Die zeichnerische und charakterliche Darstellung Fidel Castros über eine Zeitspanne von einem halben Jahrhundert sei von einer fesselnden Authentizität und gleichermaßen spannend wie unterhaltsam gelungen, urteilte der Lateinamerika-Experte und Castro-Biograph Volker Skierka in seinem Vorwort zu „Castro“. Nach einer bildgewaltigen Undergroundphase zieht es den Zeichner zum Monumentalen. Zur Vorbereitung hielt sich Kleist 2008 vier Wochen lang in Kuba auf. Seine Eindrücke und Erlebnisse hielt er in dem gezeichneten Reisebuch „Havanna. Eine kubanische Reise“ fest. Der Strich hatte sich also geographisch verordnet. Und gerade hier ist Kleist unschlagbar. Die Schattenspiele im Blätterwerk der Palmen benötigen keine Farbe, ihr graphischer Gehalt erfährt in der Schwarz-Weiß-Darstellung eine Zuspitzung. Im Zentrum: Fidel Castro.
Vom Jurastudium in die SchweinebuchtDer Sohn eines Großgrundbesitzers besitzt schon sehr früh ein Gespür für soziale Ungerechtigkeiten. Als Student der Jurisprudenz legt er sich mit der kubanischen Mafia an. Nach etlichen Radikalisierungsschüben nimmt der junge Intellektuelle schließlich den Kampf gegen das verhasste Batista-Regime auf. Che Guevara spielt nur eine Nebenrolle. Mit der Figur des Journalisten Karl Mertens, der den Prototyp des „westlichen Intellektuellen“ der 50er Jahre verkörpert, ist Kleist ein großartiger Erzähler gelungen. Mertens begegnet Castro zum ersten Mal schwadronierend in der Hängematte seiner Dschungelfestung Sierra Maestra. Von da an verschreibt er sich der Revolution.Als Castro am 13. Februar das Amt des Ministerpräsidenten übernimmt, bleibt Mertens auf Kuba. Ideologisch blind bleibt er gegenüber den Schattenseiten der Revolution: den Repressionen und der Armut. Zu spät erkennt er, dass er alles verloren hat. Und Castro? „Wer sich der Revolution verschreibt, pflügt das Meer“, steigt es in der Sprechblase empor, der Revolutionsführer zeigt dabei den LeserInnen seinen Rücken. Und somit endet eine Geschichte, die so wundersam ihren Anfang genommen hatte. Was wird bleiben? Eine abschließende Leerstelle verliert sich zwischen dem gezeichneten Schwarz und Weiß.
Dichter von Panel zu Panel
Einmal mehr ist Reinhard Kleist ein Coup gelungen. Wie bereits mit seinem großen Erfolg „Cash. I see a darkness“, beweist Kleist sein empathisches Talent, das die LeserInnen von Panel zu Panel in eine größere atmosphärische Verdichtung zieht. In der Darstellung des Máximo Líder geht weit über das Genre des von Joe Saccos geprägten Reportagencomic hinaus. Kleist historisiert da, wo sein Pathos versagt. Das hat System. Sein Talent zur Reduktion unterläuft höchst selten die Kraft seiner Synthesen. Vielleicht hat sich Kleist ein Stück zu weit in Castro eingefühlt. Zu oft wirkt der Zeichner als Anwalt des Revolutionsführers, der um Verständnis bittet. Der gewaltige Repressionsapparat hätte ein reichhaltiges Bilderreservoir geboten. So schlägt das Pendel zu sehr Richtung Ereignisgeschichte aus. Letztendlich ist dieses Manko dem Unterfangen geschuldet, ein halbes Jahrhundert auf 280 Seiten verfrachtet zu haben. Hier rächt sich die Reduktion. Gleichwohl ist Reinhard Kleist einmal mehr ein großartiges Werk gelungen. Das Genre der Grafic Novel wird der Revolutionscomic jedoch nicht revolutionieren. Kleist beschreitet keine neuen Wege, sondern setzt in der Darstellung auf Bewährtes. Das hat er sich erarbeitet. Das macht er gut. Somit darf „Castro“ durchaus als gelungen betrachtet werden.
Mythos Castro
Und Castro selber? „Die Menschheit beginnt, Bewusstsein zu erlagen“, sagte er 2000 angesichts der Proteste in Seattle und Davos in einem Interview mit Federico Mayor Zaragoza. Noch immer kocht das revolutionäre Fieber in dem von Krankheit gebeugten Mann, gleichwohl sein Bruder Raúl nun die Regierungsgeschäfte auf der Insel übernommen hat. Es bleibt der Mythos Castro. Doch gerade diesem Mythos steht der Máximo Líder kritisch gegenüber. „Die USA haben mich zum Mythos gemacht“, gab er Zaragoza zu Protokoll. Die Legende lebt von denen, die sie erzählen. Nun hat auch Reinhard Kleist seinen Beitrag dazu geliefert.
Reinhard Kleist: „Castro“ Carlsen Comics. 2010. 19,90 Euro
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