Vergangenen Herbst geriet die komplizierte Vertragskonstruktion aus 20 Einzelverträgen erstmals ins Wanken. Im Strudel der Finanzkrise wurde das Rating des größten US-Versicherungskonzerns AIG heruntergestuft. Weil der Bochumer Kanalnetzdeal bei diesem Konzern versichert war, sank damit der Wert der Sicherheiten. Die Stadt fand kein anderes Versicherungsunternehmen, das einspringen wollte. Um nicht vertragsbrüchig zu werden, entschied die Stadt, für die Riesensumme von 90 Millionen Euro US-Staatsanleihen zu kaufen und damit die Risiken selbst abzusichern – auf Kosten einer entsprechend höheren Neuverschuldung.

Kalte Füße kamen zu spät

Doch auch die Rieseninvestition in Staatsanleihen machte die Sache nicht besser. Die unabschätzbaren Risiken des Scheingeschäfts verursachten bei den Verantwortlichen – leider viel zu spät – kalte Füße. Auf einer nächtlichen Sondersitzung machte der Haupt- und Finanzausschuss vor zwei Wochen den Weg zu einem vorzeitigen Ausstieg aus dem Deal frei, um die Millionenverluste zu begrenzen. Bis heute ist allerdings unklar, wie teuer die Stadt das spekulative Finanzabenteuer zu stehen kommt. Die Befürchtungen reichen von einem 6-Millionen-Euro-Minus bis zum drohenden Totalausfall von 380 Millionen Euro, sollte der Garantiegeber AIG aufgrund der Finanzkrise doch noch pleite gehen. Dass alle anderen an dem Deal Beteiligten – der US-Investor, die Beratungsfirmen, die Anwälte, die Versicherungen – mit einem Plus aus dem Geschäft aussteigen, während die Stadt auf immensen Kosten sitzen bleibt, gilt jedoch als sicher.

„Wir sind der Meinung, dass die Menschen in unserer Stadt einen Anspruch auf schonungslose Aufklärung über die verbleibenden Risiken haben“, sagt der Geschäftsführer des Bochumer Mietervereins Michael Wenzel angesichts des andauernden Rätselratens über die Kosten. Er fordert die Verantwortlichen auf, endlich mit offenen Karten zu spielen. Schließlich habe die Ratsmehrheit 2003 einen Bürgerentscheid gezielt unterlaufen und trage daher eine besondere Verantwortung.
Demokratische Grundsätze missachtet

In der Tat: Hätten sich die Verantwortlichen aus den Reihen der Bochumer SPD und Grünen an demokratische Grundsätze gehalten, wären der Stadt die Millionenverluste vielleicht erspart geblieben. In Bergisch-Gladbach und Köln haben Bürgerentscheide ähnliche Cross-Border-Geschäfte verhindert. Auch in Bochum war dieser Weg längst eingeschlagen: Die GlobalisierungskritikerInnen von attac hatten zusammen mit dem Mieterverein erfolgreich ein Bürgerbegehren gegen den spekulativen Deal durchgeführt. Knapp 15.000 BochumerInnen sorgten mit ihrer Unterschrift dafür, dass die Stadt eigentlich einen gesetzlich vorgeschriebenen Bürgerentscheid hätte durchführen müssen.

Doch sie hatten die Rechnung ohne die Tricksereien der rot-grünen Koalition gemacht: Um dem Bürgerentscheid zuvorzukommen, flog die damalige Stadtkämmerin und heutige Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz schnell nach New York und unterschrieb den bis heute geheim gehaltenen 1000-Seiten-Vertrag. Heute weisen KritikerInnen darauf hin, dass Bochum damit nicht nur Opfer, sondern auch Täter im Rahmen der Finanzkrise wurde. Denn Leergeschäfte wie der Bochumer Kanalnetz-Deal trugen dazu bei, dass mit Milliardenbeträgen eine globale Finanzblase aufgebläht wurde, die dann 2008 platzen sollte. Eine Entschuldigung und die Übernahme der politischen Verantwortung für das Bochumer Cross-Border-Desaster seitens der EntscheidungsträgerInnen steht bis heute aus. Stattdessen will Ottilie Scholz bei den Kommunalwahlen im Sommer wieder als Oberbürgermeisterkandidatin antreten.

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