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Stellt Euch vor, Ihr geht ins Theater und seid bewegt wie vom wirklichen Leben jenseits der Bühne. Mit seiner aktuellen Brecht-Inszenierung „Über allen Wipfeln ist Unruh“ jedenfalls gelingt es Gegendruck-Regisseur Johannes Thorbecke spätestens beim großen Finale, das Publikum tief zu bewegen. Bereits das „Vorspiel“ der fünfteiligen Revue legt mit einer schicksalsschweren Begegnung den Finger in eine offene Wunde deutscher Geschichte: Zwei Schwestern werden im April 1945 in Berlin auf dramatische Weise Zeuginnen, wie ihr Bruder von einem Nazi-Schergen exekutiert wird, nachdem er sich dem Kriegsgemetzel entzogen hat. Im Angesicht ihres eigenen drohenden Todes sehen sie sich jeglicher Handlungsfähigkeit beraubt und verleugnen den Bruder, um nicht selbst als „Volksverräterinnen“ gebrandmarkt und umgebracht zu werden.

Gegendruck in Krisenzeiten

Immer wieder bricht die Inszenierung mit tradierten Sehgewohnheiten, sich lediglich zuschauend in einer konstruierten Theatersituation zu befinden – was vor allem der künstlerischen Umsetzung und der besonderen Leistung des Ensembles vom Theater Gegendruck zu verdanken ist, mit der Brecht-Collage das komplette Spektrum des menschlichen Dramas zu veranschaulichen. In besonderer Weise gelingt es den Darstellenden, dem Publikum die Schrecken des NS-Terrors authentisch zu vergegenwärtigen. Auch die menschliche Reaktion auf das Wegbrechen der gesellschaftlichen Fundamente in Kriegswirren und Krisenzeiten dringt mithilfe der gekonnten Umsetzung der Brecht-Protagonisten zu den ZuschauerInnen durch. Doch auch Bezüge zur Krise der Gegenwartsgesellschaft sind herstellbar: „Oft in der Nacht träume ich, ich kann / Meinen Unterhalt nicht mehr verdienen / Die Tische, die ich mache, braucht / Niemand in diesem Land […]“

Brechtischer Blick aufs Ruhrgebiet und die Welt

Während der „Nach Unten“ betitelte erste Revue-Teil einen vornehmlich ernsten Blick auf das thematische Brecht-Bouquet wirft, gewährt der zweite Part („AnGekommen“) mit Gedichten aus Brechts unvollendet gebliebenem Ruhr-Epos (1927) auch dem Humor seinen Platz. Humoristische Akzente finden sich ebenfalls in den – eigentlich ganz unbrechtischen – „Clownerien“ des mit Kurt Weills „Lied von der harten Nuß“ eingeleiteten dritten Teils („ZerStreuung“), welcher mit der Clownsszene des „Badener Lehrstücks vom Einverständnis“ endet. Auch in Zeiten komplexer wirtschaftlicher Verflechtungen nichts von ihrem Wahrheitsgehalt verloren hat die elementare Erkenntnis in einem rhythmisierten „Rundgesang“ aus dem Stückfragment „Der Brotladen“: „Wenn kein Holz gehackt wird, dann bäckt der Bäcker kein Brot“.

Musikalische Highlights

Nach der Pause werden in den beiden letzten Parts insbesondere mit Brecht-Liedern und Balladen nach der eingängigen Musik von Hanns Eisler weitere – vor allem musikalische – Höhepunkte gesetzt.

Alle Brücken abgebrannt – jüdische Emigrantin vor dem Exodus. - Foto: Norbert KrienerDoch im vorletzten Programmteil wird mit „Die jüdische Frau“ aus „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ noch einmal ein sehr bewegender Akzent gesetzt, der den jüdischen Exodus Mitte der 30er Jahre anhand eines weiblichen Einzelschicksals ergreifend illustriert.

Großartiges Finale

Während sich die Reaktion des Premierenpublikums anfangs noch verhalten gestaltet, kulminiert die Stimmung im Finale jedoch in beinahe euphorischem Applaus. Denn am Ende ist die Botschaft klar – mit dem Refrain von Brechts „Ballade vom Wasserrad“, brillant vorgetragen von Maxi Freitag (Gesang) und Henning Hey (Klavier), wird den Zuschauerinnen und Zuschauern mit auf den Weg gegeben, das Schicksal in die eigene Hand zu nehmen:

„Denn dann dreht das Rad sich nicht mehr weiter / Und das heitre Spiel es unterbleibt / Wenn das Wasser endlich mit befreiter Stärke / Seine eigne Sach betreibt.“

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