Gerlek studiert derzeit im dritten Mastersemester Philosophie und Komparatistik an der Ruhr-Uni, lebt jedoch in Mülheim und teilt sich dort die Wohnung mit den Teiren, die sie liebt: Vögel. Die leben bei ihr in einer riesigen Voliere. „Ich mag ihr wildes Geplapper. Dass sie fliegen, ihre Intelligenz und dass sie so intensiv und extrovertiert sind. Ich verbinde sie stark mit Freiheit und Chaos“, so die junge Autorin. Zudem ist Gerlek auditive Synästhetikern, assoziiert also Farben und Formen mit allem, was sie hört. Das kann manchmal richtig anstrengend werden. Obwohl sich die Synästhesie unterschiedlich intensiv zeigt, sorgt sie im Alltag ab und zu für Reizüberflutung. Deswegen hat Selin immer Ohrstöpsel dabei.
Ihr Leben oszilliert zwischen bewegten und bewegenden Bildern: Denn neben Dokus, Fotos und Kunst pflegt sie ein freundschaftliches Verhältnis zu Sprache, Schreiben und Begriffen. Bewundernde Worte findet sie sowohl für die Artenvielfalt der Tropen als auch die Themenvielfalt des Guardian. Manchmal hat sie jedoch spontan Lust auf mathematische Kniffelbücher oder Kurvendiskussionen.
Leidenschaft zum Wort
Auf den Literaturwettbewerb wurde Selin von jemand anderem aufmerksam gemacht. „Ich habe vorher schon Sachen geschrieben, die mit Beton zu tun haben. Das Thema hat mich irgendwie umgeben. Aber ich hätte nicht damit gerechnet, dass ich mit meinem Text den dritten Platz machen würde“, sagt sie. An den Versen, die sie schließlich für den Wettbewerb einreichte, hatte sie schon zuvor gearbeitet. „Manchmal sind es Zufälle, die es aktuell machen“, so Gerlek. Sie schreibt seit sie elf Jahre alt ist. Den Moment, in dem ihre Leidenschaft zum Wort begann, schildert sie so: „Während der ersten Klassenfahrt auf dem Gymnasium, bin ich in die Pubertät gekommen und seitdem habe ich angefangen, massenweise Texte zu produzieren und mit Textformen zu experimentieren.“ Plötzlich waren andere Dinge wichtig. Zum ersten Mal hatte sie wahrgenommen, dass sie getrennt von ihren Eltern ganz andere, eigene Dinge erleben konnte. „Es war ein Flügge-Werden“, sagt sie und lächelt.
„Das Poetische ist spannend, das Schöpfen aus der Sprache. Ich möchte keine Sachbücher verfassen. Aber bis heute konnte ich mich nie auf eine Textgattung festlegen. Es geht doch vor allem um Versprachlichung“, sagt sie. Schon während der Schulzeit sorgte das für erste Irritationen: Im Deutschunterricht versuchte sie, ganz anders auf die zu bearbeitende Aufgabe zu antworten. Obwohl sie die Fragestellung sehr wohl verstanden hatte, wollte sie sich nicht an dem orientieren, was gewöhnlich von den SchülerInnen erwartet wurde. „Daraufhin wurden meine Eltern zum Lehrer bestellt“, lacht Gerlek.
Dass ihre Liaison mit dem Schreiben etwas Ernstes werden könnte, merkte sie mit 14 Jahren. Nicht nur, dass sie bis dahin schon so viel Text produziert hatte, dass bereits ein Manuskript neben dem anderen lag. Mit ihrer besten Freundin setzte sie sich schließlich das Ziel, bis 16 ein Buch zu publizieren. Es sollte so etwas wie ein Ereignis werden: Zwei junge Mülheimerinnen veröffentlichen ihr Debüt. „Das klingt alles viel größer als es war“, lacht sie und schiebt hinterher: „Mein Gott, ich war 14 oder 15. Ich wusste natürlich nicht, wie man ein Buch verfasst. Ich konstruierte den Plot, entwarf Charaktere und fragte mich: Was soll mit welchen Ereignissen erzählt werden?“
Wenig Raum zum Frei-Denken
Auch heute ist sie immer auf der Suche nach dem Sprachbar-Machen. „Mich interessieren die Möglichkeiten der Sprache: Was Sprache bisher geleistet hat, was nicht und was sie noch leisten könnte.“ Dabei hilft ihr Studium einerseits, oftmals aber behindert es sie auch auf ihrer Suche. „Mich stört, dass so Vieles in der Philosophie nicht einfach gemacht wird. Der akademische Betrieb unterbindet zur gleichen Zeit, was er eigentlich befördern sollte: die Denkfreiheit. Bei der Textproduktion geht es viel zu sehr ums Abschreiben. Das ist ziemlich traurig“, so Gerlek. Sie kritisiert, dass es in solchen Auseinandersetzungen vornehmlich um Philosophiegeschichte selbst geht – um Text, der bereits besteht. Sie atmet durch und seufzt: „Trotzdem ist es eben genau der Ort, an dem ich lerne oder promoviere.“
Passend dazu lautete das Thema des diesjährigen Literaturwettbewerbs, der von Till Beckmann initiiert und organisiert wird: „Leb im Ballungsgebiet, das an Druckstellen wie Fallobst aussieht“. Aber vielleicht ist es auch nur Zufall.
Der Wettbewerb:
www.druckstellen.info
Die Autorin:
www.pulsaatillaazur.blogspot.com
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