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Unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten Christian Wulff wurde am 4. März in Frankfurt (Oder), der Geburtsstadt des Dichters, das Kleist-Jahr feierlich eröffnet. Seitdem reißen die Gendenkveranstaltungen nicht ab. Egal ob universitäre Tagung oder Theaterfestival – das Thema Kleist erlebt in diesen Tagen eine Hochkonjunktur. Die Heinrich-von-Kleist-Gesellschaft sammelt gegenwärtig Vorschläge zur landschaftsplanerischen Neugestaltung des Kleist-Grabes am Kleinen Wannsee in Berlin. 500.000 Euro will die Cornelsen Kulturstiftung für dieses Unterfangen lockermachen. Das Maxim Gorki Theater plant im November so ziemlich alles auf die Bühne bringen, was dem Dichter aus der Feder geflossen ist. Deutschlandweit ergeht man sich in Superlativen. Die Intention ist klar: Kleist soll zum Nationaldichter der jungen Berliner Republik erhoben werden. Der Dichter selbst kann sich dieser Umarmung nicht mehr erwehren.

Die Inszenierung des Freitodes

„Die Wahrheit ist, dass mir auf Erden nicht zu helfen war“, so schrieb er in seinem Abschiedsbrief an seine Schwester Ulrike kurz vor seinem Selbstmord am 21. November 1811. Es scheint ungewöhnlich, das Jahr des Selbstmordes und nicht etwa das Geburtsjahr zum Anlass zu nehmen, einen Menschen zu ehren. Bei Kleist geht die Rechnung allerdings auf. Es scheint, als wäre der Selbstmord der letzte konsequente Schritt eines Lebens gewesen, das reich an Widersprüchen und Radikalität war. Manchem Connaisseur gilt Kleists Freitod als sein letztes großes Theaterstück. Bis ins Detail inszeniert wirkt der Suizid, den er zusammen mit seiner Freundin Henriette Vogel beging. Der Schlussakt zeugte von einer größtmöglichen Dichte von Ort, Zeit und Handlung.

Auch zu Lebzeiten blieb Kleist vielen ZeitgenossInnen suspekt. Goethe machte einen Bogen um ihn. Etwas Beunruhigendes ging von ihm aus. Eine Erschütterung, die sich auch in sein Werk einschrieb. Besonders in seinen Novellen wird das sehr deutlich. Michael Kohlhaas in seinem anarchistischen Rachewahn oder der Findling, der jegliches wohlwollendes Vertrauen verwirkt – durch die Zeilen blickt uns der Autor an: fragend, suchend, verzweifelnd. Das ist Kleist, wie er Kants Kritik der reinen Vernunft nicht verstehen will und darüber nächtelange Briefe an seine Schwester schreibt. Der Dichter will keine Antworten – sein Sinnen ist es, weiterhin die Fragezeichen aufzublasen. So auch auf der Bühne. Es ist keine Schande, wenn man das Käthchen von Heilbronn nicht versteht. Das ist halt die bedingungslose Liebe, da gibt es nichts weiter zu verstehen. Warum muss Penthesilea den Achill erst wie ein wilder Hund zerreißen, bevor sie sich eingestehen kann, dass sie ihn liebt? Vordergründige Tragik – es bleibt das Fragezeichen. Das Ich ist gefährdet. Mit Kleist zieht die Moderne in die Literatur ein. Unzeitgemäß.

Nicht von dieser Welt

Ungenießbar wird Kleist allerdings, wenn er Antworten geben will. „Der Katechismus der Deutschen“ ist bei aller historischen Kontextualisierung ein fahrlässiges Pamphlet. Gleiches lässt sich über die Hermannsschlacht behaupten. Solche Werke machten es den Nationalsozialisten leicht, den Dichter posthum zu vereinnahmen. Aber ist das Kleists Schuld? Natürlich nicht. Beklagenswert bleibt, dass er bei allem Gespür für die heraufziehende Krise des Subjekts blind gegenüber der heraufziehenden Sozialen Frage gewesen ist. Doch Kleist ist kein Büchner. Sein Reich war nicht von dieser Welt. Mit Rum und Kuchen zog er in den Selbstmord. Verspielt, beinah fröhlich präsentierte er der Welt sein letztes großes Fragezeichen. Eine mögliche Antwort zu seinem letzten Akt findet sich in seinem Werk. So lässt Kleist Prothoe nach Penthesileas Selbstmord sagen: „Sie sank, weil sie zu stolz und kräftig blühte.“
Das Kleist-Jahr bietet die Gelegenheit, mit alten Missverständnissen aufzuräumen. Kleist entzieht sich. Umarmungen sind ihm zuwider. Sein Platz befindet sich nicht auf dem Nationaldenkmal neben Goethe und Schiller. Sondern am Wannsee bei Nacht, wenn die Eule ihren Flug beginnt, und Schüsse verstummen in der Dunkelheit.

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