Youtube und Silbermond zeigen gelebte politische Verantwortung

Am niedersächsischen Humboldt-Gymnasium beging man im November den „Tag der Toleranz“. Der Feiertag geriet zum Lehrstück für die Absurdität von plakativem Polit-Engagement. Einige Humboldt-Schüler_innen hatten den Video-Wettbewerb „361° Toleranz“ gewonnen, ausgerufen von der Internetplattform Youtube. Als Preis bekam die Schule einen Tag voll Medienrummel und ein exklusives Gratiskonzert von Silbermond. Um das Konzert der gesamten Schülerschaft zugänglich zu machen, musste allerdings eine Großbildleinwand installiert werden. Die Kosten dafür – satte 10.000 Euro – trugen weder die Bautzener Konsenskapelle noch Youtube, sondern der Schulverein und die örtliche Sparkasse.

Ob man die 10.000 Euro für das angebliche Gratiskonzert nicht besser hätte anlegen können, wurde von beiden Spendern nicht hinterfragt. „Es ist nicht unsere Aufgabe, das zu bewerten“, findet Alexa von Dossow, PR-Managerin der Gifhorner Bank, die 7.000 Euro zur Verfügung stellte. Unter dem enormen Zeitdruck der Vorbereitung war der Schulverein gerne bereit, die übrigen Zusatzkosten zu erbringen. „Wir haben das einfach abgehakt“, sagt Horst Wewetzer, stellvertretender Rektor des Gymnasiums. Zudem musste die Schule auch noch für das Catering der Techniker_innen aufkommen. Da überrascht es wenig, dass sich der Veranstalter des Konzerts „schwer begeistert“ vom Engagement der Gifhorner zeigte.

Die Veranstaltung wirft auch ein erhellendes Licht auf die Machenschaften der Band Silbermond. Das Quartett schmeißt nicht nur in ihren Liedern mit Plattitüden um sich. Seit Jahren gehört gesellschaftspolitisches Engagement zum PR-Konzept der Band. Toleranz, Demokratie, Wahlbeteiligung, Nazis sind doof – jedes politische Schlagwort, das garantiert nirgendwo auf Ablehnung stößt, wird medienwirksam besetzt. „Könnt ihr mehr als schön reden, dann sag, wie viel zählt euer Wort in der Tat?“, singen Silbermond in ihrem Song „Nichts passiert“. Wäre es nicht von vorne herein zwecklos, die Band an ihren eigenen Floskeln zu messen, klängen diese Zeilen nach einem guten Grund für Selbstkritik.

Mega-Verantwortung

Silbermond kann man indes eigentlich nur vorwerfen, wie gut sie zu PR-Events wie dem Tag der Toleranz passen. Veranstaltet hat den Wettbewerb aber nicht die Band, sondern Youtube. „Wir haben als Plattformbetreiber natürlich auch eine gewisse Verantwortung“, sagt ein Sprecher des Unternehmens im Promotion-Video des Toleranz-Wettbewerbs. Youtube wurde im Herbst 2006 für 1,5 Milliarden Dollar von Google gekauft. „Die Übernahme der Zusatz-Kosten war für Youtube aber nicht verhandelbar“, so Wewetzer. Dass die Schule für die adäquate Umsetzung des „Mega-Events“ teilweise selber aufkommen musste, interessierte das Mega-Unternehmen offenbar wenig. Mit der nachhaltigen Förderung von Toleranz und politischem Bewusstsein in der Schülerschaft hat ein Silbermond-Konzert ohnehin herzlich wenig zu tun.

Das Ergebnis wirkt ebenso grotesk wie zeitgemäß: Der Tag der Toleranz kostete der Schule etwa so viel Geld wie eine halbe Sozialpädagogen-Stelle in einem Jahr. Das fanden bisher alle Beteiligten und Beobachter_innen völlig in Ordnung. „Weder von Seiten der Eltern und Schüler noch in der Presse ist ein Wort der Kritik gefallen“, sagt Rektor Wewetzer. Das politische PR-Event ist längst Normalität geworden, Form geht ganz selbstverständlich vor Inhalt.  Im Nachhinein mischen sich am Humboldt-Gymnasium nun leichte Selbstzweifel in die allgemeine Zufriedenheit. „Vielleicht würden wir auf Basis dieser Erfahrung in Zukunft genauer überlegen, bevor wir uns noch mal in die Finanzierung von so einem Event hineinziehen lassen“, bilanziert Wewetzer.

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