Dass das wirklich funktionieren würde, hätte ein Jahr zuvor wirklich niemand gedacht. Insbesondere, wenn man das zahnlose Diskussionspapier „Metropolenträume in der Provinz – Thesen zur Kulturhauptstadt RUHR.2010“ unter die Lupe nimmt, das die AG in den ersten fünf Monaten ihres Wirkens hervorgebracht hat. „Gentrifizierung“ lautet das Zauberwort, welches das etwas lang geratene Pamphlet durchsäuert. Noch nie gehört? Macht nix – Wikipedia hilft weiter: „Gentrifizierung (von engl. Gentry: niederer Adel), teils auch Gentrifikation (von engl. Gentrification), umgangssprachlich auch ‚Yuppisierung‘, ist ein in der Stadtgeographie angewandter Begriff, der einen sozialen Umstrukturierungsprozess eines Stadtteiles beschreibt.“ „Die gezielte Aufwertung des Wohnumfelds sowie Restaurierungs- und Umbautätigkeit“ führe darüber hinaus zu einem schrittweisen Wandel der Bevölkerungsstruktur. Eine solche Vision beflügelte auch die Konzeption des Projekts der „Kulturhauptstadt Ruhr.2010“. Die Metropolenträume dürften nicht zuletzt angesichts mangelnder Sponsoren und einer Förderung flüchtiger Eventkultur statt nachhaltiger Entwicklung der Kulturlandschaft entlang der Ruhr jedoch schon vor Beginn des Kulturhauptstadtjahres ausgeträumt sein.

Diskussionswürdig ist die politische Positionierung der AG Kritische Kulturhauptstadt in der Metropolenfrage. So folgt auf einen Abgesang auf den „sterbenden Dinosaurier“ Ruhrgebiet grundlegende Kritik an der Realutopie, „eine Rückkehr zur Vollbeschäftigung sei möglich und auch wünschenswert“. Schließlich räume diese doch „Menschen allenfalls noch eine Erwerbsmöglichkeit im unqualifizierten Niedriglohnbereich ein – etwa im Pflege-, Rei­­nigungs- oder Sicherheitsgewerbe.“ Fragwürdig erscheint zudem die gewagte These, „im Ruhrgebiet als ‚Nicht-Metropole‘“ bedeute „die Auflösung der fordistischen Arbeiterkultur“ gar „eine Befreiung“ – denn dies würde in letzter Konsequenz eine Glorifizierung der sich gegenwärtig zuspitzenden Strukturkrise beinhalten.

Kreativwirtschaft als fragwürdige Entdeckung

Gnadenlos legen die Kulturhauptstadt­KritikerInnen den Finger in die Wunde der chronischen Provinzialität des Ruhrgebiets: „Allen Bemühungen und Beschwörungen zum Trotz bleibt das Ruhrgebiet zutiefst provinziell“ – trotz der rührigen Kultur-Akquise im Rahmen der Kulturhauptstadt mit ihrem „großen Sammelsurium von Ereignissen“. Die Kritik an der „Entdeckung der Kreativwirtschaft“ als „Standortfaktor“ im Zeichen des „Strukturwandels“ kommt jedoch eher generalistisch daher: Partizipationsmöglichkeiten von Künstlerinnen und Künstlern aus dem Ruhrgebiet mit ihren im Einzelfall sicherlich auch (kultur-)politisch durchaus sinnvollen Konzepten unter den über 2.000 ursprünglich eingereichten Projekten lässt das Posi­tionspapier der AG Kritische Kulturhauptstadt außer Acht. Die Diagnose, „im Diskurs um die richtige Strategie des ‚Strukturwandels‘“ präsentiere sich die Kulturhauptstadt 2010 „mit einem ausgrenzenden und instrumentellen Kulturverständnis“ ist sicherlich tendenziell zutreffend. Dennoch geht diese Pauschalkritik an den individuellen Sorgen und Nöten einzelner Kunstschaffender vorbei, deren Projekte nach zum Teil über einjähriger Wartezeit abgelehnt wurden.

Und mehr noch – KünstlerInnen, die sich mit Ruhr-2010-Projektideen einzubringen versucht haben, geraten gar selbst in die Schusslinie: „Doch die Klagen der freien Kulturszene und der VertreterInnen der Sozio­kultur da­rüber, dass nur einzelne Projekte einbezogen wurden und die Mittelvergabe undemokratisch erfolgte und sie konkrete Kulturarbeit leisten, wenn die Kulturhauptstadt längst weitergezogen ist, bleib[en] in ihrer Selbstbezogenheit gefangen.“ Dies dürfte insbesondere jene Kunstschaffenden irritieren, die sich vergeblich mit Projekteinreichungen für die „Ruhr 2010“ beworben haben, und wird den existenziellen Belangen der Betroffenen nicht gerecht.

Metropolenhype

Immerhin übt die Kulturhauptstadt-AG Kritik am Ruhr.2010-Management bei der Ausbeutung der „schlecht oder unbezahlten HelferInnen“ wie „PraktikantInnen oder Ehrenamtlichen“. Statt sich jedoch konsequent auch als ‚kulturpolitische Anwältin‘ für die Belange der Betroffenen zu engagieren und auf dieser Ebene BündnispartnerInnen zu suchen, ergeht sich die AG im weiteren in einer Affirmation fragwürdiger Metropolenträume und redet einer Reanimierung der Diskussion um die Schaffung einer ‚Ruhrstadt‘ das Wort: „Provinzialität bestimmt nicht nur die räumliche Struktur des Ruhrgebiets. Die ‚Kirchturmpolitik‘ der Gemeinden gegeneinander, ihr Konkurrieren um Investitionsströme und die mangelhafte Kooperation machen eine großräumige Planung und den gemeinsamen sinnvollen Einsatz von Ressourcen schwierig. Die Diskussion über große Eingemeindungen oder sogar die Bildung einer ‚Ruhr-Stadt‘ ist jedoch weitestgehend verstummt.“ Dass eine Abschaffung der Ruhrgebietsgemeinden zugunsten einer Megametropole Ruhrstadt auch massiven weiteren Demokratieabbau und neoliberale Rationalisierungsmaßnahmen mit sich bringen würde, wird hierbei geflissentlich ignoriert. In das „Kulturhauptstadt-Spektakel“ will sich die AG Kritische Kulturhauptstadt vielmehr mit „spielerischen Formen der Intervention“ einmischen und versuchen, „mit Aktionen zu irritieren“ – vielleicht ja auch vor der metropolitanen Slumkulisse aufgestapelter Apfelsinenkisten mit Wellblechbekrönung in Dortmund-Aplerbeck.

Am Dienstag, den 26. Mai 2009, 19:30 Uhr, Soziales Zentrum Bochum, Josefstr. 2, will die AG ihr Papier zur öffentlichen Diskussion stellen.

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