier“ der kulinarische besonders herausgehoben wird. Bezogen auf den Kulturbereich nahm der Autor zu Beginn seiner Lesung im Textzentrum Essen direkten Bezug auf die MacherInnen der Ruhr.2010: So wandte sich Jo Ziegler explizit gegen den Größenwahn eines eintägigen Mammutevents einer „Kette von Tapeziertischen“ entlang der A40 quer durchs Ruhrgebiet. Der Initiator des Textzentrums Essen, Uri Bülbül, hat da ganz andere Vorstellungen von nachhaltigen kulturellen Akzenten, die auch über 2010 hinaus währen mögen. Ein Literaturhaus Ruhr wäre eine Idee, die bereits seit Jahren diskutiert wird, ohne dass bislang jedoch konkrete Schritte zu ihrer Realisierung eingeleitet worden wären. Das Kulturhauptstadtjahr böte die Chance dazu, die es zu ergreifen gälte. Carpe diem!

USch

„Die Ruhr-Magier“, Schreibhaus (2008), ISBN 3-937840-06-0. Jo Zieglers nächste Lesung aus seinem Buch findet am Samstag, den 23.8., ab 19 Uhr im Textzentrum Essen, Giradethaus, Giradetstraße 2 bis 38 (Eingang 7), statt. Am 15. und 16. August lädt das Zentrum außerdem zum „Textflohmarkt“ mit verschiedenen AutorInnen und ihren Werken ein.

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