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Mit einer Mahnung vor falscher Versöhnlichkeit und einem Weiterwirken von Formen des Antisemitismus in der deutschen Mehrheitsgesellschaft fordert die Preisträgerin einen ungebrochenen „Dialog um die Wahrheit“ ein: „Wir müssen einen Weg finden, unbefangen und unbeschwert miteinander umzugehen. Dafür können wir anderer Meinung sein und bleiben.“ Eine solche Gratwanderung immer wieder erfolgreich zu meistern, ist für Edna Brocke der einzig gangbare Weg, einen lebendigen interkulturellen Diskurs zwischen Juden- und Christentum zu führen. Und wie wichtig dies ist, betonte Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz bei ihrer Laudatio, indem sie die jüdische Politikwissenschaftlerin und Philosophin Hannah Arendt zitierte, deren Nichte Edna Brocke ist:

„Anfangs brannten Synagogen, am Ende stand die Welt in Flammen.“

Ehrenberg-Preis für
widerständiges Denken

Der mit 5.000 Euro dotierte Preis ist dem Leben und Werk des Bochumer Pfarrers, Philosophen und politischen Publizisten Dr. Hans Ehrenberg (1883-1958) gewidmet, der als jüdisch-christlicher Theologe und Antifaschist eine der zentralen Persönlichkeiten der Bekennenden Kirche war. Bereits 1931 kritisierte Hans Ehrenberg die Glorifizierung des Ersten Weltkriegs durch die Umfunktionierung des bis heute erhaltenen Turms der Bochumer Christus­kirche als „Gedenkhalle“ für die 1.358 im Ersten Weltkrieg umgekommenen Gemeindemitglieder, deren Namenszüge dort seitdem in Mosaik­form neben einer Auflistung der 28 sogenannten „Feindstaaten“ zu lesen sind. Von Bochum aus setzte Ehrenberg im Frühjahr 1933 der neuheidnischen NS-Doktrin das weit über die Stadtgrenzen hinaus verbreitete „Bochumer Bekenntnis“ entgegen. Nachdem er als Protagonist des kirchlichen Widerstands mit „totalem Predigt- und Redeverbot“ belegt und 1938 ins KZ Sachsenhausen verschleppt worden war, gelang Hans Ehrenberg nach monatelanger Folterung 1939 die Flucht ins britische Exil. Nach seiner Rückkehr 1947 blieb sein philosophisches und theologisches Werk jedoch weitgehend unbeachtet. Umso wichtiger ist es, mit dem „vom Evangelischen Kirchenkreis Bochum in Verbindung mit dem Verleger Hartmut Spenner und in Abstimmung mit der Hans-Ehrenberg-Gesellschaft“ vergebenen Preis, der seit 2000 alle zwei Jahre vergeben wird, an die Kraft widerständigen Denkens zu erinnern.

 

Israel & Wir

Fred Sobiech, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Bochum, hob in seiner Lobrede ein Diktum Edna Brockes hervor, die Grenze sei der eigentlich fruchtbare Ort der Erkenntnis. Diskursive Grenzbereiche lotete die Leiterin der Essener Synagoge auch in ihrer eigenen Dankesrede angesichts der Auszeichnung mit dem Ehrenberg-Preis aus, als sie einige unbequeme rhetorische Fragen formulierte, um zur Reflexion des Israel-Bildes in der westlichen Öffentlichkeit anzuregen – etwa, warum angesichts der vorherigen Annexion der Westbank durch Jordanien 1952 immer nur von einer Besetzung des Territoriums durch Israel seit 1967 gesprochen werde. Oder: Warum vor dem Hintergrund von derzeit insgesamt 152 militärischen Konflikten weltweit in deutschen Medien der Nahost-Konflikt überproportional im Vordergrund stehe. Eine weitere Frage zielte in eine völlig andere Richtung: So vermisst Edna Brocke das Engagement deutscher AtomkraftgegnerInnen gegen eine nukleare Bewaffnung Irans – und nimmt dabei allerdings wohl wissentlich die Gefahr auf sich, dass ihre wichtige und richtige Botschaft im kontaminierten Diskursgemisch verlorengeht.

 

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