„Da ich mich nicht traute, mit meiner Mutter zu sprechen, habe ich ihr einen Zettel zukommen lassen, auf dem geschrieben stand: „Ich bin jetzt mit (…) zusammen und die kommt mit auf den Abiball als meine Begleitung.“ Eva, 23 Jahre, ist eine von zehn jungen Erwachsenen, die über ihre Erfahrungen berichten. Alle, die von der heterosexuellen Norm abweichen, haben Erlebnisse mit Diskriminierung, Ausgrenzung, verbalen oder auch körperlichen Angriffen. Wie auch Evas Mutter akzeptieren viele Eltern nicht, dass ihre Kinder den für sie vorgezeichneten Lebensweg in heterosexuelle Liebe, Partnerschaft, Ehe und Familie verlassen.
Kerl oder schwul ?
Da ist etwa Toni, 24. Mit 16 hat er sich zuhause geoutet. „Meine Eltern haben es ziemlich früh wahrgenommen, wollten es aber nicht wahr haben. Mein Vater hat so Dinge gesagt wie: „Bist du ein Kerl, dann zieh dich auch so an, oder bist du schwul?“ (…) Er verbot mir, jemals einen Typen mit nach Hause zu nehmen und meine Homosexualität offen auszuleben.“ Toni hat sich gewehrt: „Und wie ich so bin, habe ich den erstbesten Typen mit nach Hause genommen und mich ziemlich laut entjungfern lassen.“
Marta Grabski vom Bochumer Schwulen- und Lesbenverein Rosa Strippe e.V. spricht zur Eröffnung in der Beswordt-halle. Sie leitet das Café freiRAUM, wo die Ausstellung „Verqueere Welten“ zum ersten Mal zu sehen war. Grabski erläutert die Arbeit, die in der Ausstellung steckt, erzählt Anekdoten. Ein Text ihres Mitarbeiters sei ihr zu schwul gewesen: „Ich musste was hineinkorrigieren.“ Der Mitarbeiter konterte, es gebe einen Frauenüberschuss. Hin und her, am Ende sind es sechs junge Erwachsene, die sich als weiblich identifizieren und vier, die sich männlich labeln. Die Lesbe hat sich durchgesetzt. Über Grabskis Gesicht huscht ein kurzes Schmunzeln. Ansonsten ist ihr anzumerken, wie ernst es ihr mit ihrem Kampf gegen die Ausgrenzung Homo-, Bi-, Transsexueller und anderer Queers ist.
Unter Homosexuellen erfahren Lesben eine besondere Diskriminierung, weil ihre Identität kaum ernstgenommen wurde und wird, sie bleiben oft unsichtbarer. Ihr sexuelles Erleben gilt, vorsichtig ausgedrückt, als defizitär.
Trans, Queer, Normalität
Vor Grabski spricht Susanne Hildebrandt. Sie ist Leiterin der städtischen Koordinierungsstelle für Lesben, Schwule und Transidente, hat die Ausstellung von Bochum nach Dortmund geholt. Oberbürgermeister Ulrich Sierau (SPD) konnte nicht zur Eröffnung kommen, er wird von einer Ratsfrau vertreten. Im Publikum raunt etwa Stefanie: „Ja, gerade der.“ – dass ein Dortmunder OB im Jahr 2011 den „Eisenbesen“ nur noch gegen „Zigeuner“ in der Nordstadt schwingt, nicht mehr gegen „Schwuchteln“ wie früher, ist für viele längst kein Anlass zur vollen Zufriedenheit. Aber genügend andere sind froh, endlich mehr und mehr in der Mitte der Dortmunder Gesellschaft anzukommen.Luke, 20, ist ein Trans-Junge, er lebte früher als Mädchen und ist nun in der links-alternativen Szene zuhause, früh von seinen Eltern weg. „Meine Eltern weigern sich, meinen neuen Namen zu verwenden und sagen ständig „Töchterchen“, wenn ich sie sehe.“ Trans-Junge zu sein heißt aber nicht automatisch, mit den Vorstellungen von Männlichkeit übereinzustimmen, die in der Mehrheitsgesellschaft anerkannt sind: „Ich hatte das Gefühl, dass es schwierig ist, pinke Leggins und Sternchensachen anzuziehen, wenn man sagt, man heißt Luke.“
Die Ausstellung dreht sich aber nicht nur um die Abweichung von der Hetero-Norm. Immer sind die Probleme junger Queers verschränkt mit anderen Hindernissen. Psychische Schwierigkeiten, Ärger daheim, Behinderung, Mobbing, sexuelle Gewalt.
Angekommen in der Homo-Identität?
Allerdings zeigt Verqueere Welten nur abgerundete Identitäten – alternative Lebenswege, die an einen vermeintlich festen Ort angelangt zu sein scheinen. Bisexuelle Jugendliche und ihre spezifischen Schwierigkeiten tauchen gar nicht auf, homosexueller Sex und homosexuelle Identität und Nicht-Identität werden kaum in ihrer Dynamik gezeichnet. Schwulsein, so könnte man kritisieren, ist eben nicht bloß die Übereinstimmung zwischen „innerem Wesen“ und äußerem Verhalten. Queere Lebenswege sind der ständige Handlungsakt in der offenen Entscheidung darüber, was gefällt, was sich gut anfühlt, von wem angefasst zu werden und wen zu begehren schön ist. Schwulsein heißt immer Schwulwerden.
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