Dirk Schmidt hat es nicht leicht. Der Bochumer Politiker, dem manche einen Hang zu einer exzentrischen Profilierung nachsagen, tritt mit seiner klaren Kante rechtsaußen gern in so manches Fettnäpfchen. Zuletzt erregte er öffentliches Aufsehen mit seiner Sympathie für die „türkischen Idealisten“, also die faschistischen Grauen Wölfe, die in Bochum-Dahlhausen mit einem Vereinsheim aktiv sind. So konnte sich Schmidt gegen einen „linksgerichteten Integrationsverein“ positionieren, der die Umtriebe der „Patrioten“ öffentlich gemacht hatte. Dazu nutzt er auch gerne das Internet, schreibt Blogbeiträge und twittert das Neueste um seine Person durch das Netz. Vor einigen Jahren mussten sich einige Parteikolleg_innen von ihm distanzieren, als er als Verantwortlicher einer extrem rechten Internetpräsenz mit dem Namen „Bochum gegen Links“ auftrat.
„Hähneköppen“
Nun ging es aber um etwas ganz anderes. Seit einigen Jahren steht das Gänsereiten im Fokus der Proteste von Tierschützer_innen. Bei dem alljährlich von Gänsereiterclubs in Wattenscheid-Höntrop wie auch in Sevinghausen veranstalteten Spektakel reiten die Männer des Vereins auf Pferden unter einem gespannten Seil her, in dessen Mitte eine tote Gans an den Füßen aufgehangen ist. Einer nach dem anderen greifen sie nach dem Kopf des Tieres, um ihn abzureißen. Langsam löst er sich dabei vom Körper, baumelt nur noch an der gedehnten Speiseröhre, bis einer der Reiter ihn schließlich als Trophäe in der Hand hält.
Protest = Spam?
Grund genug für Astrid und Walter Möller, den Bürger_innenprotest zu organisieren. Für sie stellt das Treiben eine Respektlosigkeit gegenüber Tieren dar, die insbesondere unter der starken Einbeziehung von Kindern beim parallelen Junggänsereiten Fragwürdiges vermittele. Die beiden Tierschützer_innen aus Ostfriesland stellten deshalb ein Formular auf der Internetseite ihrer Tierschutzorganisation bereit, mit dem ein vorgefertigter Protestbrief an 25 Bochumer Politiker_innen geschickt werden konnte, unter anderem an die Oberbürgermeisterin. 700 Menschen nahmen teil. Deswegen bestellte die Bochumer Justiz das Ehepaar am 19. Mai ins Amtsgericht. Dirk Schmidt, einziger klagender Empfänger, führte dort ins Feld, es handele sich bei den Mails um Spam, nicht um die Meinungsäußerung von Bürger_innen. Außerdem sei die Mailadresse aus seinem geistigen Eigentum, ohne seine Erlaubnis, aus dem Netz entwendet und „in einem Computerprogramm“ verwandt worden, so der IT-Experte. Schmidt echauffierte sich weiter, so sehr im Licht der Öffentlichkeit zu stehen. Darauf der Richter gleich zu Beginn trocken: „Das ist Ihr Beruf.“
„Stellen Sie sich vor, Sie reden auf einem Jahrmarkt. 20 Leute mit anderer Meinung rufen dazwischen. Dürfen die ihre Meinung sagen? Oder haben Sie schon Leuten die Trillerpfeifen wegnehmen oder sie wegschubsen lassen?“ Immer wieder konfrontiert der Richter Schmidt mit neuen Beispielen, erzählt Geschichten, anstelle den formalen Prozess einer Gerichtsverhandlung aufzunehmen. Für die Beklagten interessiert er sich von vornherein kaum. Schmidt hakt ein, er werde mit den Mails belästigt, seine Persönlichkeitsrechte würden verletzt. Prompte Antwort des Vorsitzenden: „Meinungsbildung soll lästig sein.“
„Schön bequem!“
Und dann gleich wieder eine Geschichte. Das Richtergehalt hinke seit Jahren hinter der allgemeinen Gehaltsentwicklung hinterher, erzählt der Vorsitzende der Sitzung. „Berufsständische Verbände stellen tatsächlich Formschreiben zum Absenden zur Verfügung. Hab ich auch gemacht!“ Das sitzt. Schmidt und sein Anwalt sind schon längst aus dem Konzept, im Saal macht sich immer wieder Grinsen und Gelächter breit.
Dann aber will das Gericht über den Belästigungsaspekt doch noch einmal nachdenken. Der von vornherein angesetzte zweite Termin soll zur Verkündigung dienen. Was die anderen Aspekte angeht, diktiert der Richter für die Akte: „Der Kläger muss auch eine abweichende Meinung hinnehmen.“ Unter den anwesenden Unterstützer_innen geht man daher von einem Freispruch aus. Dieses Gefühl wird dann auch von einem der letzten Sätze dieser amüsanten Verhandlung gestützt. Am Ende schmunzelte der Richter gen Kläger: „Was ich interessant finde: Ich hab‘ gesehen, Herr Schmidt hat nachgedacht!“
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