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Unlängst widmete ihm der Rolling Stone fünf Seiten, in den Autoren-Charts des Magazins belegte sein Album Platz 1. Was ist bloß los im Gisbertland? Bereits sein Debüt hatte alles, was den urbanen Song ausmacht: melancholische Aufmunterung und eine Einfachheit, die sich zuweilen in komplexen Strukturen verliert. Große Geschichten und noch größere Gesten dargereicht entlang subtiler Assoziationsketten von Sprechgesang bis Westernhagen-Camp. Oder doch wie Rio Reiser? Man weiß es nicht. Knyphausen bietet viele Vergleiche an. Es ist dieses Zuviel, was ihn so unvergleichbar macht.

Flugangst

Dass die neue LP von Tobias Levin produziert wurde, sollte sich als Glücksfall erweisen. Gilt doch das Hamburgerschule-Urgestein Levin als Garant für ausholende Bewegung, Spezialgebiet: das zweite Album. So ist „Hurra! Hurra! So nicht.“ durchwirkt von einer Dringlichkeit, die auch das Debüt kannte, nun aber nicht mehr ganz so gebückt daherkommt. Vorbei sind die Zeiten als der Liedermacher noch über seine Flugangst auf dem Karrierebrett sang. „Ich und die Wirklichkeit“, ist eben doch keine allzu „seltsame Konstellation“. Trotzdem hat er sich nicht weit entfernt. Immer noch greift er rein in die kaputten Beziehungskisten, erfleht Neuanfänge und geht über morsches Holz. Doch anders als beim Debüt hört man Knyphausen häufiger sagen, was er eigentlich will: „Bitte bleib hier, sonst bist du weg.“ Deutlicher geht es kaum. Das sind die Lieder der Generation 2.0. Zwischen Liebe und Schmerz liegt oft nur ein Mausklick. Zurück bleibt die Sehnsucht nach einer Zeit als das Drama noch ein ganzes war: Tragödie und Komödie. So ist denn auch das letzte Stück „Nichts als Gespenster“ als Hommage an Judith Hermann zu verstehen: „Königin Sinnlosigkeit kommt dir, die Sinne verderben.“

Zuhörtherapie

Die paar Semester, die Gisbert zu Knyphausen in Nijmegen Musik-Therapie studiert hat, hört man seinen Liedern an. Knyphausen ist Zuhörtherapie. Er ist der Medicus mit der Laute, der über die verwüsteten Seelenlandschaften zieht und die Verwundeten tröstet. Gleichsam ist er zu sperrig und unbequem für die Kuschelecke. Ähnliches könnte man über „Dota und die Stadtpiraten“ behaupten. Es scheint, als würde sich allmählich ein neuer Trend durchsetzen. Tom Liwa stand lange Zeit der Hamburger Schule als Monolith gegenüber. (Dass mitunter behauptet wird, Liwa hätte die Hamburger Schule gegründet, darf getrost weggeklickt werden.) Während in Duisburg noch nach dem „spirituellen Sozialismus“ gefahndet wurde, wechselte Blumfeld zum Major. Eine verfahrene Situation, weiterreichende Synergieeffekte blieben aus. Eine Lösung bot sich mit Peter Licht. Albentitel wie „Melancholie und Gesellschaft“, zielten auf das große Vorbild Fehlfarben. Endlich kam wieder alles zusammen: Kontroverse und Songtexte, die auch Suhrkamp drucken würde. Der Liedermacher und die alternative-geprägte Popband. Der Boden war bereitet, als Knyphausen 2008 debütierte. Er brachte noch ein bisschen Van-Cleef-Sound mit rein und fertig war das Paket. Es ist ein großes Paket geworden. Vielleicht schon jetzt das beste deutschsprachige Album 2010. Kleiner geht es eben nicht.
Feierlaune wird angesagt sein, wenn der Liedermacher am 15. Juli im Weingut Baron Knyphausen sein Heimspiel-Konzert geben wird. Bleibt zu hoffen, dass genügend Pinot Noir gelagert wurde. Der von 2008: Special Edition No. 2.

 

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