Lediglich knapp unter 44 Millionen der über 63 Millionen Aufgerufenen gingen zur Wahl, knapp 30 Prozent verweigerten sich der Stimmabgabe. Damit ist die Wahlbeteiligung im Vergleich zu vielen Landtagswahlen immer noch ausgesprochen gut, wo Beteiligungen von um die 50 Prozent zu verzeichnen sind – dennoch hat die „Partei der Nichtwähler“ erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik mehr AnhängerInnen als die größte im Bundestag vertretene Partei. Vor vier Jahren konnte die SPD noch mehr Stimmen erringen als die Wahlverweigerer: davon ist die CDU in diesem Jahr weit entfernt. Selbst zusammen mit der CSU kommen die Unionsparteien lediglich auf 14,6 Millionen Stimmen, während 18,1 Millionen Stimmberechtigte zu Hause blieben.
Erosion der Volksparteien?
In den Medien wird nach dieser Wahl von einer Erosion der Volksparteien berichtet. Gemeint ist damit freilich mehr die SPD, die ein Drittel ihrer Wählerinnen und Wähler verlor – übrigens im Wesentlichen an die Nichtwählenden. Doch nach diesem Wahlkampf wird eines klar: Die Bindungswirkung der beiden größten im Parlament vertretenen Parteien ist nicht mehr annähernd so groß wie noch vor 4 Jahren. Dies ist natürlich auch der Großen Koalition geschuldet, die nicht nur in Deutschland dazu führt, dass vormals kleinere Parteien an Stimmen dazugewinnen. Deutschland ist ein Fünf-Parteien-Land geworden, nachdem die Linke sich zunehmend im Westen etablieren konnte. Zu einer Erosion bei den Großen führte aber weniger ihre von beiden Beteiligten als gut bezeichnete Zusammenarbeit, als vielmehr die Beliebigkeit, mit der Wahlslogans entstanden und kolportiert wurden.
Deutschland kann es besser und wir können mehr
Liest man sich die Wahlwerbung der drei größten Parteien im Parlament durch, so sind die Unterschiede eher graduell, und lediglich anhand der Frage nach der versprochenen Steuersenkung und der Farbe kann man die Flyer noch den einzelnen Parteien zuordnen. Die FDP kann es besser, die SPD könnte mehr und die CDU hat die Kraft. Grüne und Linke verfielen zwar nicht in die olympische Rhetorik des höher, schneller und weiter, konnten aber mit ihren zum Teil immer gleichen Parolen und ihrem Anti-Wahlkampf genauso wenig überzeugen. Überhaupt war der Bundestagswahlkampf von der Angst vor den Anderen geprägt: Die SPD erklärte, was Schwarz-Gelb wirklich will, die Liberalen wurden nicht müde, darauf hinzuweisen, wie wichtig es ist, dass es keine linke Mehrheit gibt. Lediglich der CDU waren die anderen Parteien weitestgehend egal – wohl aber auch, weil bereits lange vor der Wahl klar war, dass sie unabhängig vom Urnengang weiterhin die Kanzlerin stellt. Bei dieser programmatischen Beliebigkeit und dem nicht gerade vor Charisma strotzenden Personalangebot der Bundestagsparteien ist es kaum verwunderlich, dass auch ProSieben/Sat.1 mit seiner großen Kampagne „Geh wählen“ nicht merklich zur Steigerung der Wahlbeteiligung beitragen konnte. Zwar kann Stefan Raab mit einigem Erfolg einen Star kreieren, Interesse an der Bundespolitik bei Wählerinnen und Wählern, die Angela Merkel für ein Mitglied der SPD halten, aber kaum wecken.
Das Ende der Harmonie
Wenn man jetzt schon einen Ausblick auf die kommenden vier Jahre wagen möchte, dann wird man wohl konstatieren müssen, dass diese Regierung eine Regierung der enttäuschten Erwartungen werden wird. Die drei Koalitionäre sind angetreten die Steuern zu senken – 90 Prozent in der Bevölkerung gehen aber davon aus, dass dieses Wahlversprechen sich nicht wird umsetzen lassen können. Die FDP ist davon ausgegangen, dass mit dem Auszug der SPD aus der Bundesregierung das Ende einer sozialdemokratisch geprägten Bundespolitik eingeläutet wird, Merkel hat aber bereits im Wahlkampf deutlich zu erkennen gegeben, dass die CDU den Kurs der letzten 4 Jahre fortsetzen möchte. Insbesondere massive Einschnitte ins Sozialsystem soll es auch unter Schwarz-Gelb nicht geben können. Letztlich ist die CDU davon ausgegangen, dass es sich mit einer kleineren Partei leichter wird regieren lassen als mit der damals noch gleich starken SPD. Doch auch hier drohen Enttäuschungen: schließlich hat die Geschichte bewiesen, dass gleichstarke Konstellationen nicht nur von ihrem Potenzial im Parlament stabiler sind, auch die Debatten verlaufen für die Öffentlichkeit deutlich geräuschloser, als wenn sich ein kleiner Koalitionspartner vor seinen WählerInnen rechtfertigen muss.
Am Ende wird wohl als größtes Projekt der schwarz-gelben Bundesregierung der Ausstieg aus dem Atomausstieg stehen; ob es aber ein Vorteil ist, eine Brücke zu verlängern, wenn das andere Ufer bereits erreicht ist, darf dann doch arg bezweifelt werden. In vier Jahren werden die Wählenden wieder das Wort haben über eine Konstellation, die von Konfrontation geprägt sein wird. Außerdem wird es stark von der Stärke der FDP abhängen, ob die Piratenpartei als neue Sammlungsbewegung für Freiheitsrechte ihr gutes Ergebnis von 2009 wird verbessern können und die Erosion der großen Parteien weiter voranschreitet.
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