Bastian F. Benrath, eines der über zwei Dutzend Ensemblemitglieder, wagt sich nicht nur einen Schritt weiter vor, als er in seinem Programmheft-Beitrag die rhetorische Frage aufwirft: „Ist nicht das System des Drachen genau das System, in das sich unsere Demokratie permanent zu verwandeln droht?“ Vielmehr konstatiert er darüber hinaus: „Der Drache lauert in uns selbst.“ So ist die 1943 nach zwei öffentlichen Proben in der Sowjetunion unter Stalin verbotene märchenartige Parabel auf die Tyrannis des totalitären Staates in der TTBühnenfassung, der eine komplette Neuübersetzung von Nicolai Petersen zugrundeliegt, bewusst allgemeingültig gehalten: „Die Geschichte spielt überall, die Menschen lebten und leben gestern, heute und morgen.“
Professionelles Heldentum im globalen Dorf
Das als Komödie inszenierte „politische Märchen um Machtmissbrauch“ sowie ein „Leben in Angst und unter ständiger Kontrolle“ spielt sich in einem namenlosen Miniaturdorf ab, das auch als ‚global village‘ aufgefasst werden könnte, in dessen selbstgebauten, blendend weißen Pappkulissen symbolhaft „alle Drachen dieser Welt an den Pranger“ gestellt werden. Bereits seit etwa zwei Jahrhunderten treibt der diktatorische Drache dort unangefochten sein tyrannisches Unwesen: „Solange er hier ist, wird kein anderer Drache uns behelligen“, lautet die Maxime der willfährigen Dorfbevölkerung, deren selbstgefälliges Mitläufertum den besten Nährboden für die Drachendiktatur abgibt. Als dem Tyrannen wie jedes Jahr eine Jungfrau geopfert werden soll – diesmal Elsa, die Tochter des Stadtarchivars Charlesmagne –, kommt der Protagonist Lanzelot, der „von Beruf Held“ ist, ins Spiel: Obwohl sich die Obrigkeit des Dorfes mit dem feuerspeienden Ungetüm verschworen hat, fordert der gleichsam als deus ex machina auftauchende designierte Drachentöter den Tyrannen zum finalen Duell heraus… Ob dieses ‚letzte Gefecht‘ jedoch von Erfolg gekrönt ist und der eventuelle Machtwechsel tatsächlich eine substantielle Änderung bedeuten würde, gilt es selbst herauszufinden – am besten durch einen Besuch von einer der aktuellen Theater-Total-Aufführungen von Jewgeni Schwarz‘ Märchenkomödie „Der Drache“ im ehemaligen Stadtarchiv Bochum, Kronenstraße 47, am 26. und 27. Mai, jeweils ab 19 Uhr.
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