Eine „Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ sei nicht nachvollziehbar dargelegt, monieren die Verfassungsrichter. Solange keine derartige Störung vorliegt, dürfen laut der nordrhein-westfälischen Verfassung die Kredite die Investitionen im Landeshaushalt nicht übersteigen. Die wirtschaftliche Notlage müsse ernsthaft und nachhaltig sein oder als solche unmittelbar drohen; eine erhöhte Kreditaufnahme dürfe ausschließlich zur Abwehr einer gesamtwirtschaftlichen Krise dienen.Der Nachtragshaushalt, den die rot-grüne Minderheitsregierung mit Hilfe der Linken durch den Landtag brachte, würde die Netto-Neuverschuldung auf 8,4 Milliarden Euro ansteigen lassen, während die Investitionen nur 3,9 Milliarden Euro betrügen. Diese gewaltige Schere aus 4,5 Milliarden Euro ist verfassungswidrig und muss nun irgendwie eingespart werden. Grünen-Fraktionschef Reiner Priggen bezeichnete eine Senkung der Neuverschuldung um mehr als drei Milliarden Euro bereits als „faktisch unmöglich“. Das gehe nur mit massivem Stellenabbau bei Lehrern und Polizisten, Brachialkürzungen bei Kultur und Bildung sowie dem Stopp aller Förderprogramme.Auch beim Haushalt 2011 will die Landesregierung offensichtlich weiterhin von einer Fortsetzung des wirtschaftlichen Ungleichgewichts ausgehen, um eine Neuverschuldung in Höhe von 7,1 Milliarden Euro zu legitimieren. Darunter fällt auch der Ausgleich für den Wegfall der Studiengebühren in Höhe von 249 Millionen Euro. Ministerpräsidentin Kraft nannte zur Begründung der Schulden bereits die Katastrophe in Japan, den Euro-Rettungsschirm und die instabile Lage im arabischen Raum. Nicht sagen kann sie hingegen, inwiefern die nordrhein-westfälische Schuldenpolitik gegen diese globalen Probleme helfen soll.Übrigens haben die Vorgängerregierungen auch regelmäßig gegen die in der Landesverfassung festgeschriebene Kreditfinanzierungsgrenze verstoßen. So war nach Angaben des Landesrechnungshofes in den vergangenen zehn Jahren nur zweimal die Neuverschuldung niedriger als die Summe der Investitionen. Der nach der schwarz-gelben Regierungsübernahme 2005 aufgestellte Nachtragshaushalt wurde aus den gleichen Gründen wie beim jetzigen für verfassungswidrig erklärt. Damals hatte die SPD geklagt.
Routenplan zur Wahlkabine
CDU und FDP haben bereits angekündigt gegen den neuen Haushalt ebenfalls Klage einzureichen, wenn er der Schuldengrenze nicht genügen sollte. SPD und Grüne drohen für diesen Fall mit Neuwahlen. Der Zeitplan könnte dann so aussehen: Am 18. Mai beschließt die Regierung (mit Enthaltung von Der Linken) den Haushalt 2011. Union und FDP reichen umgehend Klage beim Verfassungsgerichtshof ein. Der Landtag beschließt daraufhin mit absoluter Mehrheit seine Auflösung. Dies ist die Voraussetzung für die Neuwahl, die dann innerhalb von 60 Tagen stattfinden müsste. Die Union hat den 17. Juli als Wahltermin im Auge.Trotzdem schlingern bisher alle Parteien, wenn sie auf die Neuwahl angesprochen werden. „Wir sind für fünf Jahre gewählt und regieren stabil“, sagte Ministerpräsidentin Kraft vergangenen Freitag. Den Stempel als Schuldenmacherin, höchstrichterlich auferlegt, ist natürlich keine tolle Ausgangsposition für den Wahlkampf. Der Landesvorsitzende der CDU, Bundesumweltminister Röttgen, ist derzeit ebenfalls erstaunlich ruhig. Anstatt offensiv eine Neuwahl einzufordern, bittet er die Regierung um einen verfassungskonformen Haushalt, ohne eigene Vorschläge einzureichen. Der Mann scheint den Kopf momentan ganz woanders zu haben.
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