Man entschloss sich, Menasse einzuladen, um eine spezifische Perspektive auf das Thema zu ermöglichen, die nicht typisch deutsch ist. Wenn es etwa um „Erfahrungen der Freiheit 1989/91“ geht, dann kann dem nur im Rückgriff auf Erinnertes gedacht werden. Dazu reaktiviert man ein subjektives, ein privates und vielleicht auch so etwas wie ein europäisches Gedächtnis, das auf den ersten Blick als eine zwanglose, unkomplizierte Einheit erscheint. Doch bei näherer Betrachtung treten am Putz der Erinnerung die ersten Brüche zutage, wodurch die erinnerten Wirklichkeiten infrage gestellt werden. Seinem Ruf zufolge ist Menasse aufgrund seiner Tendenz zur intellektuellen Einmischung berüchtigt, vielleicht sogar ein bisschen gefürchtet. Doch der 55-jährige, der das Bochumer Publikum um Erlaubnis bittet, es für seine Facebook-Freunde fotografieren zu dürfen, wirkt alles andere als furchteinflößend.

Retrospektive und Jetzt

Seine 14 Ich-Erzähler berichten in den 14 Kapiteln seines Buches, wie man bei der ewigen Wiederkehr des Neu-Beginnens seine persönlichen Beschädigungen loswird. Sie beschreiben, wie es ist, wenn die eigenen Eltern partout nicht von früher erzählen wollen, wenn sie plötzlich und unerwartet nach den Kriegsgeschehnissen einen Teil ihres Gedächtnisses verlieren. Die eigenen Geschichten gehen von Zeit zu Zeit im allgemeinen Palaver unter, weil uns manchmal einfach die richtigen Worte fehlen. Irgendwie geht es auch um die Entwicklung des Menschen vom Primaten und zum Primaten zurück. Eine solche Entwicklung wird auch in Menasses Buch „Phänomenologie der Entgeisterung: Geschichte des verschwindenden Wissens“ beschrieben, das, aufbauend auf Hegels Werk „Phänomenologie des Geistes“, die Suche nach der fortwährend kritischen Skepsis aufnimmt.

Phänomenologie der Entgeisterung. Geschichte vom verschwindenden Wissen. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1995.

 

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