Im Gerichtssaal konnten wir am Mittwoch eine beeindruckende Interpretationsleistung mitverfolgen – mit politischem Hintergrund, wie man vermuten darf. Zunächst hat die Anklage die Abbildung einer Torte zu einer „getarnten Bombe“ umgedeutet. Damit aber nicht genug. Denn im nächsten Schritt wurde die angebliche Bombe zu einem verbotenen Aufruf, „Gegenstände, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen oder Beschädigung von Sachen geeignet und bestimmt sind, ohne behördliche Genehmigung mit sich zu führen und diese zur Begehung von Vergehen der gefährlichen Körperverletzung einzusetzen“. Mit anderen Worten: Indem das Internetportal das Plakat dokumentiert, rufe es dazu auf, mit Waffen zur Demo zu gehen und diese zu benutzen.
Kommt die Staatsanwaltschaft mit dieser obskuren Argumentation durch, wäre künftig keine grafische Veröffentlichung mehr vor solch einer aggressiven Interpretation geschützt. Ein Plakat mit einer erhobenen Faust? Klar, da holt jemand zum Schlag aus. Es droht ein neues Bilderverbot für politische Publikationen. Mehr noch: Die Strafverfolgungsbehörden bekämen ein einfaches wie mächtiges Instrument an die Hand, um politisch missliebige Äußerungen weitgehend willkürlich zu kriminalisieren. Das wäre eine massive Einschränkung des Grundrechts auf Presse- und Meinungsfreiheit.
Das Urteil ist aus mehreren Gründen infam. Denn selbst, wenn auf dem Plakat tatsächlich eine Bombe zu sehen wäre, würde es sich dadurch noch längst nicht um einen Aufruf zu Gewalt handeln – weil Karikaturen und andere symbolische Darstellungen fast immer zuspitzen und übertreiben. Bei einer halbwegs ernstzunehmenden Interpretation müssen immer Kontext und Wirkung berücksichtigt werden. Und die verweisen in diesem Fall genau in die entgegengesetzte Richtung.
Noch vor wenigen Jahren kamen Antifa-Plakate weit martialischer daher. Auch damals waren sie natürlich nicht wörtlich, sondern symbolisch zu lesen. Dennoch gab es in der Antifa-Szene einige Kritik an einer Ikonographie, die regelmäßig Männlichkeit hochstilisierte und von umstrittener Straßenkämpfer-Atitüde geprägt war. Dass nun ein niedliches und eher witziges Tortenmännchen für eine Anti-Nazi-Demo wirbt, kann auch als Ergebnis solcher Debatten gelesen werden: Wie bei den Aktionen geht es auch in der öffentlichen Darstellung nicht mehr um Oldschool-Straßenkampf, sondern um entschlossenen, aber phantasievollen und sogar lustigen Widerstand.
Dazu passt auch, dass die Demonstration, zu der das Plakat aufrief, selbst in den Augen der Polizei völlig friedlich verlaufen ist. Man könnte fast meinen, die Bochumer Staatsanwaltschaft bedauert das und konstruiert sich daher selbst eine kaum nachvollziehbare Anklage. Für die politische Kultur nicht nur in Bochum und für die Gültigkeit unserer Grundrechte ist es wichtig, dass sie damit möglichst schon in der nächsten Instanz scheitert.

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