Gibt es sie wirklich, die vielbeschworene Ruhrgebietsliteratur? Die Wahrheit ist: Es leben in der Ruhrregion einige gute AutorInnen wie beispielsweise Wolfgang Welt, doch von einer Metropole der Literatur zu sprechen, ginge zu weit. Ein Grund dafür dürfte sein, dass es kaum noch Unterstützung für literarische Projekte gibt. Zwar reden KommunalpolitikerInnen eine vermeintliche Literaturmetropole gerne herbei, wie zuletzt im Kulturhaupstadtjahr in Bochum geschehen. Dort wurde Bochum aufgrund des städtischen Wappens als „Stadt des Buches“ ausgerufen, doch gefördert wurde kaum. „Ich empfehle Kunst- und Kulturförderern endlich größeres Selbstbewusstsein“, insistierte unlängst Gerd Herholz, wissenschaftlicher Leiter des Literaturbüros Ruhr, in seinem Blog „Ruhr2010: Chancen für Literatur wurden verpasst“. Die Kulturhauptstadt habe insgesamt zu viel verdorben mit „Größenwahn und Metropolenrhetorik“.
Imagebildung und Mäzenatentum
Für die regionale Literaturförderung zieht Herholz schwarz: „Literatur hat – im Gegensatz zu Musik, Tanz oder Kunst am Bau – fast immer ein kritisches Element, das via Sprache unmittelbarer deutlich wird. Literatur plädiert so oder so für kritisches Denken. Literatur thematisiert das Scheitern von Menschen und Utopien, aber sie schafft auch alternative Gesellschaftsentwürfe“, so Herholz. Für die Arbeit des Autoren bedeutet das für den Literaturförderer: „Schriftsteller arbeiten in und mit der Sprache gegen ihren Missbrauch durch Ideologien oder Marketing. Schriftsteller sind vom Stoff her eher zuständig für Gegenentwürfe zu einem Leben, in dem man nichts weiter sein soll als Konsument in einer überhitzten Ökonomie, durch deren Gier immer mehr Menschen als Rädchen unter die Räder kommen.“ Da sich die Kommunen aufgrund klammer Kassen zusehends aus der öffentlichen Kulturförderung verabschieden, gewinnt das private Sponsoring an Bedeutung. Doch gerade dort sieht Herholz den Zwiespalt heranwachsen: „Sponsoring dagegen ist eben, anders als klassisches Mäzenatentum, ein Instrument zur Imagebildung. Das Ziel ist eindeutig: Verkaufen. […] Die Kunst- und Kulturszene wird durch Kulturmanagement und Lobbys instrumentalisiert, um in der globalen Standortkonkurrenz die Position einer Stadt oder Region zu verbessern und um nebenbei als Hochglanz-Dekor für gerade aktuelle kulturpolitische ‚Visionen‘ zu dienen.“ Besonders für die (kritische) regionale Literatur sind demnach kritische Zeiten angebrochen. Wie aufmunternd es in dieser Situation ist, dass dennoch neue Literaturwettbewerbe ausgelobt werden.
Bewegung durch Initiative
Die bsz sprach mit dem Organisator Till Beckmann über den diesjährigen Ruhrgebietsliteraturwettbewerb. „Das Ganze bewegt sich an der Grenze zur Selbstausbeutung“, so Beckmann über sein Engagement. Der erste Wettbewerb sei im letzten Jahr ein großer Erfolg gewesen. „Besonders die unkomplizierte Zusammenarbeit mit dem Klartextverlag zeigte mir, dass sich mit Initiative viel bewegen lässt.“ Wie bereits im Vorjahr werden auch diesmal die preisgekrönten Texte und ausgewählte Wettbewerbsbeiträge in einer Anthologie im Klartextverlag veröffentlicht. Die Themenstellung öffnet viel Raum für Kreativität: Wie kann über die Druckstellen des Ruhrgebietes erzählt werden? Welche Hoffnungen, Ängste oder Träume haben die Menschen, die die Druckstellen dieses Ballungsgebietes bewohnen? Wollen die nachkommenden Generationen nur noch schnell wegziehen, oder sind die Druckstellen besonders lebens- und liebenswert? Wo sind Druckstellen im zwischenmenschlichen Miteinander, im Miteinander der Generationen, der unterschiedlichen Kulturen und verschiedenen Lebensmodellen? Fragen über Fragen, die die Autoren animieren sollen. „15 Bewerbungen sind bereits eingegangen“, so Beckmann. „Dabei haben wir gerade erst begonnen.“ Einsendeschluss ist der 1. November. Besonders freut sich der Organisator über die bundesweite Resonanz auf den Wettbewerb. „Zwei Beiträge stammen von Studierenden des Literaturinstituts Leipzig.“
Eine handverlesende Jury ermittelt die Gewinner. Drei Preisgelder mit einem Gesamtwert von 1000 Euro werden vergeben. Doch wer nicht gewinnt, dem winkt immerhin noch eine Veröffentlichung im Klartextverlag. Pünktlich zur Preisverleihung startet zudem eine Lesetour mit der Anthologie im Gepäck: 53 Lesungen in 53 Städten.
Es tut sich was innerhalb der regionalen Literaturszene. Doch in Zeiten der auslaufenden städtischen Kulturförderung war auch hier eine beherzte private Initiative fernab jeglicher Imageproduktion vonnöten. Vielleicht wird es ja irgendwann doch noch was mit der Literaturmetropole Ruhr. „Es ist ein befriedigendes Gefühl mitzuerleben, dass man etwas bewegen kann“, resümiert Till Beckmann.
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