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Am Anfang präsentiert sich das selbstgestaltete Bühnenbild hinter einem transparenten Vorhang: Wie durch eine Milchglasscheibe betrachten die Zuschauer_innen das räumlich fast zum Greifen nahe Geschehen, das von einem Karree aus 25 symmetrisch formierten Akteur_innen geprägt wird, zugleich distanziert. Diese Distanz scheint am Ende aufgehoben – wenn die harmonische Auflösung des konfliktreichen Geschehens auch gekünstelt wirken mag. Dazwischen liegt eine Verwandlung der zu Beginn symbolhaft von einer Himmelsleiter ins irdische Paradies hinabschwebenden weißgewandeten Siedler_innen in eine mit schwarzen Overalls bekleidete ‚Armee der Werktätigen’. So wird auch das in zahlreichen Ausformungen auf der Bühne benutzte Requisit hölzerner Leitern nunmehr zur Simulation von Arbeitsprozessen verwendet, um im weiteren Handlungsverlauf ein permanentes Verschieben von Grenzen abzubilden, bis es schließlich zur (kriegerischen) Eskalation kommt, als die Interessen der Siedelnden mit jenen ihrer (palästinensischen) Nachbarn kollidieren.
„Überall hängt noch ein Fetzen Paradies“
Dieses von Else Lasker-Schüler stammende Diktum erweist sich auch für das ursprünglich für die Ruhr-Triennale konzipierte Stück der dynamischen Nachwuchstheatergruppe als wegweisend. So hält es bis zum Schluss die Balance im konfliktgeladenen Spannungsfeld – und lässt doch einige Fragezeichen zurück. Zwar bleibt das im übertragenen Sinne an die Stadt Babel gemahnende improvisierte Bühnenbild trotz symbolhaft angedeuteter Kampfhandlungen stehen, doch breitet sich schließlich eine spirituelle Leere aus: „Da wurde es auf der Erde Nacht – Schatten verdeckten das Licht. Die Erinnerung verstaubte in den Köpfen der Menschen. Sie sahen sich an, doch sie erkannten sich nicht“, heißt es eingangs einer von Ensemble-Mitglied Milena Kowalski gestalteten Textpassage, die sich auch als Schlussreplik des offen gestalteten Endes geeignet hätte. Doch es musste offenbar noch eine – nicht eben plausible – tendenzielle Wendung Richtung „happy end“ her, um zu betonen, dass das wiederzuentdeckende Gute trotz des scheinbar unauflösbaren Konflikts noch vorhanden ist. So wird das Publikum von den Akteur_innen im großen Finale zu folkloristisch anmutenden Klängen zum Tanzen auf die Bühne geholt – das Paradies scheint für einen kaum authentisch wirkenden kurzen Moment harmonischen Einklangs zurückerobert.
TT: Zukunft ungewiss
Es könnt’ alles so einfach sein – ist es aber nicht: Was für den Kapitalismus nicht nur in Krisenzeiten gilt, wirkt sich indirekt auch auf Projekte insbesondere im Kulturbereich aus, die darauf abzielen, eine subventionierte Nische zu bieten, um ein Kreativpotential auszubilden, das dem marktförmigen Prinzip kommerzieller Verwertung nicht unmittelbar unterworfen ist. „Mein Hauptanliegen ist es, dass TT bekannter wird und das Projekt bestehen bleibt“, sagt Liliane Koch vom Team für Öffentlichkeitsarbeit, „etwas zu wagen – das Leben in die eigene Hand zu nehmen.“
Möglichkeiten und Grenzen der Gegenwarts- und Zukunftsgestaltung durch persönlichen Einsatz werden thematisch auch in der nächsten, für Ende März geplanten TT-Inszenierung „Der Drache“ von Jewgeni Schwarz ausgelotet. Es handelt sich hierbei um ein politisches Märchen, das der 1896 in Kasan geborene russische Dramatiker in der Sowjetunion der 1940er Jahre schrieb und das unter Stalin nach zwei öffentlichen Generalproben verboten wurde. Thematisiert wird, inwieweit sich Menschen gegen politischen Machtmissbrauch und ständige Kontrolle in einem totalitären Überwachungsstaat durch individuelle Zivilcourage wehren und hierdurch gegebenenfalls etwas verändern können. An Aktualität und Brisanz hat das Stück bis heute nichts eingebüßt – denn, so heißt es im Ankündigungstext der jungen Theatermacher_innen: „‚Drachen‘ gibt es überall auf der Welt, sieht man nur genau hin…“ Doch auch das scheinbare Nischenparadies „TheaterTotal“ steht auf tönernen Füßen – so droht die bisherige Finanzierung durch private Sponsoren zunehmend wegzubrechen. Davor schützt auch ein Schirmherr Wolfgang Clement nicht…
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