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In Anlehnung an das Kinderbuch „Die kleine Raupe Nimmersatt“ aus dem Jahr 1969 ist im Unsichtbar-Verlag nun das Drogenbilderbuch „Der kleine Junkie Nimmerplatt“ erschienen.  Herausgekommen ist eine verhinderte Gesellschaftskritik mit guten Ansätzen, aber platter Pointe.

Die Venen des linken Arms wurden abgeklemmt, das Gesicht hat sich rot verfärbt und die Mimik ist verzerrt. Der Junkie krümmt sich vor Schmerz. Auf dem Cover des Drogenbilderbuchs ist ein Mensch gewordener Krampf zu sehen. Das bekamen Kinder in solcher Eindringlichkeit sonst nur zu sehen, wenn Christiane F. gerade von einer Tour zum Bahnhof Zoo zurückkam. Glaubt man Marshall McLuhan, ist das Medium die Message. Aber nicht nur deswegen ist das Bilderbuch nicht annähernd so verstörend wie die verfilmte Junkie-Biographie, die seit 1981 tausendfach über  Farbbildschirme flimmerte und Dauerbrenner in pädagogisch wertvollen Diskussionsrunden war.

Das Prinzip Sucht

Raupe meets Rausch. Das dachte sich wohl auch der Illustrator Artur Fast, als er zum virtuellen Farbtopf griff, um die Raupenstory in ein zeitgenössischeres Setting zu verlegen. Poetry-Slammer und Story-Teller Andy Strauß steuerte die Texte bei. Heraus kam ein „verstörendes Drogenbilderbuch“. Es ist im handlichen Kleinformat erhältlich und setzt unterm Strich mehr auf Bild- statt auf Sprachwirkung. Denn die Zeichnungen überwiegen klar im Text-Bild-Verhältnis. Wie im Original genügt Strauß oft ein einziger Satz, um auf der Storyline voranzureiten. Nach zwanzig Seiten ist die Geschichte des kleinen Junkie Nimmerplatt erzählt. Klar: Fressanfall und Drogenrausch liegt das Suchtprinzip zugrunde. Die Analogie drängt sich förmlich auf. Dennoch trennen Raupe und Junkie – allein wegen der Form, in der die jeweiligen Geschichten verhandelt und präsentiert werden – Welten.

Der Hunger treibt es rein

Eric Carl, der Autor und Illustrator der „Kleinen Raupe Nimmersatt“, hatte Ende der Siebziger noch ein gestalterisches Novum geschaffen, als er das Buch um Stanzlöcher in den Seiten ergänzte. Denn so konnten die Kinder die Spur der gefräßigen Raupe erfühlen, die sie auf ihrer Fresstour in Obst und Blättern hinterlassen hatte. Die junge Leserschaft fühlte förmlich mit. Denn auch die Breite der Buchseiten nahm mit jeder Mahlzeit zu. Anders sieht es dagegen beim Junkie aus. Es hapert an der Haptik. Glatte Buchseiten, keine Gimmicks, keine Extras. Mehrwert zum Mitfühlen? Fehlanzeige.

Auch beim Inhalt laufen die Erwartungen ins Leere. Im Spannungsfeld zwischen Drogenkonsum und ignoranter Gesellschaft siedeln sie den Junkie an. Mit seinen vielfarbigen Illustrationen rekurriert Artur Fast auf die reelle Vielfalt, die sich der Junkie über den Rausch in sein Leben zurückzuholen versucht. Er wird zum Getriebenen und ächzt unter dem Joch der Monotonie. Das Plot-Prinzip von Strauß und Fast bleibt holzschnittartig: Die gesellschaftlichen Erwartungen töten Farbe und Frohsinn, so dass sich Menschen Drogen zuwenden. Der exzessive Konsum wird als Flucht vor Farblosigkeit durchgewunken, an dem die lebensfeindlichen Umstände schuld sind. Die These: Der Süchtige wird nicht als Junkie geboren. Das Argument: Die Gesellschaft ist ignorant und unterdrückt die Farbenvielfalt.

Minima Moralia

Doch bei der Erklärung von Drogensucht bloß einseitig zu argumentieren, ist selbst für ein Bilderbuch zu einfach und zu billig. Ein geistiger Kurzschluss. Es reicht nicht, mit der Kehrseite des moralischen Zeigefingers aufzumachen. Hier hätten die zwei Bilderbuchmacher die Chance gehabt, Tiefe und Gehalt in ihren Plot einzubringen. Kunst muss keinen direkten Mehrwert haben, aber dann sollte sie wenigstens gut gemacht sein.

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