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Drei völlig unterschiedliche Geschichten, und doch haben sie eines gemeinsam: Ihre ProtagonistInnen präsentieren sich in aller Öffentlichkeit im Internet und buhlen um die Votingstimmen der Web-Community. Es geht um das „demokratische Stipendium“ – so nennt jedenfalls die Berliner Absolventa GmbH die Abstimmung im Netz. Die BetreiberInnen einer kommerziellen Internet-Jobbörse haben dafür extra einen gemeinnützigen Verein gegründet. Ganze 18.750 Euro stellen SponsorInnen wie der Allianz-Konzern, die Otto-Gruppe und die Recruting-Firma Hays in diesem Jahr zur Verfügung. Knapp 2.000 Studierende und AbsolventInnen wollten ein Stückchen von dem nicht gerade üppigen Stipendienkuchen abhaben – 500 von ihnen haben es in die Abstimmungsphase geschafft.

Self-Marketing ist Trumpf

Kerstin hat gute Chancen, ihren Traum vom unbezahlten Vollzeitpraktikum zu verwirklichen, denn derzeit führt sie in der Kategorie für die beste Präsentation. In ihrer interaktiven Vorstellung posiert sie mit Kindern in einem Brunnen und liegt auf einer Couch, während eine Sprechblase ihr „Interesse für Psychologie und Psychotherapie“ verrät. In der Kategorie für das beste Bewerbungsvideo wurde Apple-Fan Daniel soeben von Sarah, 29, auf den zweiten Platz verdrängt – dabei hat er sich mit seinem witzigen Werbeclip doch so viel Mühe gegeben. Etwas die Werbetrommel rühren muss auch noch Roland, denn seine bunten 3D-Computergrafiken von Gehirnscans belegen in der Kategorie „Bilder“ nur den vierten Platz. Die Fotos von Claudia, Mirjam und Maria gefallen der Community bisher besser.
Der Ableger der Online-Jobbörse veranstaltet die Stipendien-Abstimmung nach dem Prinzip „Deutschland sucht den Superstar“ bereits zum zweiten Mal. Offensichtlich handelt es sich um ein Win-Win-Konzept: Großkonzerne können sich für Summen, die noch nicht einmal ihre Portokasse belasten, unglaublich vielen Menschen präsentieren: Innerhalb von nur zwei Wochen seien insgesamt 60.000 Stimmen abgegeben worden, erklärt Jasmin Rudolph vom Absolventa e.V. Und auch die Jobbörse selbst kann ihren Namen mit der Aktion erfolgreich in den Medien platzieren. Die meisten der Studierenden, die ihre Fotos und ihre finanziellen Sorgen auf der Absolventa-Website veröffentlichen, gehen dagegen leer aus. Im vergangenen Jahr konnten sich gerade einmal neun BewerberInnen über eine Unterstützung freuen.
Wie die rücksichtslosen Votingshows im Fernsehen setzt auch diese Öffentlichkeitskampagne der Online-Jobbörse auf die großen Emotionen. Mit „kreativen, witzigen oder herzzerreißenden Ideen“ präsentierten sich die Studierenden, heißt es in einer Erklärung. Wer ein wenig auf der Seite stöbert, stößt dann auch auf die Bewerbung des 21jährigen Autisten Sören, der nicht gleichzeitig lesen und schreiben kann. Weil er unter dem Tourette-Syndrom leidet, kann er auch nicht in Bibliotheken und öffentlichen Räumen arbeiten. Seine Unterstützungsbitte in Höhe von 1.885 Euro hat die Community bisher allerdings mit nur zwei von fünf möglichen Punkten quittiert.

Ist Big Brother demokratisch?

Dass die Absolventa GmbH aus der Studienfinanzierung ein öffentliches Voting-Spiel macht, sieht die Studierendenvertretung der Ruhr-Universität Bochum kritisch. „Natürlich freue ich mich für jede Studentin und jeden Studenten, der eine Lösung in einer schwierigen finanziellen Situation findet“, sagt der AStA-Vorsitzende Jan Keitsch. „Das Ganze aber als ‚demokratisches‘ Stipendium zu bezeichnen, ist zynisch. Demokratie setzt doch gerade Zugang zu Bildung für alle voraus – und nicht die Selektion von einigen Wenigen, die Geld zum Studieren bekommen. Wenn man der Logik von Absolventa folgt, dann wären Seelenstriptease-Shows wie Big Brother ja das Vorbild für eine demokratische Gesellschaft.“
Gut möglich, dass das nicht nur einzelne Studierendenvertretungen so sehen. Denn immerhin haben sich dieses Mal weniger BewerberInnen an der Social-Marketing-Kampagne beteiligt. Im vergangenen Jahr wollten noch 4.500 Studierende ihren finanziellen Engpass auf der Homepage des Absolventa e.V. öffentlich machen – dieses Jahr weniger als halb so viele. Auch die Summe, die Sponsoren dem Projekt zur Verfügung stellen, ist heuer kleiner als noch 2009.


 

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