Wer nachts durch die Yorckstraße in Ehrenfeld schlendert, dem fällt womöglich eine alte Stadtvilla auf, in der bis in die Morgenstunden noch Licht brennt. Wer einen neugierigen Blick auf das Klingelschild wagt, liest dort: „Loge zu den drei Rosenknospen“. Und bemerkt vielleicht auch den verschränkten Zirkel und Winkel auf der Tür: Das Zeichen der Freimaurer.
Doch wer sind diese Freimaurer eigentlich und was machen sie?
Eine Website haben sie jedenfalls schon einmal, es folgt also eine Mail an den Logensekretär. Ob man denn mal vorbeikommen könne. Es vergeht etwas Zeit, doch schließlich folgt eine Einladung. „Geh da nicht hin“, warnt eine Freundin, warum weiß sie auch nicht. Also gehe ich hin. Denn ich will wissen, was dran ist an den vielen Mythen, die sich noch immer um die Freimaurer ranken.
Ein älterer Herr öffnet die Tür, im Hintergrund steht ein jüngerer Mann, beide begrüßen mich sehr freundlich. Axel und Maximilian sind zwei der 63 Mitglieder der Bochumer Loge. Im Eingangsbereich fällt direkt eine große Vitrine mit Abzeichen, Gläsern und anderen freimaurerischen Utensilien auf. Doch abgesehen von den Schachbrettfliesen und der Vitrine im Flur, erinnern die Räumlichkeiten eher ein wenig an ein Vereinsheim. Überall stößt man auf die Rosenknospen, das Logo der Bochumer Loge, die im Jahre 1785 gegründet wurde und damit nicht nur die älteste Loge des Ruhrgebiets, sondern auch die älteste Gemeinschaft Bochums ist. Früher gab es ein deutlich prunkvolleres Logenhaus am Westring. „Doch das hat die NSDAP an einem denkwürdigen Tag ausgeräumt und verbrannt.“, erzählt Axel. Viele Mythen und Falschbehauptungen über die Freimaurerei stammen aus dieser dunklen Zeit.
Die heutigen Freimaurer – und so auch die Bochumer – gehen auf englische Steinmetze zurück, die vom Klerus mit dem Bau von Kirchen beauftragt wurden. Irgendwann schwappte die Bewegung durch Handelsreisende nach Deutschland. „Wir benutzen die Symbolik und Sprache der Bauleute noch heute für unser Ideenwerk.“, sagt Axel.
Damals wie heute verstehen sich Freimaurer als ethische Männerbünde, die sich den Ideen der Aufklärung verschrieben haben. „Menschenliebe, Toleranz und Brüderlichkeit“, präzisiert Maximilian, das seien die Werte der Loge. Zusammen arbeiten die Brüder an ihrem eigenen Selbst, dem „rohen Stein“ wie sie es bezeichnen. „Das bedeutet, sich selbst zu reflektieren und die Kanten der Unvollkommenheit abzuschlagen.“ Dazu werden drei Ausbildungsgrade durchlaufen, die jeweils etwa ein Jahr dauern: Lehrling, Geselle und Meister, ganz wie bei den Maurern. Für mich klingt das alles erst einmal etwas altmodisch aber zumindest harmlos. Ein bisschen wie ein Persönlichkeitscoaching.
„Wir bieten ein Setting an, in dem der Einzelne, wenn er denn will, in Bereiche vordringen kann, die er in der profanen Welt nicht erreichen könnte.“, formuliert es Axel. Schlüssel zu diesen „freimaurerischen Erlebnissen“ – ein Begriff, der noch häufig fallen wird – sind die monatlichen Tempelarbeiten mit ihren Ritualen. Diese Rituale sind der Teil, um den sich die meisten Mythen gebildet haben und auch wenn die beiden anfangs behaupten, nichts sei geheim und alles liege offen, muss ich hartnäckig nachbohren bis ich ungefähr rekonstruieren kann, was sich in den ritualisierten Tempelsitzungen abspielt: Mit Anzug, Hemd und weißem Binder finden sich die Männer einmal im Monat im Tempel ein – einem blauen Raum im Keller der Loge, der ein wenig an einen Gerichtssaal erinnert.
Ein Wachhabender mit Schwert steht während der Sitzungen vor der Tür und passt auf. „Wir müssen ja auch ’nen bisschen Althistorie bringen.“, scherzt Axel. In der dann folgenden etwa 45-minütigen Sitzung werden jedes Mal die gleichen Texte vorgelesen, und zwar als pingpong-artiges, leicht kryptisches Frage-und-Antwort-Gespräch zwischen drei Personen: Dem „Meister vom Stuhl“, dem ersten und dem zweiten Aufseher. „Ich bin fast 30 Jahre in der Maurerei, ich habe 30 Jahre diese Texte gehört. Ich kann sagen, dass ich immer noch Dinge höre, die ich vorher noch nie gehört habe, denn der Unterschied entsteht in mir. Auch wenn von außen immer dasselbe auf mich einwirkt.“, erzählt Axel über die Rituale. Während der Wechselgespräche wird das Gesagte immer wieder durch rituelle Gesten unterstrichen. Mal wird mit dem Hammer auf den Tisch gehauen, mal eine Kerze ausgepustet oder es ertönt Musik. „Es gibt schon eine Art Dramaturgie“. Für die Musik ist übrigens der „musizierende Bruder“ zuständig, der zwar auch über ein Klavier verfügt, aber meist nur eine Bluetooth-Box bedient. Während ihrer Rituale haben die Brüder dann ihre freimaurerischen Erlebnisse. Oder auch nicht. „Manche schlafen auch schon mal ein“, sagt Maximilian. Jeder sei in der Tempelarbeit auf eine gewisse Art ganz nah bei sich und gleichzeitig in der Gemeinschaft, das Ganze habe etwas Meditatives. Unterbrochen werden die Wechselgespräche von einem kurzen Vortrag zu einem beliebigen Thema.
Konkreter werden die beiden nicht, was den genauen Inhalt der Rituale und den Wortlaut der Texte angeht. Während des Gesprächs bremsen sich die beiden auch immer wieder gegenseitig aus, wenn der andere dann doch ein bisschen zu viel preisgibt. „Den Text können Sie aber in jeder Universitätsbibliothek finden.“, sagt Max. Axel fügt hinzu: „Wenn Sie den Inhalt der Rituale kennen würden, wären Sie enttäuscht. Wenn Sie Freimaurer werden wollen würden, wäre ich noch viel verschwiegener, weil ich Ihnen das Erlebnis, das alles zum ersten Mal zu erleben, nicht stehlen möchte.“ Das leuchtet mir zwar ein, aber das Ganze bleibt bis zum Schluss immer noch etwas nebulös. Und das ist wohl auch so gewollt: „Wir haben uns auch ein bisschen interessant gemacht, Klappern gehört nun mal zum Handwerk.“, sagt Axel halb im Scherz.
Als ein Geheimbund sehen sich die Männer aus der Yorckstraße allerdings trotzdem nicht. Die meisten ihrer Freunde und Bekannten wissen, dass sie Freimaurer sind. Doch einen Bruder zu outen, das sei nach wie vor ein absolutes Tabu. Ein Relikt aus Zeiten, in denen man als Freimaurer wirklich noch in Gefahr war. Und es gibt sie tatsächlich noch, die speziellen Handschläge und Codewörter, mit denen sich Freimaurer untereinander zu erkennen geben. Denn nicht jeder trägt so einen auffälligen Ring am Finger wie Maximilian. Laut Axel benehmen sich Freimaurer immer ein wenig ungewohnt. „Ist man sich bei seinem Gegenüber nicht sicher, lässt man schon mal das ein oder andere Schlüsselwort fallen und schaut wie der andere reagiert. So findet man relativ schnell heraus, wer nur ein Scharlatan ist und wer ein echter Freimaurer. Ist übrigens auch ein schönes Spiel.“
An manchen Stellen wirkt das Ganze wirklich wie ein Spiel für erwachsene Männer: Passwörter, Wächter, Geheimzeichen…
Doch für die beiden ist die Freimaurerei viel mehr als nur das. Nach der Tempelarbeit wird beim Essen lebhaft über die verschiedensten Themen diskutiert und auch gestritten. „Freundschaftlich und hart am Wind“, sagt Maximilian, „aber nicht bösartig.” Als ich die beiden später frage, ob so ein reiner „Männerbund“ heutzutage nicht ziemlich antiquiert sei, kriege ich eine Kostprobe eines solchen Streitgesprächs: Axel stimmt mir völlig zu und bezeichnet das Aufnahmeverbot für Frauen, das in den meisten Logen gilt, als hirnrissig. „Wir können uns nicht moralisch mit allen möglichen Dingen schmücken und dann hier so grundsätzlich versagen.“ Maximilian, der deutlich jüngere von beiden, vertritt hier erstaunlicherweise die vermeintlich konservativere Position und ist für das Verbot. Dann geht es eine Weile zwischen den beiden hin und her. Es ist schwer zu sagen, wie der Rest der Logenbrüder zum Aufnahmeverbot für Frauen steht, aber zumindest scheint das Thema diskutiert zu werden.
Politisch und religiös ist die Loge grundsätzlich offen für Jeden. Doch Axel fügt hinzu: „Für ein überzeugtes AfD-Parteimitglied wäre es zwar nicht unmöglich, aber wohl schwierig bei uns reinkommen, vor allem aber deswegen, weil die Grundwerte wahrscheinlich nicht mit unseren übereinstimmen. Aber man wird ja auch Freimaurer, um an sich zu arbeiten. Wir schauen uns deswegen immer den ganzen Menschen an und entscheiden dann.“ In der Tat wird jeder Neuanwärter von den Brüdern ganz genau unter die Lupe genommen. Dieser Kennenlernprozess kann sogar ein ganzes Jahr dauern. „Wir gehen auch zu den Leuten nach Hause und wollen die Partnerin oder den Partner kennenlernen.“
Erstmal aufgenommen, kann man nicht mehr ausgeschlossen werden – es sei denn, man bezahlt die Mitgliedsbeiträge nicht mehr. „Austreten kann man jederzeit. Manche tun das aus familiären Gründen, manche sind auch beleidigt. Für mich bleibt ein Bruder aber auf Lebenszeit ein Bruder, denn das, was er mit uns begonnen hat, kann er nicht mehr rückgängig machen.“ Auch an Nachwuchs mangelt es nicht. Etwa fünf Neuaufnahmen hat die Loge in einem Jahr. Und auch ich werde am Ende noch einmal herzlich zu einem der öffentlichen Abende eingeladen.
Ich habe an diesem Nachmittag eine etwas andere Welt kennengelernt. Einige Dinge in dieser Welt sind eigentümlich oder sogar lustig, manches wirkt antiquiert und wieder anderes ist mir auch weniger sympathisch. Doch eines sind die beiden Bochumer Freimaurer, mit denen ich heute gesprochen habe, mit Sicherheit nicht: Gefährlich.
Und am Ende des Tages auch weniger mysteriös als gedacht.
:Moritz Putz
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