Revolution von oben?

 

Am 12.11.2007 fand im Kultur-Café der RUB ein politischer Vortrag der besonderen Art statt. Die Redaktion der Zeitschrift „Gegenstandpunkt“ hatte zu einem Vortrag zum Thema „Venezuela – Aufstand im Hinterhof der USA“ geladen. Die Veranstaltung war mit circa 150 Zuhörerinnen und Zuhörern sehr gut besucht.

 

Pünktlich um 19.30 Uhr begann der Vortrag, dem auch drei AStA-Referenten beiwohnten, die sich für die politische Situation in Lateinamerika und Venezuela im Speziellen interessieren.
Ein Hoffnungsträger
Positiv fiel uns zunächst auf, dass zum Vortrag auch ein Thesenpapier ausgeteilt wurde, das einige Kernthesen enthielt. Durch den Neokolonialismus befinde sich Venezuela in der bitteren Situation, dass trotz Ölvorkommen 80 Prozent der Bevölkerung in Armut lebe und die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander klaffe. Dies wurde auf den Ausverkauf des Landes an internationale Investoren zurückgeführt, die sich in Zusammenarbeit mit den venezolanischen Eliten auf Kosten der verarmten Venezolaner bereicherten. In dieser Situation sei Hugo Chávez ein Hoffnungsträger für ein Venezuela, das gegen den Druck des Weltmarktes den nationalen Reichtum gerechter verteilen würde. Kritisch wurde in diesem Zusammenhang auch die deutsche Presse betrachtet, die Chávez einseitig als Diktator darstelle und seine sozialpolitischen Innovationen klein rede.
Von oben
nach unten
Diese Umverteilung von oben nach unten schaffe natürlich auch Feinde. Nach innen habe Chávez etwa im Rahmen der Verstaatlichung der Schlüsselindustrien (zum Beispiel Öl) gegen inländische Eliten zu kämpfen, die unter dem Deckmantel von Demokratie und Bürgerrechten gegen die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung mobil machten. Neu sei, so die These, dass hier einmal die Staatsmacht auf Seiten des Volkes gegen die Machteliten stehe und nicht – wie fast überall sonst auf der Welt – umgekehrt.Â
Mit seinem Programm zur „nationalen Erneuerung im Dienste des Volkes“ mache sich Chávez zudem außenpolitisch unbeliebt bei den „Hütern des Weltmarktes”, also den USA und ihren europäischen Rivalen. Dies führe zu internationaler Isolation, die Venezuela durch Bündnisse unter anderem in Lateinamerika und durch punktuelle Wirtschaftshilfe für die Industrienationen zu durchbrechen versuche. Beispielhaft sei nur die Kooperation der staatlichen Ölwirtschaft Venezuelas mit den Verkehrsbetrieben der City of London genannt. Chávez vereinbarte mit Londons Bürgermeister Ken Livingston Öl-Lieferungen, um die Beförderungskosten auf einem erträglichen Niveau zu halten und natürlich auch Werbung für ein anderes Wirtschaftssystem zu machen. Abschließend sprach der Referent über die Hoffnung, dass Venezuela ein Vorreiter für eine mögliche bessere Welt werden könnte.
Kritiklose Kritik
Während die meisten Zuhörerenden dem rhetorisch etwas gewöhnungsbedürftigen Vortrag (Rüdiger Hoffmanns „westfälische Pause“ war das dominierende Stilmittel) sehr konzentriert folgten, brach sich unter einigen Anwesenden im Verlauf des Vortrages leichter Unmut Bahn. Die Darstellung erschien zumindest den Vertretern des AStA etwas einseitig. Als die Diskussion eröffnet wurde, staunten wir nicht schlecht: „So, das war unsere Kritik. Wer sich unserer Kritik anschließen möchte, kann das jetzt gerne tun.“ – Na klar: Objekte der Kritik waren Sozialabbau, Neokolonialismus, die Weltwirtschaft und nicht zuletzt die USA. Soweit, so gut. Aber was ist dabei alles unter den Tisch gefallen? Nachdem sich die ersten Redebeiträge kritiklos der „Kritik“ anschlossen, entschieden wir uns, eine Frage zu stellen, um zu erfahren, ob es sich um eine analytische oder eine bewusste Auslassung handelte. Warum, wollten wir wissen, ist der Schulterschluss zwischen Venezuela und dem Iran nicht thematisiert worden? Schließlich sei das erklärte Ziel des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad, Israel notfalls auch mittels einer Atombombe zu vernichten, und das könne ja in einer Gruppe, der es um eine „bessere Welt” gehe, nicht gleichgültig sein. Das sei nicht Thema des Vortrages gewesen, außerdem sei ja deutlich geworden, dass Hugo Chávez eben nicht zimperlich sein könne in der Auswahl seiner Verbündeten. Warum dieses Thema uns überhaupt wichtig sei und so weiter. Auf den Einwand eines weiteren AStA-Mitglieds, mit Auslassungen lasse sich eben auch Politik machen und eine wissenschaftliche Auseinandersetzung ziele nun mal immer darauf ab, ein möglichst umfassendes und objektives Bild eines Gegenstandes zu zeichnen, wurde ebenfalls mit Unverständnis reagiert. Das sei eben der Fehler der Wissenschaft, die alles durch Objektivität verwässern würde.
Sektenhafte Predigt
Nach der „Diskussion“Â fragten wir den Referenten des „Gegenstandpunkt“, ob wir seinen Namen erfahren dürften. Seine Antwort stürzte uns denn vollends in Verwirrung: „Ich möchte anonym bleiben. Kritische Geister leben gefährlich in Deutschland“, orakelte er nur.
Eine kurze Recherche zum Thema „Gegenstandpunkt“ ergab, dass die Zeitschrift offenbar aus der 1991 aufgelösten „Marxistischen Gruppe“ (MG) hervorgegangen ist, die eine „Revolution von oben“ im Sinne Lenins beabsichtigte. Sowohl der Stil der „Kritik“ (wie die „Diskussion“ vom anonymen Redner selbst genannt wurde) als auch die kritiklose „Kritik“ an der Politik Chávez´ bestätigen diesen Eindruck der Bundeszentrale für Politische Bildung (bpb). Die Veranstaltung glich eher einer sektenhaften Predigt als einer erkenntnisorientierten Diskussion. Sollten solche Veranstaltungen wieder an der RUB angeboten werden, empfehlen wir die „kritische“ Teilnahme, warnen aber ausdrücklich davor, sich durch den Diskussionsstil vereinnahmen zu lassen. Die Argumente zum Thema Welthandel und Neokolonialismus findet man auch in weniger „elitären Zirkeln“ – nur wird dort diskutiert und nicht die „Kritik“ einer Redaktion nachgebetet.Â

Die in diesem Artikel genannten AStA-Referenten möchten an dieser Stelle ihre Identität ebenfalls nicht preisgeben, denn wir haben vom „Gegenstandpunkt“ gelernt: „Kritische Geister leben auch an der RUB gefährlich.“

AStA Bochum

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