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Eine digitale NGO ruft zum Bürgerkrieg auf. Die Zahl der LOIC-Downloads ist in den ersten Tagen nach Assanges Verhaftung auf 10.000 pro Tag gestiegen. Die Protest-Tools dienen den Hacktivisten rund um die ominöse Gruppe Anonymus zu Distributed-Denial-of-Service-Attacken, kurz: DDoS genannt. Die Server der Online-Firmen Mastercard, PostFinance, PayPal, Amazon, Everydns.net oder Tableau-Software wurden gezielt angegriffen und teilweise für Stunden lahmgelegt. Warum? Weil sie, nachdem WikiLeaks streng vertrauliche US-Depeschen veröffentlichte, ihre Zusammenarbeit mit der Enthüllungsplattform aufkündigten. Dies taten sie wahrscheinlich auf Druck der US-Regierung, wie gemutmaßt wird. Seitdem kommt es immer wieder zu Protestaktionen einer emanzipatorischen Internetgemeinde, die glaubt, im Netz das Refugium einer Gegenöffentlichkeit, deren Credo das der Transparenz ist, gefunden zu haben. Doch beschränken sich die Protestaktionen nicht allein auf das Netz. Mit Vendetta-Masken oder einem Foto von Julian Assange vor dem Gesicht gingen die Hacktivisten auf die Straße. Erst in Barcelona, dann in Madrid, Sevilla und La Coruña, aber auch in Buenos Aires und Bogotá sowie schließlich in den Metropolen der gesamten westlichen Hemisphäre.

Ganz normale Ermittlungen

Dass der Konflikt dergestalt eskalieren konnte, hat vor allem mit der Verhaftung von Julian Assange am 7. Dezember in London zu tun. Assange wurde mit internationalem Haftbefehl wegen angeblicher sexueller Vergehen gegen zwei Schwedinnen gesucht und stellte sich schließlich. Assange sprach von einem Komplott gegen ihn und bereitwillig glaubten ihm seine Anhänger, wie etwa die jungen Hacker der Online-Guerilla-Gruppe Anonymus. Mittlerweile ist Assange gegen Kaution wieder auf freien Fuß und sieht seinem Prozess in Schweden entgegen. Von einem Komplott spricht mittlerweile kaum jemand mehr und selbst der schwedische WikiLeaks-Sprecher „Harold“ ließ gegenüber dem „Guardian“ verlautbaren, man solle den „ganz normalen Ermittlungen“ ihren Lauf lassen. Was zuerst den Protest-Hype beflügelte, droht nun zum Eigentor zu werden. Doch hat sich der Protest durch eine voreilige Heiligsprechung Assanges wirklich diskreditiert? Mitnichten, denn es geht ja nicht explizit um Assange, dessen KritikerInnen, wie der ehemalige WikiLeaks-Sprecher Daniel Domscheit-Berg, ihm mittlerweile vorwerfen, nur noch Fans um sich zu scharen. Vielmehr geht es um die Idee der Informationsfreiheit eines investigativen Journalismus: Ein Whistleblower (abgeleitet vom englischen „to blow the whistle“) ist laut Wikipedia ein Hinweisgeber, der Missstände, illegales Handeln (z.B. Korruption, Insiderhandel) oder allgemeine Gefahren, von denen er erfährt, an die Öffentlichkeit bringt. So ungefähr könnte auch die Berufsbezeichnung von Assange beschrieben werden.

Krypto-Anarchismus

4-1-web-assange.espenAssange steht den Ideen des Krypto-Anarchismus nahe. Der Krypto-Anarchismus stellt eine Informationsasymmetrie zwischen Staat und Bürgern fest. Foucaults Bild vom Panoptikum kommt hier ins Spiel. Denn während ein Staat in der Lage ist, große Bereiche der Kommunikation seiner BürgerInnen zu überwachen, versucht er gleichzeitig, viele Informationen vor diesen geheimzuhalten. Laut Assange böten die technischen Innovationen des Internets die Möglichkeit, diese Asymmetrie umzukehren.

Internationale Aufmerksamkeit erzielte WikiLeaks Mitte des Jahres mit der Veröffentlichung des Videos „Collateral Murder“, das zeigt, wie am 12. Juli 2007 amerikanische Soldaten aus zwei Apache-Helikoptern auf eine Menschenmenge in einer Vorstadt von New Baghdad schießen und dabei mehrere Zivilisten und auch Journalisten verwunden und töten. Im Hintergrund hört man die zynischen Kommentare der Soldaten. Nachdem im Herbst 250.000 streng vertrauliche Depeschen von US-Diplomaten veröffentlicht worden waren, attestierten einige KritikerInnen der Enthüllungsplattform einen gewissen Antiamerikanismus. Paradoxerweise waren es jedoch gerade die überzogenen Reaktionen aus den USA, die bis zu Mordaufrufen gegenüber Assange reichten, welche es diesen KritikerInnen leichtmachten, dort eine Frontziehung zu vermuten. Vergessen wurde dabei allerdings, dass WikiLeaks sich im Vorfeld unter anderem bereits mit Scientology angelegt hatte. Eine explizite Gegnerschaft würde dem Prinzip der völligen Transparenz entschieden widersprechen und somit die Funktion der Plattform ad absurdum führen. Sollten im Frühjahr 2011 die Großbanken ins Visier von WikiLeaks rücken, dürfte diese Kritik verstummen.

Generation Star Wars

Aber wie kommt es überhaupt dazu, dass sich irgendwelche Computer-Nerds berufen fühlen, die Welt zu retten? Mit dem ersten digitalen Bürgerkrieg betritt die Generation Star Wars die Weltbühne: die Rebellen gegen die dunkle Seite der Macht, ein postmodernes Märchen – ein Achtundsechzig der Dekonstruktivisten. Es war einmal in Australien: 1997 veröffentlichte die Journalistin Suelette Dreyfus zusammen mit Julian Assange „Underground: Tales of Hacking, madness and obsession on the Electronic Frontier“. Die Blaupause zum Leben des jungen Hacktivisten. 1987 besorgte sich Assange sein erstes Modem. Seitdem hat nicht nur sein Leben an Fahrt gewonnen. Vom Commodore 64 zu den International Subversives, der ersten Hacker-Gruppierung, der sich Assange anschloss. „Your System Has Been Officially WANKed“, war schließlich auf den Rechnern der NASA zu lesen, nachdem Assange ins Space-Shuttle-System eingedrungen war. Das gesamte Buch gibt es kostenfrei im Netz. Dort kann nachgelesen werden, wie damals alles begann.

Wie wird es nun weitergehen? Nach diversen Angriffen auf die WikiLeaks-Server kam es unlängst zur Operation leakspin: Die WikiLeaks-Quellen wurden, getarnt als Justin-Bieber-Videoklips, im gesamten Netz verstreut und sind nun nicht mehr aus dem Internet zu entfernen. WikiLeaks wird weitermachen auch ohne Julian Assange. Zudem hat das Prinzip Whistleblower gegenwärtig Hochkonjunktur. Viele Zeitungshäuser, zuletzt die WAZ-Mediengruppe, buhlen um vertrauliche Informationen, die sie hochladen wollen – allerdings erst nach einer einhergehenden Prüfung. Vertraulicher wirkt da schon die geplante Enthüllungsplattform von Daniel Domscheit-Berg. Eines scheint jedoch jetzt schon klar sein: Das neue Informationszeitalter wird ein emanzipatorisches sein.

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